Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg (24.1.2018)
FREDERICK FLORIN / AFP / picturedesk.com
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EGMR

Stopp für Afghanistan-Abschiebung aus Österreich

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat mit einer einstweiligen Verfügung die geplante Abschiebung eines abgelehnten Asylwerbers nach Afghanistan gestoppt. Im Innenministerium spricht man von keinem „pauschalen Verbot“.

Von dem EGMR-Entscheid berichtete heute Lukas Gahleitner-Gertz von der NGO asylkoordination österreich auf Twitter. Als Grund wurde die Sicherheitslage vor Ort genannt. Im Innenministerium bestätigte man das auf APA-Anfrage. Der Spruch betreffe aber nur einen Einzelfall und sei „kein pauschales Verbot für uns“.

Allgemeine Gründe für Entscheid

Bei der Deserteurs- und Flüchtlingsberatung, die den Antrag beim EGMR eingebracht hat, hieß es ebenfalls, dass die Entscheidung zunächst nur für den konkreten Fall gelte. Das Besondere sei allerdings, dass die Gründe, die EGMR anführt, nicht auf den konkreten Fall bezogen, sondern rein allgemein seien, meint man dort. Der Gerichtshof weise zudem darauf hin, dass viele andere EU-Ländern aufgrund der bedenklichen Lage im Land bereits Abschiebungen nach Afghanistan gestoppt hätten.

Abschiebung bis 31. August ausgesetzt

Der EGMR bezieht sich in seiner Entscheidung auf Artikel 39 der Verfahrensordnung, wodurch vorläufige Maßnahmen angewendet werden, wenn unmittelbare Gefahr eines nicht wiedergutzumachenden Schadens droht. Im konkreten Fall geht es um die einstweilige Verfügung gegen die geplante Abschiebung, um Folter oder Lebensgefahr für den Betroffenen zu verhindern. Damit hat der EGMR die Abschiebung vorerst bis 31. August ausgesetzt, wie aus dem Schreiben hervorgeht, dass die Deserteursberatung auf ihrer Website veröffentlicht.

Gefahr von Menschenrechtsverletzungen

Aufgrund des Vormarsches der Taliban droht Rückkehrerinnen und Rückkehrern aktuell in Afghanistan die Gefahr von Menschenrechtsverletzungen, betont die Deserteurs- und Flüchtlingsberatung. Bisher hätten die österreichischen Behörden regelmäßig argumentiert, dass Abgeschobene in den Städten Mazar-e Sharif im Norden oder Herat im Westen des Landes Zuflucht finden könnten. „Diesbezüglich hat sich die Sicherheitslage seit Vormarsch der Taliban nun jedenfalls geändert“, betont die Organisation.

Evaluierung eines jeden Falles

Im Innenministerium betonte ein Sprecher, dass alle Fälle vor der Abschiebung evaluiert würden, so auch dieser. In diesem Einzelfall fließe nun der EGMR-Spruch ein, es gehe um einen Aufschub bis Ende August. Die einstweilige Verfügung stelle kein „pauschales Verbot“ von Abschiebungen nach Afghanistan dar.

Diskussion über Abschiebungen nach Afghanistan

Das Thema Abschiebungen nach Afghanistan hatte zuletzt für politischen Zündstoff in Österreich gesorgt, auch innerhalb der Koalition von ÖVP und Grünen. Verschärft hatte sich dies nach der Tötung einer 13-Jährigen mutmaßlich durch afghanische Asylwerber.

Sorge um immer mehr zivile Opfer

Seit Beginn des Abzugs der US- und Nato-Truppen haben die Taliban bedeutende Gebietsgewinne vor allem im ländlichen Raum erzielt. Aktuell verlagern sich die Gefechte zunehmend in die Städte. Kämpfe gibt es etwa im westlichen Herat sowie in Kandahar und Lashkargah im Süden. So würden die andauernden Gefechte in der Provinzhauptstadt Lashkargah immer mehr zivile Opfer fordern. Binnen 24 Stunden seien in der Stadt mindestens 40 Zivilisten getötet und 118 verletzt worden, teilte die UN-Mission in Afghanistan, UNAMA heute auf Twitter mit. Wie das Verteidigungsministerium in Washington heute mitteilte, haben die USA ihren Truppenabzug aus Afghanistan zu mehr als 95 Prozent abgeschlossen. Bis Ende August wollen sie ihren Militäreinsatz in Afghanistan nach knapp 20 Jahren vollständig beenden.