Menschen warten auf einem Boot im Mittelmeer darauf, von der spanischen NGO Maydayterraneo gerettet zu werden.
PABLO GARCIA / AFP / picturedesk.com
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Medien

Neue Vorwürfe gegen Frontex zu Stopp von Bootsflüchtingen

Im Umgang mit Flüchtlingen im Mittelmeer sind neue Vorwürfe gegen die EU-Grenzschutzbehörde Frontex laut geworden.

Eine Gruppe von Medien um den „Spiegel“ und das ARD-Magazin „Monitor“ berichtete gestern, die EU-Behörde spiele eine zentrale Rolle dabei, dass Flüchtlinge von der libyschen Küstenwache abgefangen und zurück in das nordafrikanische Land gebracht würden.

System führt zu erheblichen Verzögerung

Seit Jänner 2020 flogen Frontex-Flugzeuge demnach in mindestens 20 Fällen über Flüchtlingsboote hinweg, bevor die libysche Küstenwache diese zurückschleppte. 91 Geflüchtete starben laut „Spiegel“ oder gelten als vermisst, weil das von der EU eingerichtete System zu erheblichen Verzögerungen führt. Denn in der Nähe befindliche Handelsschiffe oder private Seenotretter seien offenbar nicht alarmiert worden.

Behörde informiert offenbar direkt libysche Küstenwache

Frontex informiert bei der Entdeckung von Flüchtlingsbooten die Seenotleitstellen umliegender Länder, darunter auch Libyen. Den Recherchen zufolge, an denen sich auch die Medienorganisation „Lighthouse Reports“ und die französische Zeitung „Libération“ beteiligten, kontaktieren Frontex-Beamte die libysche Küstenwache offenkundig aber auch direkt. Drei libysche Offiziere berichten laut „Spiegel“, dass Frontex Whatsapp-Nachrichten mit Koordinaten von Flüchtlingsbooten an sie gesendet habe.

Menschen drohen „Folter und unmenschliche Behandlung“

„Diese Form der direkten Absprache ist ein klarer Bruch von Europarecht“, sagte die Völkerrechtlerin Nora Markard von der Universität Münster nach „Spiegel“-Angaben. „Die Frontex-Beamten wissen, dass die libysche Küstenwache Flüchtende nach Libyen zurückschleppt und dass den Menschen dort Folter und unmenschliche Behandlung drohen.“

„Beispiellose Komplizenschaft“

Der Grünen-Europaabgeordnete Erik Marquardt warf Frontex-Chef Fabrice Leggeri vor, das EU-Parlament in der Frage belogen zu haben. Er sprach von einer „beispiellosen Komplizenschaft“ von Frontex und der EU mit der libyschen Seite. „Unseren Regierungen ist es offenbar lieber, dass Menschen sterben, als dass sie lebend Europa erreichen.“ Allein in den ersten drei Monaten diesen Jahres fing die libysche Küstenwache laut ARD mehr als 4.500 Menschen ab und brachte sie zurück. Dies seien mehr als doppelt so viele wie im gleichen Zeitraum des Vorjahres.

Kontakt zu libyschen Küstenwache im Notfall

Frontex hat den Kontakt zu Behörden des nordafrikanischen Landes mit Notsituationen auf See begründet. Bei jeder Such- und Rettungsaktion sei es Priorität, Leben zu retten, so die Behörde in Warschau zur Deutschen Presse-Agentur. „In der Region des zentralen Mittelmeers bedeutet das: Sichtet ein Frontex-Flugzeug ein Boot in Seenot, alarmiert es die nationalen Seenotrettungsleitstellen in der Region – Italien, Malta, Libyen und Tunesien.“ Alle vier seien international anerkannte Leitstellen.

Frontex seit Monaten unter Druck

Frontex steht seit Monaten wegen der angeblichen illegalen Zurückweisung von Flüchtlingen unter Druck. Dabei ging es vor allem um Menschen, die über die Türkei und Griechenland nach Europa gelangen wollten. Der Abschlussbericht einer deswegen eingesetzten Arbeitsgruppe kam zu keinem klaren Ergebnis. Wegen der schleppenden Aufklärung kamen besonders aus dem EU-Parlament wiederholt Rücktrittsforderungen an Frontex-Chef Leggeri.