Gerhard Wenzel – Humanist, Universalgelehrter und Qigong-Ausbildner
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Gedenken

Gerhard Wenzels Erbe in der integrativen Medizin

„Wie kann ich dir helfen?“ – Mit diesem Zugang begegneter der große Humanist und Universalgelehrte Gerhard Wenzel zahlreichen Sportlerinnen und Sportlern, Künstlerinnen und Künstlern sowie Qigong-Praktizierenden.

Gerhard Wenzels große Lebensmeriten umfassen die Verbreitung der fernöstlichen Lebenspflege, des Qigong, in Österreich, und somit wurde er zu einem Vorreiter der integrativen Medizin.

Kindheit im Nachkriegs-Wien

Gerhard Wenzel wurde am 2. Jänner 1942 in Wien der Nachkriegszeit geboren. Gezeichnet von Hunger, bekam er als Kleinkind schwer krank, die letzte Ölung. „Wie ich im Spital auf so einer Diphtherieisolationstation war und neben mir jeden Tag und jede Nacht Kinder gestorben sind, hegte ich den ganz wirksamen und intensiven Entschluss zu leben“, sagte Wenzel in einem Interview mit „Heimat Fremde Heimat“ im Jahr 2016. Dieses Erlebnis half dem späteren Mediziner zu verstehen, wie entscheidend der Überlebenswillen für den Heilungsprozess von Kranken sein kann.

Gerhard Wenzel – Humanist, Universalgelehrter und Qigong-Ausbildner
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Antifaschistische Demonstration mit Folgen

Eine weitere prägende Lebenserfahrung war für Gerhard Wenzel die Zeugenschaft des Todes des KZ-Überlebenden Ernst Kirchweger im Jahr 1965. Da auf der Universität für Welthandel der Universitätsprofessor Taras Borodajkewycz in den Vorlesungen ganz offen antijüdische Propaganda betrieb, trafen sich links orientierte Studierende zu einer Demonstration in der Wiener Innenstadt. Es kam zu tätlichen Auseinandersetzungen mit dem Ring Freiheitlicher Studenten. Wenzel erinnert sich: „Dann steigt ein alter Mann im Hubertusmantel zwischen diese Fronten und sagt: Buben hört auf! Ich war im KZ! Ich möchte das nicht noch einmal erleben! Einer von den freiheitlichen Studenten geht hin und stößt ihn auf die Brust und er fällt um auf den Gehsteigkante und der Schädel bricht. Ich sehe das noch vor mir, wie er nach hinten fällt und sich nimmer rührt.“ Mit dieser Erfahrung verschrieb sich Gerhard Wenzel dem friedvollen, zwischenmenschlichen Umgang.

Integrative Medizin

Nach dem Medizinstudium im Zuge der Praktika in der Internen und der Anästhesie erkannte Wenzel, dass die Patientinnen und Patienten nicht wie im Lehrbuch reagierten. Das brachte ihn dazu, sich nach zusätzlichen Hilfsmitteln umzuschauen. „Wenn man selber einmal krank war, weiß man, dass nicht nur körperliche Faktoren eine große Rolle spielen, sondern auch seelische, mentale und vor allem soziale Probleme. Das soll jetzt nicht die Fortschritte der Chirurgie und all der anderer wertvollen medizinischen Fachbereiche kleinmachen. Es geht mir nie um alternative Medizin, sondern immer um integrative Medizin“, so Wenzel.

Cong Yong Chun – Lehrer von Gerhard Wenzel
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Lehrjahre in China

Diese Suche nach ganzheitlichen Heilungsperspektiven führte Gerhard Wenzel über die Akupunktur nach China. Er wollte die Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) von der Pike auf lernen. In der Akupunktur geht es darum, über das Instrument der Nadel Energie zu übertragen. In Peking angekommen, teilte Professor Gao seinen westlichen Studenten mit, dass sie vor den Nadeln zuerst Qigong erlernen müssten. An der Universität in Fuzhou studierte der westliche Mediziner Gerhard Wenzel Qigong bei Cong Yong Chun.

1.000 Qigong-Lehrerinnen und Lehrer

Zurückgekehrt aus China wollte Gerhard Wenzel sein erlangtes Wissen an Interessierte weitergeben. Neben seiner Arztpraxis in Schwarzach im Salzburger Pongau bildete er im nahen Goldegg mit seinem Kollegen, dem deutschen Qigong-Ausbildner, Norbert Herwegh, über 1.000 Qigong-Lehrerinnen und Lehrer aus. Sie riefen auch die Österreichische Qigong Gesellschaft ins Leben.

Norbert Herwegh
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Wissenschaftliche Verankerung des Qigong

Wenzel war immer bemüht, seine Erkenntnisse auch durch westliche wissenschaftliche Untersuchungen zu festigen. Den sogenannten durch Meditation hervorgerufenen Qigong-Zustand hat Gerhard Litscher vom Forschungszentrum Graz wissenschaftlich untermauert.

Zusammenarbeit mit Österreichs Sportelite

Gerhard Wenzel und sein 2012 verstorbenen Freund und Mitstreiter Werner Tautermann teilten ihr Wissen und Können mit bekannten Weltklassesportlerinnen und -sportlern wie Hermann Maier, Fritz Strobl, Renate Götschl, Andi Goldberger, Alexander Manninger, Felix Gottwald, Marc Janko. Sie standen Top-Athletinnen und -Athleten und bekannte Persönlichkeiten aus Kunst und Wirtschaft hilfreich zur Seite. „Ich kann mich erinnern 1995, da haben wir uns freiwillig versteckt beim Qigong-Üben, weil wir nicht unbedingt als wahnsinnig erklärt werden wollten. Dann zeigte sich, dass wir durch Qigong nicht nur leistungsmäßig zulegten. Wenn man Qigong übt, ist man für sich da. Durch dieses für sich da sein, hast du erst die Möglichkeit, dass du auch für andere da bist. Und dann entsteht aus nicht nur ein Nebeneinander, nicht nur ein Miteinander, sondern ein Füreinander. Und das wäre das, wo wir hinwollen“, so Österreichs erfolgreichster Olympionike, der nordische Kombinierer Felix Gottwald im Interview mit „Heimat Fremde Heimat“.

Ehemaliger Nordischer Kombinierer und mehrfacher Olympiasieger Felix Gottwald
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Bewusstsein für gesellschaftlichen Zusammenhalt

Im Austausch mit Wissenschafterinnen und Wissenschaftlern sowie Sportlerinnen und Sportlern gelang es Wenzel den zwischenmenschlichen Zusammenhalt zu forcieren. Wobei der Universalgelehrte immer kritisch gesellschaftliche Entgleisungen benannte, infrage stellte und Lösungen aufzeigte. „Es ist ein menschliches Grundverhalten nicht primär die Schuld bei sich selbst zu suchen, sondern jeder sucht den berühmten Feind. Der Feind ist dann alles, was gegen meine Interessen ist. Der Feind ist alles, was gegen meine Absichten ist. Der Feind ist alles, was gegen mein Wollen ist. Erziehung zu Toleranz oder gar die Einsicht, wie ticke ich selbst und wie kann ich mit meinen Emotionen umgehen, ist kein Teil unserer Bildung. Das wird nicht unterrichtet, weder im Elternhaus noch in der Schule“, so Wenzel. Am 24. Oktober 2021 ist Gerhard Wenzel in Schwarzach im Pongau verstorben und wurde vor dem Schloss Goldegg verabschiedet. Wenzel hat bis zuletzt für ein gesellschaftliches Miteinander geworben – ein Friedensprinzip, das beinhaltet, dass die Welt Platz für verschiedenste Positionen hat.

Gerhard Wenzel – Humanist, Universalgelehrter und Qigong-Ausbildner
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Stimmen zum Tod von Gerhard Wenzel

Willi Resetarits, Musiker: "Was Gerhard Wenzel und ich gemeinsam haben: die Kindheit und Jugend im Wien der Nachkriegszeit, das große Interesse an Musik und dass wir beide die Welt verändern, ja verbessern wollten. Gerhard studierte Musikwissenschaften, Sinologie und Medizin, lernte in Indien und China; und die Musik musste letztendlich hintanstehen. Als Arzt hat er immer den Menschen in seiner Ganzheit in den Mittelpunkt gestellt. ‚Wie kann ich dir helfen?‘ – das ist eine Frage, die wahrscheinlich nicht nur ich mit Gerhard Wenzel verbinde. Ich werde unsere Gespräche vermissen. Gerhard ist dem Ziel unserer Jugend gerecht geworden. Er hat die Welt für viele Menschen verändert und sie besser gemacht.

Felix Gottwald, Sportler: „Ich bin durch Gerhard Wenzel 1995 mit Qigong in Berührung gekommen. Gerhard und viele seiner Weggefährt:innen prägen mein Leben bis heute. Ich bin dankbar Gerhard kennengelernt zu haben. Er ist für mich der Inbegriff dafür, dass Konsequenz und Feingefühl zusammengehören. In diesem Sinne: Jeder Tag, ein guter Tag. Und: Wir üben freudvoll weiter … 🙏🏼“

André Heller, Künstler: „Der Gerhard möge in der anderen Dimension nun viel von dem liebevoll Guten reich verzinst zurückerhalten, das er beharrlich in unsere polare Welt gebracht hat!“

Georg Thurn Valsassina, Architekt: „Ich habe bis zum Schluss meinen Freund Gerhard Wenzel bewundert, dass er weiterhin Tag und Nacht arbeitete. Er hatte große Schicksalsschläge zu verkraften, mit drei Todesfällen in kürzester Zeit in seiner engsten Familie, und trotzdem machte er immer weiter damit die Menschen aus dem alte Denkschema – das ist Krieg, das ist Wettbewerb, das ist Neid, das ist Hass – aussteigen. Dafür bin ich ihm unendlich dankbar.“