Container an der bosnisch-kroatischen Grenze bei Bosanska Bojna. (30.12.2020)
ELVIS BARUKCIC / AFP / picturedesk.com
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Bosnien-Kroatien

Afghanischer FIFA-Schiedsrichter berichtet von Pushback

Die kroatischen Behörden setzen offenbar weiterhin darauf, geflüchtete Menschen mit Gewalt nach Bosnien zurückzudrängen. So berichtet Ibrahim Rasool, ein aus Afghanistan geflüchteter FIFA-lizenzierter Schiedsrichter, gestern im Gespräch mit der APA.

Kroatische Polizisten hätten ihm eine Waffe an den Kopf gehalte, um ihn und andere nach Bosnien zurückzudrängen. „Immer wieder schlagen uns die kroatische Grenzpolizisten mit Brutalität nach Bosnien zurück“, so Rasool.

Vor einem Monat in Bosnien gestrandet

Vor vier Jahren sei er in den Iran geflohen, erzählt der 33-Jährige. Da das Leben dort aber gefährlich gewesen sei, sei er nach acht Monaten weiter in die Türkei und von dort per Schiff nach Griechenland. „Dort ist die Situation für Flüchtlinge sehr schwierig“, berichtet der in der Provinz Bamiyan geborene Angehörige der schiitischen Hazara-Minderheit. Nach zwei Jahren sei es ihm dann aber gelungen, seine Reise fortzusetzen, ehe er vor rund einem Monat in Bosnien gestrandet sei.

Coach der Futsal-Nationalmannschaften

Mittlerweile befinde er sich wieder in einer Zeltsiedlung mitten auf einem Feld in der bosnischen Grenzstadt Velika Kladuša, sagt Rasool. Strom, Wasser und Heizung gebe es nicht, das Essen müssten sie sich im nahen Dorf kaufen. Vom bosnischen Staat gebe es überhaupt keine Hilfe, so Rasool, der auch die Futsal-Nationalmannschaften der Herren und Frauen in Afghanistan coachte.

Über 500 Geflüchtete in Velika Kladuša

Laut der österreichischen NGO SOS Balkanroute sind zur Zeit über 500 Flüchtlinge, darunter auch zahlreiche Neugeborene, in Velika Kladuša. „Wenn man afghanische Familien sieht, die vor den Taliban geflohen sind und deren Kinder jetzt auf schlammigen Feldern in Bosnien leben müssen, dabei immer wieder mit Gewalt von der kroatischen Polizei nach Bosnien zurückgedrängt werden, dann kann es nur eine menschenwürdige Antwort auf die neuerliche Krise geben: Evakuieren und in Europa aufnehmen“, fordert die österreichische NGO.

In Afghanistan verhaftet und misshandelt

Rasool hatte seine Heimat vor vier Jahren verlassen, erzählt er weiter. Nach Missbrauchsvorwürfen aus der afghanischen Frauen-Fußballnationalmannschaft habe er gegen den damaligen Verbandspräsidenten Kiramuddin Karim ausgesagt, berichtet er. „Zum Glück sind die betroffenen Mädchen nun im Ausland in Sicherheit“, sagt Rasool. Er wisse alles über die Korruption im afghanischen Fußballverband, der damalige Verbandspräsident wollte aber, dass er schweige. So sei er inhaftiert worden und in Haft auch misshandelt worden.

Flucht vor Taliban

Zweimal hätten ihn auch die Taliban geschnappt, weil er als Schiedsrichter-Ausbilder und Futsal-Trainer in allen 32 Provinzen Afghanistan unterwegs gewesen sei. Die militanten Islamisten hätten ihn gefoltert und auch vorgehabt ihn zu töten, sagt er. Da sich aber mehrere ältere Personen für ihn verbürgt hätten, sei davon abgelassen worden. Nun hätten die militanten Islamisten aber seinen Vater verhaftet, erzählt er. „Mein Vater hat alle meine Dokumente verbrannt und den Taliban, die nach mir suchten, gesagt, er habe keinen Sohn“, sagt der junge Afghane. Auch seine Mutter, zu der er zuletzt vor einer Woche Kontakt hatte, wisse nun nicht, wo sein Vater sich befinde.

„Die Taliban werden mich töten“

In Bosnien habe er kürzlich ein Gespräch von afghanischen Paschtunen in Bosnien mitgehört, die sich froh über die Machtergreifung der Taliban gezeigt hätten. Er habe nichts gesagt, um nicht aufzufallen, berichtet Rasool. Nach Afghanistan könne er nicht zurück, auch wenn sich die vergangenen vier Jahre auf der Flucht wie „40 Jahre anfühlen“, wie er sagt. „Die Taliban werden mich töten“, ist er sich sicher.

Erneut Weg in Richtung Kroatien wagen

Die Situation in Bosnien sei „sehr schlimm“, Flüchtlinge hätten hier keine Zukunft, erzählt er. Insofern bleibe ihm nur der Weg in Richtung Kroatien, auch wenn hier die Gefahr groß ist, erwischt zu werden. Vergangene Nacht habe er es 20 Kilometer über die bosnisch-kroatische Grenze geschafft, ehe er aufgegriffen worden sei, erzählt er. Den nächsten Versuch eines Grenzübertritts dürfte er wohl bald wagen, daran werden auch die Pushbacks der Kroaten nichts ändern.

(Das Interview führte Martin Hanser/APA)