Flüchtlingslager von Kara Tepe in Mytilini auf der griechischen Insel Lesbos. (29.3.2021)
ARIS MESSINIS / AFP / picturedesk.com
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Ärzte ohne Grenzen

Situation auf Lesbos verschlimmert

Trotz sinkender Zahlen der Geflüchteten sowie Migrantinnen und Migranten auf den griechischen Inseln in der Ost-Ägäis hat sich die Situation, insbesondere auf Lesbos, nach Ansicht von Ärzte ohne Grenzen (MSF) nicht verbessert, sondern deutlich verschlechtert.

Neun Monate nach dem Brand des riesigen Flüchtlingslagers Moria sei es „noch viel schlimmer“ als zuvor, sagte heute Marcus Bachmann, Berater für humanitäre Angelegenheiten. Die EU sei „nicht willens“, auch nur die Mindeststandards einzuhalten.

Verschlechterung durch „Mehrzweckzentren“ befürchtet

Mit der geplanten Errichtung von insgesamt fünf neuen Zentren auf den Inseln Lesbos, Samos, Kos, Leros und Chios fürchtet Ärzte ohne Grenzen eine weitere Verschlechterung. Die sogenannten „Mehrzweckzentren“, für die die griechische Regierung über 120 Millionen Euro finanzielle Unterstützung seitens der EU-Kommission erhält, würden ein System etablieren, „in dem es noch mehr Lücken in der Versorgung (der Flüchtlinge, Anm.) geben wird“, warnte Bachmann in dem Online-Pressegespräch vor Journalisten. So würden Grauzonen und „enorme Unschärfen“, etwa was die Zuständigkeit und Verantwortlichkeit in den Zentren betrifft, erzeugt.

„Lager werden die perfekten Black Boxes sein“

„Diese Lager werden die perfekten Black Boxes sein“, so der MSF-Experte. Schon jetzt seien die Flüchtlingscamps für die Zivilgesellschaft oder Journalisten unzugänglich, jegliche Kontrolle von außen fehle also. Die neuen Lager sollen noch schärfer kontrolliert werden, berichtete Bachmann. Tatsächlich plant die Kommission gemeinsam mit Brüssel sogenannte geschlossene Flüchtlingseinrichtungen. Bachmann rechnete mit „hermetisch abgeriegelten“ Zentren, die er als „Menetekel“ für weitere Verschlechterungen auf Kosten der Geflüchteten bezeichnete.

Hoffen auf Umdenken in der EU

Dies sei nur eine „Fortsetzung von Abschreckung und der Abschottungspolitik“. „Wir erleben hier eine paradoxe Situation: Auf der einen Seite werden Flüchtlinge als Erzeuger einer Krise ins Schlaglicht gezerrt, auf der anderen Seite sollen sie unsichtbar gemacht werden“, so Bachmann. Ärzte ohne Grenzen appellierte auch an die österreichische Bundesregierung, sich für den sofortigen Stopp der Schaffung neuer „menschenverachtenden Mehrzwecklager“ einzusetzen und hoffte auf ein „Umdenken in der Debatte über Flucht und Migration in der EU“. Die Verachtung von Menschenrechten auf europäischem Boden sei unerträglich, unrühmlich und unsäglich.

Umstände „unvorstellbar“ und „bewusst herbeigeführt“

Auch Julia Falkner, die die vergangenen drei Monate als Hebamme für Ärzte ohne Grenzen auf Lesbos im Einsatz war, berichtete von einer Verschlimmerung der Situation auf der Insel nach dem Brand von Moria. Die Umstände, unter denen Geflüchtete und vor allem Schwangere oder Mütter mit Neugeborenen leben müssten, seien „unvorstellbar“ und „bewusst herbeigeführt“ – denn eigentlich könne man es besser machen.

Eine Dusche und eine mobile Toilette für 70 Personen

Obwohl sich die griechische Regierung damit rühmt, die Zahl der Geflüchteten auf den Ägäis-Inseln stark reduziert zu haben – derzeit befinden sich dort noch etwa 10.000 Menschen im Vergleich zu 40.000 Menschen im April 2020 –, sei die Situation noch immer „verheerend“, meinte Falkner. Die Lager seien zwar nicht ganz so stark überfüllt, doch noch immer müssten sich 70 Personen eine Dusche und eine mobile Toilette teilen. Rund ein Viertel der Verbliebenen habe einen gültigen Schutzstatus und werde somit „ungerechtfertigt“ festgehalten, erklärte Bachmann.

NEOS für Lösung „im Sinne von Kontrolle und Menschenrechten“

Mit einem wiederholten Appell für eine Lösung "im Sinne von Kontrolle und Menschenrechten“ reagierte NEOS-Sprecherin für Asyl und Migration, Stephanie Krisper, auf die Schilderungen von MSF. „In Hinblick auf die Milliarden Euro, die von der EU an Griechenland geflossen sind, ist es nicht erklärbar, dass die Zustände dort so horrend sind“, so Krisper, die kürzlich selbst Lesbos besuchte. An die Regierung und Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) appellierte die NEOS-Mandatarin, die „Blockade gegen gemeinsame Lösungen“ aufzugeben und sich für eine „solidarische europäische Lösung mit rechtsstaatlichen, effizienten Verfahren“ einzusetzen. Dazu brauche es eine Evakuierung der Geflüchteten von den Inseln. Die ÖVP lehnt die Aufnahme von Schutzsuchenden aus Griechenland strikt ab.