Autorin und Journalistin Ingrid Brodnig
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Let’s go viral!

Im Falle von Wut, Hände weg vom Handy!

Mit Ingrid Brodnig haben wir, SchülerInnen von „Let’s go viral“, eine Journalistin gefunden, die sich im Internet auskennt. Sie untersucht, wie sich digi, viral und online auf unser Denken und Leben auswirkt.

Logo „Let’s go viral!“
Ana Grilc

Ingrid Brodnig tourt auch durch Österreichs Schulen, um den SchülerInnen die Augen zu öffnen und sie selbst hinterfragen: Steht im Internet die Wahrheit? Wie kann ich überprüfen, was fake und was echte News sind? Ingrid Brodnig hat die Mechanismen der virtuellen Welt durchschaut und gibt SchülerInnen das nötige Werkzeug in die Hand, um gegen Hass im Netz gewappnet zu sein. „Typisch Brodnig“ ist, dass sie immer vorschlägt, nicht zu vergessen, das eigene Verhalten im Netz infrage zu stellen, weil das kann man am schnellsten ändern. Für „Let’s go viral“ hat uns Ingrid Brodnig ein Interview gegeben.

Frau Brodnig, wir sind über Nacht zu digitalen SchülerInnen geworden. Sie haben sich für uns angesehen, wie SchülerInnen und LehrerInnen mit der neuen Situation zurechtkommen?

Brodnig: Die Daten zeigen, dass selbst wenn perfekte Voraussetzung da sind, also wenn alle SchülerInnen und alle LehrerInnen gutes Equipment, eine gute Hardware, eine super Internetverbindung haben, gibt es immer noch etliche Hürden. Die Tools zur Vermittlung von Lehrinhalten werden von vielen noch nicht verstanden – auf Seite der SchülerInnen, aber vor allem auf Seite der LehrerInnen. Aber das wird sich schnell verbessern. Eine Befragung in Niederösterreich unter Tausenden SchülerInnen zeigt, dass SchülerInnen zu viele Aufgaben gestellt werden.

Ist dieses Distance-Learning ein einmaliges Phänomen?

Brodnig: Es ist ein sehr skurriler Testlauf für die Zukunft. Fragen wie, was geht über E-Learning und was nicht, werden jetzt klar. Iris Rauskala aus dem Bildungsministerium hat angekündigt, dass manches danach bleiben soll. Das Wissen, das man sich angeeignet hat, soll erhalten bleiben. Ich glaube schon, dass Schule auf lange Sicht digitaler wird. Für die LehrerInnen ist Online-Unterricht viel anstrengender.

SchülerInnen mit Migrationsbiografie werden derzeit oft generell als sozial schwach und bildungsfern stigmatisiert? Stimmt etwas an diesem Vorurteil?

Brodnig: Die Schule ist ja eigentlich der Ort, wo alle gleich behandelt werden sollen. In der Schule ist es undenkbar, dass die Kinder ihre Tische selbst mitbringen sollen. Jedem Kind wird ein Tisch zur Verfügung gestellt. Das hat der Staat zu organisieren. Auf einmal haben wir ein Schulsystem, in dem das Zuhause der SchülerInnen eine riesige Rolle spielt. Soziale Unterschiede spielen in der Diskussion urplötzlich eine Rolle – und das parteiübergreifend.

Was heißt das konkret?

Brodnig: Es wird problematisch, wenn der Laptop als eine Bringschuld der Eltern und Kinder dargestellt wird. Das geht nicht. Die Schule ist der Ort, wo alle Kinder gleich behandelt werden. In der Schule muss nicht jeder seinen eigenen Stuhl mitbringen, den stellt der Staat zur Verfügung. Wenn wir jetzt ein Bildungssystem haben, das digital abläuft, muss von den Verantwortlichen natürlich mitgedacht werden, dass nicht alle gleich viel Platz, einen Schreibtisch und eine gute Internetverbindung haben. Kulturelle Zugehörigkeit sollte da wirklich keine Rolle spielen.

Also weg von dem Denken: Kein Laptop ist gleich Kind mit Migrationsbiografie?

Brodnig: Ja, raus aus dem Kasterl-Denken. Das muss ja nicht so sein. Die Gefahr ist, dass gewisse Stereotype gefördert oder repliziert werden.

Ingrid Brodnig: Hass im Netz
Brandstätter

Brandstätter. 232 Seiten. 9,99 Euro, E-Book 6,99 Euro. ISBN: 978-3-7106-0035-7

Frau Brodnig, sie haben Bücher über den Hass im Netz geschrieben. Warum gibt es mehr Mobbing im Netz als in der realen Welt?

Brodnig: Alle Menschen haben eine aggressive, unfreundliche Seite. Digitale Kommunikation macht es manchen leichter, brutal zu sein. Ein Grund dafür ist der fehlende Augenkontakt. In dem Moment, wo ich jemandem in die Augen sehen muss, ist es schwieriger brutal zu sein. Man nennt das auch die Unsichtbarkeit im Internet. Wenn ich mein Gegenüber nicht sehe und eintippe, scheint das den TäterInnen emotional leichter zu fallen, weil ich nicht mitansehen muss, was ich bei meinem Opfer ausrichte.

Wie sollen wir reagieren, wenn wir Opfer von Cybermobbing werden? Was kann man da tun?

Brodnig: Erstens ist es wichtig, alles zu dokumentieren, alles abspeichern. Es ist wichtig, den virtuellen Angriff belegen zu können. Zweitens mit all dem nicht alleine zu bleiben. Jeder und jede hat einen Kumpel oder eine erwachsene Vertrauensperson, mit diesen Menschen sollte man darüber reden. Diese Personen stärken einem den Rücken. Das dritte ist, dass wir alle Zivilcourage brauchen. Wenn ich in einer Whatsapp-Gruppe Cybermobbing bemerke, ist es wichtig zu sagen, dass man das nicht in Ordnung findet. Diese Attacken funktionieren nur, weil niemand das Wort ergreift, weil niemand sagt: „Bist du deppert geworden, wie kannst du so etwas schreiben?“

Ingrid Brodnig: Lügen im Netz
Brandstätter

Brandstätter. 232 Seiten. 19,90 Euro, E-Book 15,99 Euro. ISBN: 978-3-7106-0270-2

Das ist gar nicht so leicht, oder?

Brodnig: Selbst wenn man Angst hat und überfordert ist, sollte man das Wort ergreifen. Ich höre auch manchmal: „Ich wollte was sagen, aber mir ist nichts Gutes eingefallen.“ Meistens hilft es schon, wenn man irgendetwas sagt, man schafft damit eine neue Realität.

Was für SchülerInnen betreiben denn Cybermobbing?

Brodnig: Da muss sich jeder und jede selbst bei der Nase nehmen. Wenn ich bemerke, dass ich gerade wütend bin, ist mein Tipp, die Finger vom Smartphone zu lassen. Man sollte eine Pause einlegen und sich fragen, würde ich das, was ich gerade schreiben will, zu dieser Person auch vor einer größeren Gruppe von Angesicht zu Angesicht sagen. Wenn ich das im Klassenzimmer nicht tun würde, sollte ich es auch im Chat nicht schreiben.

Jetzt wird oft gesagt, dass wir SchülerInnen uns besser als die LehrerInnen mit den Neuen Medien, Social Media usw. auskennen. Können sie das bestätigen?

Brodnig: Da habe ich große Zweifel, dass ihr als Digital Natives die Digital Immigrants überflügelt. Jugendliche haben oft gute Anwendungskompetenzen, was soziale Medien betrifft. Aber nur weil ich z. B. auf Instagram sehr viel poste, heißt das nicht, dass ich viel Quellenkritik gelernt habe. Jugendliche müssen Methodiken lernen, die ihnen sagen, was im Internet eine seriöse Information ist und was nicht. Ich warne davor zu glauben, nur weil Jugendliche sehr viel Zeit vor Geräten verbringen, dass sie alle digitalen Kompetenzen besitzen.

Besteht die Gefahr, dass die virtuelle Welt die SchülerInnen aufsaugt?

Brodnig: Es kommt vor, dass Jugendliche keinen Unterschied mehr zwischen Online und Offline machen. Dazu bleibt zu sagen: Wenn ich sehr viel Zeit online verbringe, ist das ein Zeichen, dass mir offline etwas fehlt.

Ingrid Brodnig ist Autorin und Journalistin. Unter anderem hat sie veröffentlicht: „Lügen im Netz“ über die politische Manipulation im Internet und „Hass im Netz“, was die Gesellschaft gegen Hasskommentare, Mobbing und Lügengeschichten tun kann.