Titelsujet „Über die Grenze“
Dietmar Walser
Dietmar Walser
Vorarlberg

Hörbare Grenzsteine zu NS-Flucht entlang der Radroute Nr. 1

Tausende wollten von 1938 bis 1945 über Vorarlberg die rettende Schweiz erreichen. Ihren teils dramatischen Geschichten sind nun entlang der 100 Kilometer langen Vorarlberger Radroute Nr. 1 vom Bodensee bis zur Silvretta 52 Hörstationen in Form von symbolischen Grenzsteinen gewidmet.

Das grenzüberschreitende Projekt, das am 3. Juli offiziell eröffnet wird, rufe bisher „überraschend großes Interesse“ hervor, so Hanno Loewy, Direktor des Jüdischen Museums Hohenems.

Flutgeschichte entlang der Grenze

Das Jüdische Museum Hohenems beschäftigt sich bereits seit den 1990er-Jahren mit den Fluchtgeschichten der NS-Zeit entlang der Grenze. Die Schweiz riegelte das Land schon im Sommer 1938 ab. Jüdinnen und Juden, politische Gegner, Deserteure, Kriegsgefangene, Zwangsarbeiter versuchten ihr Glück dennoch, unterstützt von Einheimischen. „Diese Grenzlandschaft hier ist ziemlich eindrucksvoll. Viele wissen davon nichts“, so Hanno Loewy, Direktor des Jüdischen Museum Hohenems und Projektleiter, am Montag bei der Setzung des ersten Grenzsteins am Alten Rhein bei Hohenems. Er steht an jener Stelle, an der fünf ältere Frauen am 7. Mai 1942 in die Schweiz flüchten wollten. Nur einer gelang das, drei wurden deportiert und ermordet, eine nahm sich das Leben in der Haft.

Radtour Altach – im Rahmen von „Über die Grenze“
Dietmar Walser

„Über die Grenze“ – 52 Hörstationen mit Fluchtgeschichten von 1938 bis 1945, entlang der Radroute Nr. 1 vom Bodensee bis zur Silvretta in Vorarlberg, der Schweiz und in Liechtenstein

Eröffnungsfeier, Sonntag, 3. Juli 2022 am Schlossplatz und Fahrradsternfahrt

QR-Codes auf Steine führen zu Website

Auf den Steinen finden sich QR-Codes, die zu einer Website führen, auf der man die Geschichten, Fotos und Dokumente einsehen kann. „Wir haben es geschafft! Hoffe euch alle gesund!“, meldete etwa Willy Geber nach seiner Flucht in einem Brief nach Wien. Jahrelang arbeitete das Museum mit Historikerinnen und Historikern die Geschichten von Mut, Behördenwillkür, Widerstand und Verfolgung auf. Am Projekt beteiligten sich unter anderem neben den anliegenden Städten und Gemeinden in Vorarlberg, der Schweiz und Liechtenstein auch das Land, der Kanton St. Gallen, der Bund, die Plattform erinnern.at, die Radlobby Vorarlberg und Touristiker.

Vielgestaltiges Bild der Geschehnisse

Entstehen soll auf diese Weise ein vielgestaltiges Bild der damaligen Geschehnisse auf beiden Seiten des Rheins sowie in den Bergen entlang der Grenze – mit Gegenwartsbezug. „Die Geschichte hallt ja vielfach wider: Wie die Schweiz damals stehen wir heute vor der Frage, wie wir mit Flüchtenden umgehen sollen. Im Lockdown, als die Grenzen wieder dicht waren, wurde das Ganze noch einmal präsenter“, so der Direktor. Noch gearbeitet wird an einer englischen Version sowie an einem Buch, das nächstes Jahr erscheint.

Radtour Feldkirch – im Rahmen von „Über die Grenze“
Dietmar Walser

Verbindung von Geschichte, Bewegung und Natur

Die Hohenemser Vizebürgermeisterin Patricia Tschallener (Grüne) will mit der Verbindung von Geschichte, Bewegung und Natur auch Menschen erreichen, für die Geschichte sonst nicht im Vordergrund steht. Sie sah „eine immense Bereicherung“ und hoffte, das Projekt werde zur Überwindung von Grenzen beitragen. Zu den Steinen gehört ein umfangreiches Programm, so gibt es jeden Samstag im Sommer geführte Radtouren. Nach einer Fahrradsternfahrt aus acht Richtungen wird am 3. Juli am Hohenemser Schlossplatz der offizielle Eröffnungsakt gefeiert. Dann wird auch die Plattform www.ueber-die-grenze.at mit einer interaktiven Radkarte freigeschaltet.