Psychotherapeutin in Psychologin Jutta Menschik-Bendele
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„Bei Jutta auf der Couch“

Jutta Menschik-Bendele ist eine der führenden Psychiaterinnen und Psychoanalytikerinnen des Landes. Sie kennt sich damit aus, wie unsere Psyche funktioniert und wie wir mit Angst und Gewalt in der Corona-Krise umgehen können.

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Ana Grilc

Im Rahmen des Schul-Projekts konnten wir auch ein Interview mit Jutta Menschik-Bendele über die oft auch für Kinder und Jugendliche angespannte Situation in Zeiten von Corona führen und uns Anleitungen holen, wie diese Krise für uns alle, für Kinder und Eltern leichter zu bewältigen ist.

Was sind die größten Ängste derzeit, die in den Köpfen von SchülerInnen herumgeistern?

Menschik-Bendele: Kinder haben ja unterschiedliche Ängste, je nach Alter. Die ganz kleinen Kinder haben Angst, dass Oma und Opa krank werden könnten. Die großen Kinder fürchten, dass sie ihre Freunde nicht sehen können oder sie fürchten sich auch, dass sie die Prüfungen nicht machen können.

Sie meinen, dass die SchülerInnen Prüfungen machen wollen?

Menschik-Bendele: Ich sehe das so, dass die Kinder jetzt bemerken, was die Schule bedeutet. Sie befürchten, dass wenn sie keinen Schulabschluss haben, sie schlechtere Chancen in der Zukunft haben könnten.

Wie können wir mit diesen Ängsten umgehen?

Menschik-Bendele: Auf diese Ängste zu reagieren, bedeutet, nach Informationen Ausschau zu halten. Setzt man ganz konkrete Informationen den Ängsten entgegen, kann das helfen, dass Menschen nicht in den Panikmodus verfallen.

Welche Informationen können Eltern ihren Kindern derzeit vermitteln?

Menschik-Bendele: Man soll den Kindern sagen, dass wir nicht im Krieg sind, dass wir versorgt sind, dass wir ein Gesundheitssystem haben, dass sich die PolitikerInnen um Lösungen bemühen. Das führt dazu, dass die Kinder glauben können, dass das Leben wieder normaler wird.

Psychotherapeutin und Psychologin Jutta Menschik-Bendele
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Welche Gefahren sind darin verborgen, dass die Kinder jetzt mit ihren Eltern den ganzen Tag zusammen sind?

Menschik-Bendele: Vor allem bietet diese Situation eine Chance, sich näher zu kommen. Es gibt aber immer auch die Gefahr, dass man sich auf die Nerven geht. Kinder, Jugendliche und Eltern pendeln zwischen dem Wunsch nach Verbundenheit und dem Wunsch, wieder Platz für sich zu haben. Das muss man sehr gut ausbalancieren. Wichtig ist auch, dass die Eltern in der Krise immer die Möglichkeit hatten, ihren Kinder in der Schule oder im Kindergarten abgeben konnten, wenn es ihnen zu viel wurde.

Es gibt auch mehr Gewalt in den Familien. Was kann man da tun?

Menschik-Bendele: Nicht wegsehen! Nachbarschaft muss im Sinne von Hilfe funktionieren. Wenn ich was höre, muss ich den Mut aufbringen, zur Tür des Nachbarn zu gehen und anzuklopfen. Man muss Hilfe anbieten und Hilfe vermitteln. Schon eine Telefonnummer einer Helpline kann Leben retten. Oft geschehen Gewalttaten aus Verzweiflung, weil die Menschen überfordert sind und nicht gelernt haben, mit ihren Aggressionen umzugehen.

Wenn es einer Schülerin bzw. einem Schüler nicht gut geht, wenn die Welt nur schwarz ist, was kann man da tun?

Menschik-Bendele: Die ganze Psychotherapie besteht ja darin, dass wir ins Wort bringen, was uns innerlich bedroht. Es hilft, wenn man die innere Not benennen kann und teilen kann. Das schützt auch davor, dass man nach Schuldigen sucht. Wenn wir uns bedroht fühlen, dann wollen wir das auch benennen. Die einfachste und primitivste Lösung ist immer einen äußeren Feind zu suchen. So kann sich die Angst in Wut umwandeln und wir fühlen uns scheinbar stärker. Das ist aber keine Lösung.

Was ist dann die Lösung?

Menschik-Bendele: Zuerst muss man hinschauen, was bedroht mich? Geht es nur mir so? Ist das eine wirkliche Angst oder bilde ich mir diese Angst ein? Es hilft immer mehr, wenn sich die Menschen zusammentun und sich die Gesellschaft nicht in Feinde und Opfer spaltet.

Oft wird man belächelt, wenn man depressiv ist und man alles Negativ sieht. Warum werden diese gefährlichen Zustände nicht als Krankheit anerkannt?

Menschik-Bendele: Ich sage, dass eine psychische Erkrankung genau so ernst genommen werden muss wie ein Zahnschmerz oder ein orthopädisches Leiden. Die Behandlung gehört genau bezahlt wie es bei anderen Krankheiten gemacht wird. Da wären wir schon ein großes Stück weiter.

Also sollte es Psychotherapie auf Krankenschein schon für Kinder geben?

Menschik-Bendele: Je mehr man Kindern hilft zu zeigen, was ihnen wehtut, psychisch wehtut, desto mehr können wir helfen. Je früher wir ansetzen, umso besser ist das eine Profilaxe für ein zufriedenes Leben in der Jugend und im Erwachsenenalter.

Jutta Menschik-Bendele ist Psychologin und Psychoanalytikerin. 1984 wurde sie an die Alpen-Adria-Universität Klagenfurt berufen, wo sie einen Lehrstuhl für Klinische Psychologie und Psychotherapie innehatte. Im Oktober 2012 wurde sie emeritiert. Sie ist Autorin zahlreicher Publikationen. 2009 ist die Festschrift für Jutta Menschik-Bendele mit dem Titel „Bei Jutta auf der Couch“ erschienen.