Das Familien-Schubhaftzentrum in Wien-Simmering.(28.1.2021)
GEORG HOCHMUTH / APA / picturedesk.com
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Bundesverwaltungsgericht

Abschiebung der 13-jährigen Tina war rechtswidrig

Die Abschiebung der damals zwölfjährigen Tina, ihrer damals fünfjährigen Schwester und ihrer Mutter im Jänner 2021 nach Georgien war rechtswidrig. Das hat das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) nun entschieden.

Wie aus dem von Anwalt Wilfried Embacher auf Twitter veröffentlichten Urteil hervorgeht, hat das BVwG den Beschwerden gegen die Abschiebung stattgegeben.

Maßnahmenbeschwerde gegen Abschiebung

Das Urteil bezieht sich auf eine Maßnahmenbeschwerde gegen die fremdenpolizeiliche Abschiebung am 28. Jänner 2021, die als rechtswidrig erkannt wurde. Der Asylbescheid und die Rückkehrentscheidung standen dabei nicht zur Debatte, hier war der Rechtsweg bereits ausgeschöpft. Gegen dieses Urteil des BVwG als Erstinstanz könnte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) noch Revision einlegen. Darüber hätte dann der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) zu entscheiden.

Kein „anpassungsfähigen Alter“ zum Abschiebe-Zeitpunkt

Das BVwG verweist in seinem auch der APA vorliegenden Urteil darauf, dass die in Wien geborene Tina bis zu ihrer Abschiebung mehr als zehn Jahre ihres Lebens in Österreich verbracht und somit „ihre grundsätzliche Sozialisierung“ hier erfahren habe. Es sei daher von einem „sehr ausgeprägten Bezug“ zu Österreich auszugehen. Sie habe sich zum Zeitpunkt der Abschiebung auch nicht mehr in einem „anpassungsfähigen Alter“ befunden. Vielmehr sei von einer „bereits starken Verwurzelung“ in Österreich auszugehen und dass nur ein geringer Bezug zu Georgien bestehe. Der Vollzug der Abschiebung erwies sich für das BVwG ohne erneute Abwägung des Kindeswohls als „unverhältnismäßig“.

Innenministerium soll Zusammenführung der Familien rasch ermöglichen

Für Anwalt Embacher bestätigt das Urteil, dass von den Asylbehörden grobe Fehler gemacht worden waren und so „mit schwerwiegenden Auswirkungen auf die Psyche und die Entwicklung von Kindern“. Er fordert als symbolischen Akt der Wiedergutmachung, dass das Innenministerium nun den Rückflug für Tinas Mutter und ihre jüngere Schwester organisiert, um die Zusammenführung der Familie rasch zu ermöglichen, so Embacher in einer Aussendung des Bündnis „Gemeinsam für Kinderrechte“.

Abschiebung nach Georgien rechtswidrig

Die Abschiebung der damals zwölfjährigen Tina, ihrer damals fünfjährigen Schwester und ihrer Mutter im Jänner 2021 nach Georgien war rechtswidrig. Das entschied nun das Bundesverwaltungsgericht. Wie aus dem von Anwalt Wilfried Embacher auf Twitter veröffentlichten Urteil hervorgeht, gab das Bundesverwaltungsgericht den Beschwerden gegen die Abschiebung statt.

BFA wird vermutlich Revision einlegen

Das BFA kündigte in einer Stellungnahme gegenüber der APA an, dass es „aus heutiger Sicht vermutlich eine Revision einlegen“ werde. Den Vorwurf, ohne erneute Abwägung die Abschiebung vollzogen zu haben, wies das BFA zurück und betonte, dass die letzte Prüfung über die Zulässigkeit unmittelbar vor der Abschiebung stattgefunden habe. Das Bundesamt stellte auch fest, dass seit der letzten rechtskräftigen Entscheidung zur Ausreiseverpflichtung die Mutter vier Abschiebeversuche vereitelt habe. Das könne man zwar den Kindern nicht vorwerfen, aber in einem Rechtsstaat könne nicht akzeptiert werden, dass man durch rechtswidriges Verhalten Vorteile erhalte. Und dass sich Tina zum Zeitpunkt der Abschiebung nicht mehr in einem anpassungsfähigen Alter befand, sei auch nur deshalb der Fall, weil sich die Mutter jahrelang sämtlichen Abschiebeversuchen entzogen habe.

Asylamtsdirektor Maier zu rechtswidriger Abschiebung

Gernot Maier, der Chef des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, ist zu Gast und spricht über die Abschiebung der damals zwölfjährigen Tina und ihrer Familie im Jänner 2021 nach Georgien. Das Bundesverwaltungsgericht hat nun entschieden, dass diese Abschiebung rechtswidrig war. Laut Maier sei die Abschiebung im Vorfeld auf korrekte Weise geprüft worden.

Laut BFA erfolgte Prüfung der Tage vor Abschiebung

BFA-Direktor Gernot Maier bekräftigte in der „ZiB2“ gestern Aabend, dass drei Tage vor der Abschiebung geprüft und dokumentiert worden sei, ob sich gravierende Änderungen ergeben hätten und die Abschiebung zulässig sei. Er argumentierte zudem, dass das rechtswidrige Verhalten der Mutter der Tochter nicht vorwerfbar, aber zurechenbar sei, denn die Mutter sei Obsorgeberechtigte. Und diese habe sich mit allen Mitteln insgesamt sieben Mal der Abschiebung entzogen.

Schülervisum für Tina seit Ende Februar

Die inzwischen 13 Jahre alte Tina war am 30. Dezember 2021 wieder nach Wien zurückgekehrt und hatte am 25. Februar ein Schülervisum erhalten. Das Mädchen war am 28. Jänner 2021 mit ihrer Mutter und der jüngeren Schwester unter Protesten nach Georgien abgeschoben worden. Seit ihrer Rückkehr nach Wien lebt sie bei einer Gastfamilie. Ihre Schwester und die Mutter blieben in Georgien.

Massive Proteste gegen Abschiebung

Tagelang protestierten damals Lehrerinnen und Lehrer, Freundinnen und Freunde, aber auch Teile der Bevölkerung gegen die Abschiebung. Auch die Sitzblockaden vor dem Familienabschiebezentrum haben am Ende nichts geholfen. Ihre zwangsweise Außerlandesbringung hatte damals auch Verwerfungen in der Türkis-Grünen-Koalition und eine Debatte über Kinderabschiebungen ausgelöst.

Folgen auch für andere Abschiebungen

In der Folge wurde eine Kindeswohlkommission unter dem Vorsitz der ehemalige Präsidentin des Obersten Gerichtshofs, Irmgard Griss, eingerichtet, die zahlreiche Empfehlungen augearbeitet hat. Griss bestätigt gegenüber der Minderheitenredaktion, dass das Urteil Signalwirkung haben könnte: „Denn das BVwG sagt damit, dass Kinder eigene Rechte haben und das Kindeswohl (noch einmal) geprüft werden muss, wenn die Rückkehrentscheidung schon längere Zeit zurückliegt. Die logische Folge ist, dass eine Abschiebung unzulässig sein kann, obwohl die Eltern (wie im Fall Tina) immer wieder (aussichtslose) Anträge gestellt und damit das Verfahren hinausgezögert haben.“

Forderung nach permanenter Kindeswohlkommission

Das Bündnis „Gemeinsam für Kinderrechte“ erneuerte in einer Aussendung seine Forderung nach einer permanenten Kindeswohlkommission. „Die Abschiebung von Tina und ihrer Familie hätte nicht stattfinden dürfen – das Leid als Folge dieser fremdenpolizeiliche Maßnahme hätte verhindert werden können“, so Katharina Glawischnig, Koordinatorin des Bündnisses. Es gebe Hoffnung, dass auch in anderen Asylentscheidungen das Kindeswohl stärker berücksichtigt wird, so Glawischnig, die auf eine rasche Umsetzung der Empfehlungen der Kindeswohlkommission pocht.

SPÖ fordert Entschuldigung von Nehammer

SPÖ-Sicherheitssprecher Reinhold Einwallner forderte eine Entschuldigung des damaligen Innenministers und jetzigen Bundeskanzlers Karl Nehammer (ÖVP). Außerdem müsse das Innenministerium „umgekrempelt“ werden und sämtliche Empfehlungen der Kindeswohlkommission müssten sofort umgesetzt werden, verlangte Einwallner in einer Aussendung.

NEOS für unabhängiges Kinderrechte-Monitoring

Die NEOS-Sprecherin für Inneres, Stephanie Krisper, zeigte über die Entscheidung erfreut, es sei aber auch „tragisch, dass es in einem Rechtsstaat überhaupt so weit gekommen ist“, hielt sie gegenüber der APA fest. Das BVwG-Urteil sei auch ein Urteil über das Verhalten des damaligen Innenministers Nehammer. Denn während auf Basis der geltenden Rechtslage Tina und ihrer Familie zur Wahrung des Kindeswohls ein humanitäres Bleiberecht zugestanden wäre, habe dieser sogar nach einer Prüfung an der falschen Position festgehalten, beklagte Krisper. Sie fordert, für ähnlich gelagerte Fälle ein unabhängiges Kinderrechte-Monitoring einzurichten. Bei Entscheidungen über das humanitäre Bleiberecht sollten darüber hinaus die betroffenen Länder bzw. Gemeinden künftig stärker eingebunden werden.

Vorrang des Kindeswohl ausreichend beachten

Das Netzwerk Kinderrechte betonte in einer Aussendung, dass das Wohl des Kindes grundsätzlich bei allen Kinder betreffenden Maßnahmen eine vorrangige Erwägung sein müsse. Dieser in der Verfassung verankerte Vorrang des Kindeswohls sei bei der Abschiebung nicht ausreichend beachtet worden.