Evangelia Gimatzidi
Evangelia Gimatzidi
Evangelia Gimatzidi
Let’s go viral!

Wegsehen ist keine Lösung!

Evangelia Gimatzidi war 2019/2020 eine der Gewinnerinnen des Redewettbewerbs „Sag’s multi!“. Sie überzeugte die Jury mit einer Rede in ihrer Muttersprache Griechisch zur Gleichberechtigung von Frauen.

Logo „Let’s go viral!“
Ana Grilc

Evangelia, kurz Lia, ist ein kleines Sprachengenie, denn sie lernt und spricht sieben Sprachen: Ihre Muttersprache Griechisch, natürlich Deutsch und Englisch. Weiters sind ihre Französisch-, Latein- und Altgriechisch-Kenntnisse schon sehr gut. Diese Woche hat sie ihre A2-Prüfung für Chinesisch, das sie seit Jahren lernt. Lia besucht die fünfte Klasse des Akademischen Gymnasiums Wien.

„Sag’s multi!“ ist ein Redewettbewerb, in dem SchülerInnen eine Rede in ihrer Muttersprache und auf Deutsch halten. Heuer hat der ORF die Trägerschaft dafür übernommen.

Für unser Diversity-Empowerment-Projekt „Let´s go viral!“ hat Lia einen beeindruckenden, eindringlichen Kommentar über die Situation der geflüchteter Menschen in Griechenland verfasst. Lias Familie stammt aus Griechenland, sie und ihre jüngere Schwester wurden beide in der griechischen Hafenstadt Thessaloniki geboren.

Flüchtlinge in Griechenland
Evangelia Gimatzidi

„Wegsehen ist keine Lösung!“ – Ein Kommentar von Evangelia Gimatzidi

Man möchte nicht in der Haut jener Kinder stecken, die jeden Tag in Unsicherheit, mit Depressionen und in Angst leben. Man möchte nicht in der Haut jener Kinder stecken, die sich mit acht Jahren das Leben nehmen wollen, weil sie es unter diesen Bedingungen nicht mehr aushalten können. In den Flüchtlingslagern auf Lesbos leben die Kinder unter schrecklichen Umständen. Würden Sie gerne mit ihnen tauschen?

Die Menschen in den Flüchtlingslagern in Griechenland sehen sich gezwungen, in Zelten zu übernachten und sind dadurch weder vor Kälte noch vor Stürmen und Regen geschützt. Vor allem während der Covid-19-Pandemie ist die Lage noch schlimmer, da sie nicht ihre Lager verlassen dürfen und nichts zu tun haben. Mit jedem Tag, der sich verabschiedet, tauchen neue Ängste und Albträume für diese Kinder auf.

Nach einem Besuch in einem Flüchtlingslager in 2016 auf der griechischen Insel Chios konnte ich vor ein paar Jahren mit eigenen Augen den Zustand dieser Leute sehen, die seit wenigen Stunden erst angekommen waren. Kinder, Eltern und Großeltern saßen erschöpft auf der Straße. Sie waren so müde, sodass sie sich nicht einmal um ihre eigenen Kinder kümmern konnten. Das wenigste, was man unternehmen konnte, war, Essen für diese Leute zu besorgen, jedoch nicht ausreichend genug! Es kamen immer wieder mehr und mehr Menschen. Kinder!

Der Staat Griechenland nimmt als erstes europäisches Land Flüchtlinge verschiedener Herkunft, die über die Türkei nach Europa reisen möchten, auf. Viele von ihnen sind gut aufgehoben und leben im kontinentalen Griechenland unter guten Bedingungen. Jedoch gibt es genauso viele, die unter entsetzlichen Umständen wie auf Lesbos leben. Den Kindern in diesen Lagern wird nichts angeboten. Dabei darf man nicht vergessen, dass die Kinder auf Lesbos nicht nur hungern und frieren, sondern auch mental leiden. Wollen Sie diejenigen sein, die die Augen vor dieser Notsituation konsequent verschlossen haben?

Griechenland
Evangelia Gimatzidi

Griechenland ist für mich nicht nur mein Geburtsland oder ein Ferienort. Es ist für mich ein freundliches Land mit einer langen demokratischen Tradition, in der Toleranz einen besonderen Platz hat. Viele Bürger dieses Landes haben auch einen Flüchtlingshintergrund, da sie vor drei Generationen von der heutigen Türkei geflüchtet sind. Einige, darunter auch meine Urgroßmutter, mussten von den Küsten des Schwarzen Meeres bis zu den syrischen Wüsten mit ihren Kindern tausende Kilometer zu Fuß laufen. Einige sind während dieser Massendeportation gestorben, doch die Überlebenden, darunter auch meine Urgroßmutter, wurden mithilfe einfacher Leute in Syrien gerettet und konnten nach einigen Jahren mit Schiffen über den Libanon nach Griechenland gelangen. Dort konnte meine Urgroßmutter ihren Ehemann, meinen Urgroßvater, nach sieben Jahren wiedersehen.

Viele Menschen in Griechenland sowie auch in den meisten anderen europäischen Ländern haben einen ähnlichen Flüchtlingshintergrund, bringen ihn jedoch nicht so oft zur Rede, wenn es um das Thema der heutigen Migration geht.

Menschen zwischen den Zelten im neuen Flüchtlingslager von Kara Tepe, auf der Insel Lesbos.(19.12.2020)
ANTHI PAZIANOU / AFP / picturedesk.com

Die Kinder auf Lesbos sollten unter besseren Umständen leben. Wegschauen mag zwar die einfache Lösung sein, aber ist sie auch die richtige? Dies ist eine Aufforderung nicht wegzusehen, sondern hinzusehen! Wachen Sie auf und blicken Sie den Tatsachen ins Auge.