Josef Pühringer – Direktor in der Volksschule in Neufelden
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Unsere Hoffnung auf Unterstützung wurde bitter enttäuscht

Josef Pühringer ist der Direktor der Volksschule in Neufelden in Oberösterreich. In seiner Schule haben 40 Prozent der Kinder eine andere Muttersprache als Deutsch. Das empfindet Herr Pühringer als eine Bereicherung.

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Ana Grilc

Der Herr Direktor hat sich sieben Jahre lang karenzieren lassen, um gegen das Atomkraftwerk Temelin zu kämpfen. Er freut sich ganz besonders, dass sich junge Menschen nun in der „Friday for Future“-Bewegung gegen die Klimakrise engagieren. Wir haben den Herrn Direktor befragt, wie es den LehrerInnen, SchülerInnen und Eltern in Neufelden geht.

Niki Glattauer, der er aus Protest kündigte, war Direktor an einer Wiener Schule, und er hat dem Schulapparat vorgeworfen, in der Coronakrise nicht ehrlich zu sein. Wie sehen sie das?

Pühringer: Grundsätzlich hat Niki Glattauer mit seinen Aussagen vollkommen recht. Ich erlebe das genau so und ich würde ehrlich gesagt auch am liebsten den Hut auf den Nagel hängen. Es war für mich in meiner 40-jährigen Lehrerdienstzeit noch nie so anstrengend, herausfordernd und frustrierend. In der Coronakrise bräuchten wir die Unterstützung des Bildungssystems, denn der Druck von der Öffentlichkeit, den Eltern, in der Kollegenschaft, bei den SchülerInnen ist unerträglich hoch. Wir versuchen unter diesen schweren Umständen unsere Vorstellung von einem gelungenen Unterricht aufrecht zu erhalten. Unsere Hoffnung auf Unterstützung wurde bitter enttäuscht und ich habe beobachtet, wie die LehrerInnen sehenden Auges im Regen stehen gelassen wurden und wie sie dann auch noch von den Dienstgebern despektierlich behandelt werden. Das war für mich eine völlig neue Erfahrung.

Was waren oder sind die großen Versäumnisse?

Pühringer: Informationen haben wir immer zuerst aus den Medien erhalten. Einen ArbeitnehmerInnenschutz wie in andern Betrieben hat es überhaupt nicht gegeben. Später bekamen wir dann Stofffetzenmasken, die man selber waschen musste. Erst jetzt kommen die FFP2-Masken bei uns an. Wenn das Personal ausgefallen ist, gab es keine Ersatzlehrer. Wir als Direktoren musste irgendwie damit umgehen. Ich weiß, dass das ein Jammern auf hohem Niveau ist, wenn man sich die Situation auf Lesbos oder in Moria vor Augen führt. Das muss man immer mitdenken! Die Situation in den Schulen hatte nichts mit dem zu tun, was medial nach außen transportiert wurde. Die Schulen wurden vollkommen alleine gelassen. Kaum zu glauben, weil die Zeit ja da war, um die Dinge vorzubereiten. Wenn man Spielautomatenunternehmen finanziell abfangen kann, dann haben das die SchülerInnen, Eltern und Lehrerinnen mindestens in dieser Größenordnung verdient.

Haben die Schülerinnen mit nicht deutscher Muttersprache unter der Coronakrise gelitten?

Pühringer: Wir haben einen relativ hohen Anteil mit Kindern mit einer anderen Erstsprache als Deutsch. Wir konnten schulisch alle abholen. Wir haben ein paar Eltern in die Schule gebeten und diese Eltern waren froh, dass sie aus erster Hand alle Informationen bekommen haben und gleichberechtigt bei diesem außergewöhnlichen Lern– und Lehrprojekt mitmachen konnten. Der Einsatz unserer Eltern ging so weit, dass manche extra Geräte angeschafft haben, damit die digitale Kommunikation funktioniert hat. Es ist für alle Beteiligten, egal welcher Herkunft, eine Herkulesaufgabe.

Wie viele Kinder mit nicht deutscher Muttersprache gehen in ihre Schule?

Pühringer: Von unseren 54 SchülerInnen haben an die 40 Prozent nicht deutsche Muttersprache. Das sind nicht nur neu angekommene Flüchtlinge, manche sind schon seit mehreren Jahren da. Das sagt aber wenig über die Deutschkenntnisse der Kinder aus. Jedes Kind hat sprachliche Herausforderungen in der Schule zu meistern.

In Finnland hat jedes Kind, egal wo seine sprachlichen Wurzeln liegen, das Recht auf Unterricht in der Muttersprache. Wenn es keinen Sprachlehrer gibt, werden die Eltern eingeladen, ihre Kinder in der Schule zu unterrichten. Wie finden sie dieses Konzept?

Pühringer: Das ist ein hervorragender und sehr kluger Zugang zu Sprachen in der Schule. Ich verstehe nicht, dass sich der Staat und die Wirtschaft sich leisten, dieses Potenzial nicht zu nutzen. Natürlich ist das mit Kosten verbunden, denn man braucht MuttersprachenlehrerInnen. Da geht es weniger um die technische Ausstattung, es geht um Personalkosten. Es ist völlig unklar, warum wir in den Schulen nicht auf die Zweisprachigkeit setzen. Ein gut ausgebildetes zweisprachiges Kind kann der Gesellschaft viel mehr zurückgeben. Das gilt nicht nur, wenn die SchülerInnen dann studieren gehen. Es gilt auch für Handwerks- und Sozialberufe. Mehrsprachigkeit ist immer ein Gewinn und eine Bereicherung und birgt ein großes Potenzial für die Volkswirtschaft in sich.

Was halten sie davon, dass man die Kultur und Religion von Kindern mit Migrationshintergrund aus der Schule heraushält?

Pühringer: Wir haben in Neufelden noch nie einem muslimischen Religionsunterricht gehabt, aber es gibt in Neufelden eine eigene „Moschee“. Es ist im Ort ein Gebetsraum in einem Privathaus eingerichtet und dort wird der Religionsunterricht für die einzelnen Ethnien abgehalten. Da das in der Schule nicht angeboten wird, organisieren sich die Gruppen den Religionsunterricht selber.

Gibt es in den Schulklassen auch Rassismus?

Pühringer: Wenn so etwas vorkommt, ist unsere Aufgabe hier aufklärend einzugreifen, was uns sehr gut gelingt. Wenn wir bemerken, dass unsere SchülerInnen Vorurteile egal von welcher Seite in die Klassen tragen, können wir diese sofort entkräften.

Sie wurden im Interview mit einer Schülerin in „Let’s go viral!“ als Demokratielehrer bezeichnet. Wie kommt das?

Pühringer: Politische Bildung wird in der Volksschule fächerübergreifend unterrichtet. Vor Kurzem habe ich zum Beispiel meine SchülerInnen bewusst demokratisch entscheiden lassen, ob wir mit den Masken in den Turnsaal gehen oder nicht. Ich habe ihnen erklärt, dass jetzt nicht ich als Lehrer, sondern sie demokratisch entscheiden. Das sind so Prozesse, die sie sich dann merken.

Was wollen sie den SchülerInnen mit auf den Lebensweg geben?

Pühringer: Neben Lesen, Schreiben und Rechnen will ich ihnen ein bisschen Bildung mit auf den Weg geben. Unsere Eltern und Großeltern haben, wenn sie von Bildung sprachen, gemeint, dass ein Mensch sich zu benehmen weiß. Es geht darum, dass die SchülerInnen lernen, aufeinander zu schauen, Rücksicht zu nehmen und sich sozial zu verhalten. Wir haben ein sehr buntes Publikum in unserer Schule und die Kinder kommen aus allen Ecken dieser Welt. Sie bringen unterschiedliche Erfahrungen und Perspektiven mit und so können wir uns alle gegenseitig bereichern.

Josef Pühringer ist Direktor an der Volksschule in Neufelden im oberösterreichischen Bezirk Rohrbach.