Zeitungsständer in Wien (18.9.2019)
JOE KLAMAR / AFP / picturedesk.com
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Pressefreiheit

„Katastrophaler Absturz“ Österreichs

Österreich entfernt sich weiter von der Gruppe der Staaten mit völlig freier Presse. Im am Dienstag veröffentlichten Pressefreiheitsindex von Reporter ohne Grenzen (RSF) ist es von Platz 17 auf 31 abgerutscht. RSF Österreich sprach von einem „katastrophalen Absturz“.

Während sich Medienministerin Susanne Raab (ÖVP) das Bewertungssystem „genau ansehen“ will und die Grünen auf rasche Reformen drängten, hagelte es Oppositionskritik. Besorgt zeigte sich der Bundespräsident.

„Mediensteuernde Maßnahmen“ der Regierung

„Wir haben die 14 Plätze Verlust leider verdient als Land“, sagte RSF-Österreich-Präsident Fritz Hausjell bei der Präsentation des Berichts. Die Hauptverantwortung dafür gab er der Bundesregierung, und innerhalb dieser der für Medienfragen zuständigen türkisen ÖVP. „Wir haben es offensichtlich nicht verhindern können, dass die Regierung hier so viele mediensteuernde Maßnahmen gesetzt hat, bis hin zum schweren Vorwurf, hier auch Korruption zu betreiben“, sagte er mit Blick auf die ÖVP-Inseratenaffäre.

„Diesen Absturz kann man nicht mehr schönreden“

2018 war Österreich noch auf dem 11. Platz in der jährlich aktualisierten Liste gelegen. Im Ibiza-Jahr 2019 musste es die Topgruppe verlassen und lag seitdem zwischen den Plätzen 16 und 18. „Schluss mit Ausreden – diesen Absturz kann man nicht mehr schönreden“, kommentierte RSF Österreich das Ergebnis. Als Gründe für die massive Verschlechterung wurden neben Angriffen auf Journalistinnen und Journalisten bei Coronademos auch „Schikanen seitens der Polizei, bezahlte Umfragen in Boulevardmedien und eine Politik, die durch Korruption und Bestechung geprägt ist“ genannt.

Dringender Handlungsbedarf

Hausjell erinnerte in der Pressekonferenz daran, dass RSF Österreich schon vor zwei Jahren eine Fact-Finding-Mission nach Skandinavien vorgeschlagen habe, um sich anzusehen, was dort in Sachen Pressefreiheit besser laufe. Passiert sei „nichts“. Auch das, was Medienministerin Raab nun plane, „reicht nicht“, kritisierte er etwa, dass die ihr veranstalteten Medienkonferenzen unter Ausschluss der Öffentlichkeit abliefen. Außerdem brauche es dringend eine „relativ große Reform des Beschickungsgremiums“ der ORF-Gremien. Wenn die Parlamentsmehrheit zwei Drittel des ORF-Stiftungsrates bestimmen könne, „dann haben wir Handlungsbedarf. Das ignoriert die Medienministerin.“

„Mutinjektion“ für die Branche

Hausjell rief auch die Journalisten dazu auf, politischem Druck noch energischer entgegenzutreten. „Ich will der Branche eine Mutinjektion geben, sie hat es in der Hand“, betonte er. Angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Situation könnten sich die Medien nämlich „durchaus leisten, mit weniger Regierungsinseraten auszukommen“. Der Wiener Kommunikationswissenschafter erinnerte daran, dass die Medien nach der Ibiza-Affäre gemeinsam ein Papier zum Thema Pressefreiheit verfasst hätten, doch „da ist danach nichts erfolgt“.

Van der Bellen: „Das muss uns eine Warnung sein“

Das muss uns eine Warnung sein", kommentierte Bundespräsident Alexander Van der Bellen den Absturz. „Diese Tendenz muss nicht nur gestoppt, sie muss umgekehrt werden“, forderte er. Medienministerin Raab äußerte sich zurückhaltend. „Was das aktuelle Ranking des Vereins Reporter ohne Grenzen betrifft, werden wir uns das Bewertungssystem und die Ableitungen genau ansehen, sobald der Bericht vorliegt und in unsere Gespräche mit der Branche einfließen lassen“, teilte Raab der APA mit. Sie bekannte sich dazu, „das hohe Gut der Pressefreiheit in Österreich“ zu schützen und verwies diesbezüglich auf die von ihr veranstalteten „Medienkonferenzen“ mit Fokus auf Medienförderung, Medientransparenz und Inseratenvergabe.

Grüne für rasche Reformen

Eva Blimlinger, Mediensprecherin der Grünen, meinte auf APA-Anfrage, dass es „nichts zu beschönigen“ gebe. Vielmehr gelte es nun Maßnahmen zu setzen. „Abgesehen vom parlamentarischen ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschuss arbeiten wir aktuell an einer Neuordnung der Medienförderung, -transparenz und -inseratenpolitik. Der umfassende Stakeholderprozess ist abgeschlossen, nun heißt es möglichst schnell die Gesetzesreform auf den Boden zu bringen“, so Blimlinger.

SPÖ für Einsetzung von „Konvent für Medienfreiheit“

Scharfe Kritik an der Regierung kam von der Opposition. Die oppositionelle SPÖ forderte die Einsetzung eines „Konvents für Medienfreiheit“, der unter Beteiligung von Zivilgesellschaft, Experten und Opposition die nötigen Reformen erarbeiten soll. „Es braucht dringend ein Medienfreiheits- und Transparenzpaket gegen Inseratenkorruption und Message Control, um Medien in ihrer unabhängigen Berichterstattung zu unterstützen“, forderte SPÖ-Mediensprecher Jörg Leichtfried. Konkret nannte er eine Erhöhung der Presseförderung sowie ein neues ORF-Gesetz mit mehr Unabhängigkeit für die ORF-Gremien.

NEOS für „zeitgemäßes Informationsfreiheitsgesetz“

Ähnlich äußerten sich NEOS. Mediensprecherin Henrike Brandstötter forderte, dass ÖVP und Grüne „umgehend ein zeitgemäßes Informationsfreiheitsgesetz vorlegen“ müssten. FPÖ-Mediensprecher Christian Hafenecker sieht die Schuld für den „katastrophalen Absturz Österreichs“ vor allem bei der ÖVP. Die „schwarz-türkise Medienkaufstrategie und Inseratkorruption“ hätten „größten Schaden an der polit-medialen Kultur angerichtet“. Er sprach sich etwa für einen Kostendeckel für Regierungsinserate und die Schaffung gesetzlicher Grundlagen für mehr Transparenz aus.

Besseren gesetzlichen Schutz für JournalistInnen

Besseren gesetzlichen Schutz für Journalistinnen und Journalisten in Europa forderte SPÖ-Europaabgeordnete Bettina Vollath. Sie verwies auf einen kürzlich von der EU-Kommission vorgelegten Gesetzesvorschlag gegen Einschüchterungsklagen als „ersten wichtigen Schritt“. Auf diesen müssten jedoch weitere Initiativen folgen – etwa der für Ende dieses Jahres geplante „Media Freedom Act“.

Initiative zur Verteidigung der Pressefreiheit

Gerald Grünberger, Geschäftsführer des Verbands Österreichischer Zeitungen (VÖZ), sprach sich für eine Initiative zur Verteidigung der Pressefreiheit aus. „Die doch deutliche Verschlechterung Österreichs kann als Alarmsignal gewertet werden, das wir mit großer Besorgnis, aber zugleich auch einigermaßen verwundert zur Kenntnis nehmen.“ Ob allein das fehlende und vom VÖZ geforderte Informationsfreiheitsgesetz sowie die im Index genannten Umstände die deutliche Verschlechterung erklären, sei zu bezweifeln. Grünberger wolle keineswegs etwas Schönreden, aber „wir sollten die Leistungen österreichischer Medien und ihrer Journalistinnen und Journalisten nicht schlechtreden“.

Neuausrichtung der Medienförderung

Die JournalistInnengewerkschaft in der GPA hielt fest, dass der neuerliche Absturz im Ranking der Pressefreiheit konkrete Schritte noch dringlicher mache. Außer Ankündigungen habe die heimische Medienlandschaft von Medienministerin Raab bisher nichts wahrgenommen, so die Vorsitzenden Eike-Clemens Kullmann und Stefan Jung. Es brauche eine Neuausrichtung der Medienförderung mit klar definierten Qualitätsstandards, transparente Regelungen für die Vergabe von Regierungsinseraten, ein Informationsfreiheitsgesetz und eine ORF-Gesetzesnovelle, um den ORF unabhängig von politischem Einfluss zu machen.

Fünf neue Indikatoren

RSF wies darauf hin, dass die heurigen Werte wegen einer geänderten Erhebungsmethode nur bedingt mit jenen des Vorjahres vergleichbar sind. So wurde die Erhebung auf eine breitere Basis gestellt. Um die Pressefreiheit umfassend abzubilden, wurden fünf neue Indikatoren herangezogen: Politischer Kontext, rechtlicher Rahmen, wirtschaftlicher Kontext, soziokultureller Kontext und Sicherheit.

Pressefreiheit 2022 im Ländervergleich
APA

Nur noch acht Staaten mit guter Situation

Dies hat zur Folge, dass weltweit nur noch acht Staaten eine gute Situation der Pressefreiheit attestiert wird (2021: zwölf). Das Maß aller Dinge sind weiterhin die skandinavischen Länder. Norwegen, Dänemark und Schweden bilden das Spitzentrio. Auf die vierte Stelle emporgeschoben hat sich die Ex-Sowjetrepublik Estland (2021: 15). Es folgen Finnland, Irland, Portugal sowie Costa Rica als einziges nicht-europäisches Land der Spitzengruppe.

Im EU-Vergleich Österreich nur noch auf Platz 16 von 27

Während Deutschland vom 13. auf den 16. Platz zurückfiel, wurde Österreich von einer Reihe anderer EU-Staaten überholt. Neben Frankreich (26.) und Luxemburg (21.) sind dies auch die Nachbarländer Tschechien (20.) und Slowakei (27.) sowie die baltischen Staaten Litauen (9.) und Lettland (22.). Im EU-Vergleich liegt Österreich damit nur noch auf Platz 16 von 27 Staaten. Bestplatzierte Nachbarstaaten sind Liechtenstein (10.) und die Schweiz (14.). In Österreichs Nachbarschaft liegen nur noch das traditionelle Pressefreiheit-Sorgenkind Ungarn (85.), Slowenien (54.) und Italien (58.) schlechter. Während sich Ungarn leicht verbessern konnte, rutschten die beiden südlichen Nachbarländer noch deutlicher ab als Österreich, das im Index zwischen der Dominikanischen Republik und Spanien liegt.

Insgesamt Besorgnis erregendes Bild

Insgesamt zeigt die 20. Ausgabe des RSF-Index ein Besorgnis erregendes Bild. So befindet sich die Pressefreiheit in einer Rekordzahl von 28 Ländern derzeit in einer „sehr ernsten Lage“. Zwölf Länder seien auf die rote Liste gerutscht, darunter Belarus (153.) und Russland (155.). Die Schlusslichter bilden Nordkorea, Eritrea, Iran, Turkmenistan, Myanmar und China. Trotz der Abwahl des Rechtspopulisten Donald Trump nur marginal verbessert hat sich die Lage in den USA (42.). Dort seien die Medien nämlich weiterhin polarisiert, hieß es.

Wachsende Spaltung in demokratischen Gesellschaften

In demokratischen Gesellschaften wachse die Spaltung durch die Verbreitung von Meinungsmedien und von Desinformation, konstatiert die Medienfreiheitsorganisation. International gebe es eine Asymmetrie zwischen offenen Gesellschaften und despotischen Regimes, die mit ihren Medien und Online-Plattformen Propagandakriege gegen Demokratie führen.

Drei Trends in Europa bemerkbar

In Europa seien drei Trends zu bemerken gewesen, und zwar die Rückkehr von Journalistenmorden in der EU (Giorgios Karaivaz in Griechenland und Peter De Vries in den Niederlanden), die massiven Anfeindungen und tätlichen Angriffe von Corona-Maßnahmengegnern gegenüber Journalistinnen und Journalisten in mehreren Staaten (darunter Österreich) sowie die Verschärfung von drakonischen Gesetzen gegenüber Journalistinnen und Journalisten. Davon betroffen gewesen seien neben Ungarn und Slowenien auch Polen (66.) und Albanien (103.). Serbien (79.) konnte sich hingegen dank der Bekämpfung von Straflosigkeit bei Angriffen auf Journalistinnen und Journalisten verbessern, auch Tschechien (20.) und Bulgarien (91.) lockerten nach Regierungswechseln ihren Einfluss auf die Presse. Bulgarien konnte so die rote Laterne unter den europäischen Staaten an Griechenland (108.) abgeben.