Zeitzeugin Katja Sturm-Schnabl anlässlich ihrer Ansprache beim virtuellen Fest der Freude 2021
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Literatur

Vom Leben und Überleben der Katja Sturm-Schnabl

Anlässlich des 80. Jahrestages der Deportation von Kärntner Sloweninnen und Slowenen legt die Autorin Evelyn Steinthaler ihren Roman „Das Mädchen und der Umhang“ vor, in welchem sie vom Leben und Überleben der Literaturwissenschaftlerin Katja Sturm-Schnabl erzählt.

Es ist der Umhang, den die heute 86-jährige Zeitzeugin Katja Sturm-Schnabl als sechsjähriges Mädchen sich selbst umlegt – zum Schutz vor dem Bösen – und den sie erst Jahrzehnte später wieder ablegen wird können. Und dieser Umhang ist nicht nur namensgebend für Evelyn Steinthalers ersten Roman, dieser symbolisiert die Zerbrechlichkeit des Menschen sowie dessen Widerstand und Umgang mit der Niedertracht.

Evelyn Steinthaler: Das Mädchen und der Umhang, erschienen bei bahoe books
bahoe books

Wien. bahoe books. 2022. 180 Seiten. 19,00 Euro, ISBN 978-3-903290-67-9

Deportation slowenischer Familien

Behutsam und im ruhigen Ton erzählt Steinthaler die Geschichte der Zeitzeugin und Angehörigen der Kärntner slowenischen Volksgruppe Katja Sturm-Schnabl, die als Kind zu einer der über 1.000 Angehörigen der Kärntner Sloweninnen und Slowenen wird, die von den Nazis in unterschiedliche Zwangs- und Arbeitslager nach Deutschland deportiert wurden. Gemeinsam mit ihrer Familie wurde sie im April 1942 zunächst ins Lager Rehnitz an der polnischen Grenze, später nach Eichstätt im heutigen Bayern gebracht. Über drei Jahre lang musste sie Erniedrigungen erleben.

Familiengeschichte am Tomanhof

Im Roman ist Katja Sturm-Schnabls Geschichte eingebettet in die Familiengeschichte am Tomanhof in Zinsdorf/Svinča vas, knapp zehn Kilometer östlich von Klagenfurt/Celovec, wo sie geboren wurde und bis heute immer wieder zurückkehrt. Erzählt wird von ihrer fortschrittlichen Mutter, die an den Hof, der bereits zur Zeit der Volksabstimmung 1918 bewirtschaftet wurde, geheiratet hat, von dem fürsorglichen und politisch aktiven Vater sowie von ihren vier Brüdern und ihrer ältesten Schwester Veronika, Veri genannt. Diese ist für Katja Sturm-Schnabl nicht nur großes Vorbild, sie erweist sich auch als Lebensretterin, als Katja Sturm-Schnabl jedwede Nahrung, die ihnen im Lager vorgesetzt wird, ablehnt. Mit dem Tod der großen Schwester nimmt das Leben für sie die große Wende.

„Veri je umrla". (Übers.: Veri ist gestorben.)
Was dieser Satz wahrhaftig bedeutet, wird zum Trauma, das Katjas Leben überschattet. Die gute Tochter ist tot. Sie selbst überlebt. Dabei stürzt sie in eine tiefe Schlucht von massiven Schuldgefühlen und großer Hilfslosigkeit in Anbetracht des Todes ihrer Schwester. Veri, die schon so genau wusste, was sie vom Leben wollte, war fort und sie, die noch so wenig nur erahnte, war geblieben. Die Schwere des Todes lastet auf der ganzen Familie, aber Katja erleidet als Veris jüngere Schwester das Überlebens-Schuld-Syndrom. Depressionen, Unsicherheiten und Angstzustände werden sie nach Veris Tod viel zu lange begleiten.“
(Aus "Das Mädchen und der Umhang)

Diskriminierung und Ablehnung des Slowenischen

Evelyn Steinthaler gelingt es mit ihrem Roman, die Geschichte von Katja Sturm-Schnabl in die neuere Geschichte der Sloweninnen und Slowenen in Kärnten/Koroška einzugliedern, die geprägt ist von der Zerwürfnissen zwischen den beiden Volksgruppen sowie von der Diskriminierung und Ablehnung des Slowenischen auch noch Jahrzehnte nach dem NS-Regime. Damit setzt die Autorin nicht nur ein literarisches Denkmal der Wissenschaftlerin und Zeitzeugin, sondern auch dem Schicksal der slowenischen Volksgruppe seit der Nazi-Zeit als solches.

Vor einigen Tagen wurde der Slawistin und Byzantinistin Katja Sturm-Schnabl von der Uni Wien, wo sie von 1984 bis 2016 am Institut für Slawistik lehrte, der Titel der Ehrensenatorin verliehen. Seit vielen Jahren ist sie als Zeitzeugin vor allem in Schulen aktiv.