Bundespräsident Alexander Van der Bellen empfängt Mirjam Helminger zum Interview in der Präsidenschaftskanzlei
ORF
ORF
Let’s go viral!

Kampf gegen Rassismus ist Chefsache

Mirjam Helminger führte das Interview ihres Lebens. Für unsere digitale Zeitung „Let’s go viral!“ traf sie den ersten Mann im Staat, unseren Bundespräsidenten Alexander van der Bellen. Sie sprach mit ihm über Rassismus, die Anerkennung von MigrantInnen und Umweltperspektiven.

Logo „Let’s go viral!“
Ana Grilc

Der Bundespräsident erklärte sich bereit, unsere Redakteurin in den Prachträumen der Wiener Hofburg zu empfangen. Mirjam ist dafür extra aus Salzburg angereist und erwartete mit großer Spannung diese Begegnung in der Präsidentschaftskanzlei. Es war Mirjams erstes Interview, das sie im Rahmen unseres Projekts geführt hat und ja eigentlich das erste Interview ihres Lebens überhaupt, das sie mit Bravour bestanden hat.

Als Afroösterreicherin muss ich mich in meinem Leben jeden Tag mit Alltagsrassismus auseinandersetzen. Was raten Sie von Rassismus betroffene Jugendlichen, wie sollen sie Anfeindungen und rassistischen Angriffen begegnen?

Bundespräsident: Die Standardantwort wäre, sich nichts gefallen zu lassen. Das geht natürlich leichter, wenn man nicht alleine unterwegs ist, sondern mit Freunde und Freundinnen. Ich würde erwarten, dass die Mehrheitsgesellschaft, die keine dunkle Hautfarbe hat, in jeder Situation die Zivilcourage zeigt, einzugreifen. Ich kann mir vorstellen, dass diese rassistischen Angriffe nicht nur lästig sind, sondern auf Dauer nerven, mit Recht nerven. Ich rate den jungen Menschen nicht aufzugeben. Ich glaube, es stehen euch allen viele Wege offen.

Herr Bundespräsident, Ihre Eltern stammen aus Estland. Hatten Sie in ihrem Leben, in Ihrer beruflichen Laufbahn, Erfahrungen mit Ausgrenzung?

Bundespräsident: Ich bin in Österreich geboren, aber meine Eltern waren Emigranten. Insofern bin ich ein Emigrant in zweiter Generation und ich bin bikulturell aufgewachsen. Meine Eltern haben miteinander fast nur russisch gesprochen. Mit mir sprachen sie deutsch. Das ist das, was mir leidtut, dass ich nicht in Russisch oder dreisprachig aufgewachsen bin. Meine Schwester ist noch dreisprachig in Estnisch, Russisch und Deutsch aufgewachsen und sie hat davon enorm profitiert.

Bundespräsident Alexander Van der Bellen im Gespräch mit Mirjam Helminger
ORF

Haben Sie in diesem Zusammenhang eine Botschaft an die Zuwandererfamilien?

Bundespräsident: Ich möchte allen Emigrantenfamilien sehr nachdrücklich sagen: Versuchen sie ihre Sprache neben Deutsch beizubehalten! Das ist ein Vorteil, ein kultureller Gewinn, aber die Mehrsprachigkeit ist auch ein Vorteil im Wirtschaftsleben.

In der Coronazeit, in Zeiten der Pandemie haben auch Politiker Jugendliche mit Migrationshintergrund oft mit einem Problem assoziiert. Wie sehen Sie uns Menschen mit Migrationshintergrund?

Bundespräsident: Es wird sie nicht überraschen, da ich selbst aus einer Flüchtlingsfamilie komme, dass ich da einen anderen Zugang habe. Ich finde, die Mehrheitsgesellschaft in Österreich hat zum eigenen Schaden Chancen versäumt, um z. B. die Mehrsprachigkeit zu fördern. Wir haben eine große türkische Zuwanderergesellschaft und viele Emigranten aus Ex-Jugoslawien. Wir hätten gut daran getan, diese Sprachenvielfalt zu fördern. Nicht nur im Interesse der Betroffenen, sondern im beiderseitigen Interesse.

Neben dem Thema Rassismus ist für viele SchülerInnen das Thema Umweltschutz sehr wichtig. Was ist, wenn die Regierungen nach der Coronazeit den Fokus wieder auf eine nicht nachhaltige Wirtschaft setzen? Wie können wir die Zukunft des Planeten sichern?

Bundespräsident: Wir haben ja jetzt einen Impfstoff gegen diesen leidigen Coronavirus. Gegen die Umweltkrise gibt es keinen Impfstoff. Der einzige Impfstoff, den wir da haben können, ist unser gemeinsamer Wille und unsere gemeinsame Anstrengung, alles Erdenkliche gegen die Klimakrise zu tun.

Mirjam Helminger in der Präsidenschaftskanzlei
ORF

Wie schätzen Sie unsere Chancen ein?

Bundespräsident: Ich bin gemäßigt positiv, optimistisch eingestellt, weil jetzt wenigsten auf europäischen Ebene Ursula von der Leyen, die Unionspräsidentin alles auf die grüne Karte setzt. Es herrscht eigentlich Konsens, dass im Rahmen der Wiedererweckung des wirtschaftlichen Lebens der sogenannte Green Deal die Hauptrolle spielen muss. Das heißt nichts anderes, als dass klimapolitische Maßnahmen sehr stark im Vordergrund stehen werden. Der positive Nebeneffekt ist, dass Arbeitsplätze in diesem Bereich entstehen werden.

Was tun Sie konkret dafür, dass die Umwelt, dass der Planet für meine Kinder und mich noch in ein paar Jahren lebenswert ist?

Bundespräsident: Den Menschen klar machen, dass wir vor einem ernsthaften Strukturwandel stehen, der durchaus mit der industriellen Revolution vor 100, 200 Jahren zu vergleichen ist. Wir brauchen neue Produktionsarten, neue Techniken und bestimmte Umstellungen im täglichen Leben, die aber machbar sind, deswegen werden wir nicht an Wohlstand verlieren. Wenn jemand zuhören will, dann kann man das schon erklären. Wenn jemand davon nichts wissen will, dann ist es ihm egal, wie es den Kindern und den Enkeln geht. Das muss man ganz brutal sagen.

Welche Umstellungen im täglichen Leben sind das?

Bundespräsident: Ich habe mir vorgenommen, den Ausdruck Klimawandel nicht mehr zu verwenden, weil das ein Euphemismus ist, das ist schönfärberisch. Ich möchte den Menschen die Augen öffnen, kleine Geschichten erzählen aus dem Kaunertal. Wie das ist, wenn der Permafrost nicht mehr wirkt und die Steinlawinen runterkommen. Im täglichen Leben kann jeder überlegen, muss ich jetzt mit dem Auto fahren oder gibt es nicht eine gute Zugverbindung? Muss ich zur falschen Saison Gemüse oder Obst kaufen?

Müssen wir in der Bekämpfung der Klimakrise zusammenhalten?

Bundespräsident: Die Krise kennt keine Grenzen. In Afrika bleiben aufgrund der Klimaveränderungen die Regenfälle aus und was ist, wenn der Tschadsee vertrocknet? Dann hängen Millionen Menschen in der Luft, bildlich gesprochen, weil z. B. die Jobs in der Landwirtschaft verloren gehen.

Bundespräsident Alexander Van der Bellen empfängt Mirjam Helminger zum Interview in der Präsidenschaftskanzlei
ORF

Was sagen Sie zu jenen, die leugnen, dass es die Klimakrise gibt?

Bundespräsident: Ein amerikanischer Klimaforscher hat mir bei einem Treffen gesagt: „Stupidity will never die“, also „Dummheit stirbt nicht aus“. So sehe ich das auch. Mit anderen Worten: Jetzt reicht es dann irgendwann. Ich beschäftige mich jetzt sicher seit 30 Jahren mit dem Thema. Ich bin kein Klimaforscher, ich bin ja nur ein Ökonom. Aber irgendwann habe ich realisiert, ich habe keine Lust mehr, mich darüber zu streiten. Wenn jemand zu dumm ist, um zu lesen oder es nicht will, ist mir meine Zeit zu schade, um jedes Mal die Basics zu erklären. Hin und wieder mache ich das bis heute, wenn es sich ergibt, aber man wird schon ungeduldig im Laufe der Zeit.

Herr Bundespräsident, ich bedanke mich herzlich, dass Sie unsere Initiative unterstützen, in der Jugendliche mit Migrationsbiografie lernen, mit Medien und Journalismus umzugehen. Danke, dass Sie sich Zeit genommen haben.

Bundespräsident: Gerne, ich gratuliere ihnen Frau Helminger, dass sie an diesem Kurs teilnehmen können, da können sie nur profitieren davon. Sie machen das schon sehr gut!

Mirjam wurde vom Social Media Team des Bundespräsidenten mit einer Kamera empfangen. Im Anschluss auf Mirjams Gespräch mit dem Bundespräsidenten gab sie auch selbst ein Interview, das am Facebook-Account des Bundespräsidenten nachzusehen ist. Das Video hat schon über 60.000 Zugriffe.