Ali Mahlodji
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Let’s go viral!

Vielfalt ist keine Grenze, sondern sie öffnet Türen

Ali Mahlodji, Sohn von iranischen Flüchtlingen, arbeitet als Trend- und Zukunftsforscher. Er kann wie kaum jemand Jugendlichen mit und ohne Migrationsbiografie erklären, warum ihre Herkunft und Mehrsprachigkeit ein absolutes Plus sind.

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Ana Grilc

Ali Mahlodji hat die Schule abgebrochen und hat sich dann vielerorts ausprobiert. Das Energiebündel hat die Abendmatura gemacht, Unternehmen gegründet und ist überzeugt, dass jeder Jugendliche sein Glück finden kann. Absolut nichts hält Ali Mahlodji davon, dass Kinder, die in zwei oder mehr Kulturen aufwachsen, in Österreich oft als ein Problem gesehen werden.

In der Diskussion ums Distance Learning wurden Kinder mit Migrationsbiografie sozusagen als eine eigene Kategorie von SchülerInnen diskutiert. Wie sehen sie das?

Mahlodji: Was ich in dieser Diskussion merke, ist, dass es sich um eine riesengroße Schwarz-Weiß-Debatte handelt. Die, die einen Migrationshintergrund haben, denen geht es schlechter und die, die keine Migranten sind, die haben es sehr gut erwischt. Das ist eine vollkommen falsche Perspektive. Es handelt sich um Kinder und jedem Einzelnen muss Bildung ermöglicht werden. Wenn ein Mensch immer hört: Du bist das Problem! Du hast es so schlecht, weil du aufgrund deiner Herkunft und der Biografie deiner Familie arm bist! Mit der Zeit beginnt jeder Mensch in so einer Situation, das auch zu glauben.

In Medienberichten wurde mit großer Bestürzung berichtet, dass Kinder am Küchentisch lernen und ihren kleineren Geschwistern beim Lernen helfen müssen. Spricht man mit den heute 50-jährigen ÖsterreicherInnen, war das für sie in ihrer Kindheit noch ganz normal. Jetzt ist Armut scheinbar nur mehr ein migrantisches Problem?

Mahlodji: Wir haben in Europa gerade einmal seit 70 Jahren Frieden. Die Menschen, die damals noch gelebt haben, wissen noch, was Armut heißt. Sie haben oft nicht gewusst, wie sie die Woche überleben werden. Damals sind diese Glaubenssätze entstanden: Meinen Kindern soll es eines Tages besser gehen als mir. Diese Welt haben unsere Vorfahren gemeinsam aufgebaut. Wir leben in der besten aller Welten. Das Problem ist, dass die Gesellschaft das für gegeben annimmt und fast niemand ist dankbar dafür. Unseren Wohlstand haben Menschen – besonders auch die sogenannten Gastarbeiter –, die in bitterster Armut lebten, erschaffen. Sie haben diese Zukunft, für die sie alles gegeben haben, oft gar nicht mehr erlebt.

Das Bild der Gastarbeiter hat sich gewandelt. Diese Menschen wurden gerufen, um in Österreich zu arbeiten. Sie haben unser Land mitaufgebaut, trotzdem ist ihr Image nicht besonders gut. Ihre Kinder und Enkel leben irgendwie „zwischen“ den Kulturen. Wie sehen sie das?

Mahlodji: Ich kenne viele Kinder aus Gastarbeiterfamilien, die sagen: Österreich ist unsere Heimat, aber wir geben die Ursprungskultur unserer Eltern nicht auf. Die Kultur unserer Eltern, Großeltern, Onkel und Tanten gehört zu uns. Diese Jugendlichen sind in Österreich geboren und sozialisiert, aber diese Mischung macht es aus. Sie leben unter dem Motto: Ich nehme mir das Beste aus allen Kulturen und lebe mein Leben als Europäer. Das kann unser Land nur bereichern.

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Das wird aber meist nicht so gesehen. Wie schon besprochen, liegt das alleinige Augenmerk eher auf den perfekten Deutschkenntnissen von Kindern, deren Familien nach Österreich migriert sind. Welche Perspektive wird hier nicht beachtet?

Mahlodji: Wir sehen diese Mehrsprachigkeit, dieses in mehreren Kulturen aufzuwachsen in Österreich leider nicht als Vorteil. Wir sehen die Chancen nicht, die darin stecken. Will man heute bei einem internationalen Unternehmen arbeiten, ist perfekte Zweisprachigkeit eine Grundvoraussetzung. Spricht man eine seltenere Sprache, wird man für das Unternehmen interessant. Wenn man mehrere Sprachen spricht, kennt man sich in mehreren Kulturen aus. Wenn du multikulturell aufwächst und in mehreren Sprachen denkst, dann wirst du automatisch ein Weltbürger.

Warum ist es gut, Weltenbürger zu sein?

Mahlodji: Wenn wir uns die Welt anschauen, die Klimakrise, die Pandemie, die Schere zwischen Arm und Reich, sind das alles globale Probleme. Und eines ist klar, globale Probleme kann man nur mit globalem Denken lösen. Hier spielen Menschen, die in zwei oder mehreren Kulturen aufgewachsen, eine entscheidende Rolle. Nun geht es darum, die Sicht auf Menschen mit Migrationsbiografie und ihre Mehrsprachigkeit zu verändern. Nicht Angst, sondern Neugierde ist das Credo!

Was wäre ein gutes Mittel, dass Jugendliche mit Migrationsbiografie endlich in der Mitte der Gesellschaft ankommen?

Mahlodji: Vielleicht wäre eine Quote ein gutes Mittel, dass die Jugendlichen, die heute aufwachsen, ein anderes Bild von Normalität bekommen. Wenn ein Jugendlicher den Fernseher oder Computer aufdreht und sieht eine Moderatorin mit nicht weißer Hautfarbe, die vier Sprachen spricht und nicht in Österreich geboren wurde, verschiebt sich das Bild von Normalität. Jugendliche müssen mit einem Mind-Set aufwachsen, dass Vielfalt keine Grenze darstellt, sondern ein Türöffner ist.

Auch berufliche Türöffner?

Mahlodji: Wir wissen aus der Forschung, dass Teams, wo mehr Diversity drinnen ist, mehrere Sichtweisen vertreten sind, produktiver und effizienter sind. Derzeit haben wir Menschen in Machtpositionen, die ihr Ego füttern und sich wieder Menschen ins Team holen, die ihnen ähnlich sind. Dieser alte Managertyp hat keine Lust, dass er infrage gestellt wird. In Zukunft werden jedoch Menschen in einem Raum sitzen, die verschiedenste Perspektiven und Hintergründe mitbringen – nur so können zukunftstaugliche Lösungen entstehen.

Ali Mahlodji
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Was sollen Menschen mit Migrationsbiografie, die oft von Alltagsrassismus betroffen sind, machen, bis dieses Denken gesellschaftlich Fuß fasst?

Mahlodji: Mein Rat ist: Umgib dich mit Menschen, die dich stärken. Das wichtigste ist, dass man ein starkes Selbstbewusstsein hat und das Selbstbewusstsein wird einem nicht geschenkt in der Welt. Wenn man immer hört, dass man nicht dazugehört oder dass etwas mit einem nicht stimmt, kann man schnell verzweifeln. Es gilt sich ein Netzwerk von Menschen aufzubauen, die hinter einem stehen.

Sprechen sie aus eigener Erfahrung?

Ich war in der Schule immer der Flüchtling, der Ausländer und dann der Schulabbrecher. Aber ich hatte Freunde, denen es egal war, was über mich geredet wurde. Sie gaben mir die Stärke, immer wieder aufzustehen.

Was soll man tun, wenn die Verzweiflung überhandnimmt?

Mahlodji: Man muss immer wieder aufstehen und weitermachen. Ich rate Euch, die Zeit zu nutzen, um Dinge auszuprobieren. Man muss lernen, wie die Welt funktioniert. Nur indem man Dinge versucht, kann man erkennen, was einem liegt und wo man lieber den Hut drauf schmeißt. Durch das Tun entsteht Selbstvertrauen. Zu Hause herumzulungern ist nicht cool, es macht nur depressiv. Es gibt so viel zu erkunden, bei Kindern mit Migrationsbiografie ist das auch die Kultur der Eltern und Großeltern.

Haben sie sich mit dem Wurzeln ihrer Eltern befasst?

Mahlodji: Ich bin zwar im Iran geboren, aber ich bin in Österreich aufgewachsen. Meine Eltern waren politische Flüchtlinge und wir konnten nicht in den Iran reisen. Als junger Erwachsener habe ich dann gemerkt, dass mir etwas fehlt. Wenn ich irgendwo persische Musik gehört habe, begann ich fast zu weinen und habe nicht gewusst warum. Heute weiß ich, dass mit 15 oder 85 Jahren irgendeinmal im Leben die Frage auftaucht: Woher komme ich? Wenn man zwischen den Welten groß geworden ist, wird diese Frage noch wichtiger. Ich habe mich dann eingehend mit der persischen Kultur beschäftigt.

Oft werden Kindern mit Migrationsbiografie auch sehr veraltete Traditionen aus den Ursprungskulturen ihrer Eltern vermittelt, die sie einengen. Wie kann man auch auf diesem Gebiet einen kritischen Umgang erlernen?

Mahlodji: Ich bin vor nicht allzu langer Zeit Vater geworden. Was junge Männer ganz definitiv brauchen, sind Männer in ihrem Umfeld, die ihnen zeigen: Ich kann auch ein Kinderwagerl schieben! Ich kann auch Windeln wechseln! Ich kann mich genau so gut um die Kinderbetreuung kümmern! Die jungen Männer mit und ohne Migrationsbiografie müssen sehen, dass es gut ist, wenn sie nach der Geburt ihres Kindes auch zu Hause bleiben. Warum soll die Frau nach der Geburt im Beruf draufzahlen? Ich sage nicht, dass es leicht ist, aber ich möchte den Männern Mut machen, diesen wunderbaren Weg mit ihren Kindern zu gehen.