Österreichischer Reisepass(24.4.2008)
BARBARA GINDL / APA / picturedesk.com
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Befund

Restriktives Staatsbürgerschaftsrecht

Österreichs Staatsbürgerschaftsrecht zählt weltweit zu den restriktivsten. Zu diesem Befund kommen Migrationsexpertinnen und -experten der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in einer neuen Publikation über Doppelstaatsbürgerschaften.

Demnach zählt Österreich zu jenen 19 Prozent aller Staaten, die keine doppelte Staatsangehörigkeit anerkennen. Doch immer mehr Länder würden Doppelstaatsbürgerschaften tolerieren.

Trend zur Duldung von doppelter Staatsbürgerschaft

„Der globale Trend zur Duldung einer doppelten Staatsbürgerschaft ist ganz eindeutig“, sagte der Migrationsforscher Rainer Bauböck, Obmann der Kommission für Migrations- und Integrationsforschung der ÖAW und Professor am Robert Schuman Centre for Advanced Studies am European University Institute, zur APA. Die Staaten würden so versuchen, die Bindung zu ihren ausgewanderten Bürgerinnen und Bürgern aufrechtzuerhalten oder Eingewanderte zur Einbürgerung zu ermutigen. Seit 1960 würden immer mehr Länder ihren restriktiven Kurs ändern, in Europa zuletzt etwa Norwegen, davor Dänemark und Luxemburg oder die Tschechische Republik.

„Flucht, Asyl und Doppelstaatsbürgerschaft – Wo steht Österreich im Vergleich?“

Präsentation der Bücher „Dual Citizenship and Naturalisation“ & „Flucht und Asyl“, Barbara Coudenhove-Kalergi und Anton Pelinka diskutieren mit den HerausgeberInnen, Mittwoch, 19. Mai 2021, 17.00-18.30 Uhr, Online-Podiumsdiskussion

Zusammenhang von Staatsbürgerschaft und Integration

In dem Buch „Dual Citizenship and Naturalisation“ untersuchen Bauböck und der Soziologe Max Haller als Herausgeber diese Änderungen der staatlichen Haltung und ihre sozialen Auswirkungen. In der Forschung sei man sich einig, dass Staatsbürgerschaft und Integration zusammenhängen: „Es gibt zahlreiche sozialwissenschaftliche Untersuchungen, die belegen, dass der Zugang zur Staatsbürgerschaft als Katalysator für Integration wirkt“, so Bauböck. Ein Pass der neuen Heimat vermittle Einwanderern nicht nur ein Gefühl von Sicherheit und Zugehörigkeit, er bringe auch bessere Chancen am Arbeitsmarkt und Zugang zu demokratischer Teilhabe, wie die Möglichkeit zu wählen.

Vielfältige Gründe für restriktiven Kurs

Bauböck ortetet mehrere Gründe für Österreichs restriktiven Kurs in dieser Frage: Da sei zunächst die Parteienkonstellation der Regierungen in den vergangenen Jahrzehnten, „wo es klar war, dass keine Liberalisierung möglich ist“. So habe etwa die SPÖ diese Frage nicht als wichtig genug angesehen, um der ÖVP die Themenführerschaft streitig zu machen, und eher auf das Thema der sozialen Integration gesetzt. Ein weiterer Grund sei die türkische Bevölkerungsgruppe in Österreich und die Wahrnehmung, dass sie sich nicht ausreichend zu Österreich bekenne – „und das wird wiederum verknüpft mit der Doppelstaatsbürgerschaft“. Gezeigt hat sich das etwa in der Diskussion um angeblich illegale Doppelstaatsbürgerschaften, die aufflammte, als nach einem türkischen Verfassungsreferendum 2017 Auszüge aus dem türkischen Wählerregister auftauchten.

Publikation „Dual Citizenship and Naturalisation. Global, Comparative and Austrian Perspectives“, Rainer Bauböck and Max Haller (eds.)
Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften

Bauböck, Rainer & Haller, Max: Dual Citizenship and Naturalisation: Global, Comparative and Austrian Perspectives. Reihe: Sitzungsberichte der philosophisch-historischen Klasse. Band: 910. Verlag: VÖAW. 2021. 317 Seiten. ISBN13: 978-3-7001-8775-2. 49,00 Euro und open access

Nationale Identität wird mit eindeutiger Loyalität gleichgesetzt

Auch die Art und Weise, wie nach 1945 der österreichische Kulturpatriotismus entstanden ist, spielt für Bauböck in die Staatsbürgerschafts-Frage hinein. Mit diesem Kulturpatriotismus wollte man sich als gefestigte Nation mit eigener nationaler Identität darstellen. Das zeige sich auch in der Ablehnung der Doppelstaatsbürgerschaft – mit dem Argument, dass nationale Identität etwas mit dem Bekenntnis zu einer eindeutigen Loyalität zu tun hat.

Doppelstaatsbürgerschaft als „angemessener Ausdruck“ von Lebensverhältnissen

Für Bauböck steht diese Haltung allerdings im Gegensatz zu den meisten anderen Staaten, für die sich das nicht ausschließe. „Migranten leben in zwei Gesellschaften und haben Bindungen an beide Staaten, daher ist die Doppelstaatsbürgerschaft auch ein angemessener Ausdruck dieser Lebensverhältnisse“, so der Migrationsforscher, der in Österreich auch eine gewisse Inkohärenz in dieser Frage ortet, gebe es doch „viele Ausnahmen“. Als Beispiele nennt er etwa den Versuch der letzten Bundesregierung, den Südtirolern die österreichisch Staatsbürgerschaft zusätzlich zur italienischen anzubieten, die Staatsbürgerschaft für Nachkommen von Holocaust-Opfern, die Promi-Einbürgerungen oder die Doppelstaatsbürgerschaft per Geburt, wenn ein Elternteil Österreicher ist und einer eine andere Nationalität hat.

Größe des ungenutzten Einbürgerungspotenzials

In dem Buch hat sich Stephan Marik-Lebeck von der Statistik Austria auch die Größe des ungenutzten Einbürgerungspotenzials angeschaut, also wie viel Personen die Voraussetzung zur Erlangung der Staatsbürgerschaft haben, wie zehn Jahre Aufenthalt in Österreich, die Erfüllung des Einkommenskriteriums, usw. Bauböck weist jedoch darauf hin, dass viele nicht erfassbare Faktoren dazu kommen, etwa die Frage der Unbescholtenheit oder ob sie die Sprachtests schaffen würden. Jedenfalls waren Anfang 2020 rund 330.000 Nicht-EU/EFTA-Bürger zehn Jahre oder länger in Österreich ansässig (3,7 Prozent der Gesamtbevölkerung). Weitere 90.000 Nicht-EU/EFTA-Bürger kommen potenziell für eine vorzeitige Einbürgerung in Frage, da sie zwischen sechs und zehn Jahren in Österreich gelebt haben (ein Prozent der Bevölkerung).

Publikation „Flucht und Asyl. Internationale und österreichische Perspektiven“ von Wiebke Sievers, Rainer Bauböck und Christoph Reinprecht (Hrsg.)
Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften

Sievers, Wiebke / Bauböck, Rainer / Reinprecht, Christoph (Hg.): Flucht und Asyl – internationale und österreichische Perspektiven. Verlag: VÖAW. 2021. 253 Seiten. ISBN: 978-3-7001-8706-6. 29 Euro oder als open access

Differenzierte Auseinandersetzung mit Flucht und Asyl

Gleichzeitig mit dem Buch über Doppelstaatsbürgerschaft ist im Verlag der ÖAW das Jahrbuch Migrationsforschung „Flucht und Asyl – internationale und österreichische Perspektiven“ erschienen, mit dem Wissenschafterinnen und Wissenschafter zu einer Versachlichung der emotional aufgeladenen Debatten zu diesen Themen beitragen wollen. So bedarf es aus der Perspektive sozialwissenschaftlicher Studien einer differenzierten Auseinandersetzung etwa mit dem Thema der Arbeitsmarktintegration. So könne eine rasche Integration in den Arbeitsmarkt sogar hinderlich sein, wenn sie der Ausbildung der Geflüchteten nicht entspreche. „Das ist nicht nur aus wirtschaftlicher Perspektive, sondern auch für die betroffenen Menschen selbst langfristig gesehen kontraproduktiv“, sagt Mitherausgeberin Wiebke Sievers vom Institut für Stadt- und Regionalforschung der ÖAW.

Anerkennung als „gleichwertiger Mensch“

„Ankommen bedeutet nicht nur, eine Arbeit zu finden. Es bedeutet auch, als gleichwertiger Mensch anerkannt zu werden“, so die ÖAW-Migrationsforscherin weiter. Dazu können etwa auch Kunst und Kultur einen Beitrag leisten. Allerdings sei auch die Kunst nicht vor Ausgrenzung gefeit. „Geflüchtete Künstler/innen werden oft mehr als Flüchtlinge denn als Künstler/innen wahrgenommen, was nicht nur die Anerkennung ihrer Werke als Kunst hemmt, sondern ihre Kunst nicht als Beitrag zu einer gesamtgesellschaftlichen Auseinandersetzung wahrnimmt“, so Sievers.