Eröffnung der Ausstellung „Das Wiener Modell der Radikalisierung. Österreich und die Shoah“ am Wiener Heldenplatz. (15.10.2021)
APA/HANS PUNZ
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Heldenplatz-Schau

Wiens Vorbildrolle für NS-Terror gegen Juden

Jahrzehntelang gefiel sich Österreich in Bezug auf den Nazi-Terror in der Opferrolle. Dass Wien im Gegenteil sogar eine verbrecherische Vorreiterrolle hinsichtlich des Antisemitismus im NS-Staat und der Deportationen von Jüdinnen und Juden in die Vernichtungsstätten einnahm, zeigt nun eine Outdoorausstellung.

Die frei zugängliche Schau „Das Wiener Modell der Radikalisierung. Österreich und die Shoah“ ist ab sofort am symbolträchtigen Heldenplatz zu sehen. Anlass für die acht Stationen umfassende Ausstellung ist der 80. Jahrestag der ersten Deportationstransporte. Am 15. Oktober 1941 verließ der erste Zug mit 1.000 österreichischen Jüdinnen und Juden den Wiener Aspangbahnhof in das Ghetto Litzmannstadt/Łódź. Im Verlauf des folgenden Jahres folgen 39 weitere Transporte Zehntausender Menschen in die Konzentrationslager und Mordstätten des Regimes – hauptsächlich nach Theresienstadt.

„Das Wiener Modell der Radikalisierung. Österreich und die Shoah“

am Wiener Heldenplatz, frei zugänglich bis 10. Dezember; Kuratorinnenführung jeden Freitag, um 15.30 Uhr

Österreich frühe zentrale Rolle

Allerdings macht die Freiluftschau deutlich, wie früh Österreich bereits eine zentrale Rolle für die nationalsozialistische Politik spielte. So baute Adolf Eichmann 1938 die Wiener „Zentralstelle für jüdische Auswanderung“ auf. Es war die erste Behörde dieser Art im NS-Staat, die die systematische Vertreibung und Beraubung der jüdischen Bevölkerung zum Ziel hatte. „Für Eichmann war Wien ein Karrieresprungbrett“, sagte die Historikerin Annemarie Uhl als eine der drei Kuratorinnen heute bei der Ausstellungspräsentation. Nach Wiener Vorbild werden auch in Berlin, Prag und Amsterdam entsprechende „Zentralstellen“ eingerichtet.

Pläne zur „judenfreien“ Großstadt Wien

Auch bei den eigentlichen Todestransporten nahm Wien eine unrühmliche Pionierstellung ein. Im Oktober 1940 brachte der hiesige Gauleiter Baldur von Schirach bei Hitler seinen Plan vor, Wien als erste Großstadt im Deutschen Reich „judenfrei“ zu machen. Nach vereinzelten Deportationen im Februar und März 1941 begannen Mitte Oktober desselben Jahres dann die reichsweiten Transporte.

Eröffnung der Ausstellung „Das Wiener Modell der Radikalisierung. Österreich und die Shoah“ am Wiener Heldenplatz. (15.10.2021)
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„Besondere historische Verantwortung Österreichs“

Realisiert wurde das Ausstellungsprojekt vom Haus der Geschichte Österreich (hdgö) in Kooperation mit der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, dem Institut für Zeitgeschichte der Uni Wien und dem Verein zur Förderungen kulturwissenschaftlicher Forschungen. Sowohl hdgö-Direktorin Monika Sommer als auch Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) betonten heute in einer Pressekonferenz die „besondere historische Verantwortung Österreichs“ hinsichtlich des Gedenkens an die Opfer der Nazi-Gräuel einerseits und des Kampfes gegen gegenwärtige Formen des Antisemitismus andererseits.

Von Widerstand und Menschlichkeit

Die mit vielen Fotografien von Akten, Dokumenten, Opfern und Überlebenden angereicherte Ausstellung erzählt auch von Widerstand und Menschlichkeit – etwa von dem nicht-jüdischen Schularzt Josef Feldner, der den Jugendlichen Hans Busztin drei Jahre lang versteckte und so als einzigen seiner Familie vor dem Tod rettete. Derlei Geschichten seien wichtig, um auch in heutiger Zeit zu Zivilcourage zu ermutigen, unterstrich Oskar Deutsch, Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Wien. In ganz Europa sei die Zahl antisemitischer Vorfälle zuletzt stark gestiegen: „Es ist höchste Zeit, diese gefährliche Dynamik zu durchbrechen.“

Eröffnung der Ausstellung „Das Wiener Modell der Radikalisierung. Österreich und die Shoah“ am Wiener Heldenplatz. (15.10.2021)
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Niederschwelliges Bildungs- und Vermittlungsangebot

Niederschwellige Bildungs- und Vermittlungsangebote wie diese Outdoorausstellung seien ein wichtiger Beitrag dazu, betonte hdgö-Direktorin Monika Sommer. Es sei ein wichtiges Zeichen, das Projekt gerade am Heldenplatz als zentralen Platz der Republik zeigen zu können. Der Ort ist insofern symbolträchtig, als Hitler hier vom Balkon der Neuen Hofburg am 15. März 1938 vor jubelnden Massen seine „Anschlussrede“ gehalten hatte.

Mangelndes Schuldeingeständnis und Wiedergutmachung

Dass es um Schuldeingeständnis oder gar Wiedergutmachung nach dem Ende des Naziregimes hierzulande gelinde gesagt nicht zum Besten bestellt war, wird am Ende der Schau einmal mehr in Erinnerung gerufen. Nicht nur die Feindseligkeit von Bevölkerung und Politik gegenüber vertriebenen Rückkehrern, sondern auch die nachlässige Täterverfolgung und Entnazifizierung sowie verschleppte Rückstellungen enteigneter Besitztümer, die bis zu heute laufenden Restitutionsverfahren in Sachen Raubkunst reichen, werden thematisiert.