Ausstellung „Jezikovni mostovi / Sprachbrücken“ des Elternvereins des BG und BRG für Slowenen in Klagenfurt / razstava Združenje staršev ZG in ZRG za Slovence
Stefan Reichmann
Stefan Reichmann
Minderheiten & Migration

„Wenn jemand mit seiner Sprache keine Sprache hat“

Es trifft Minderheiten genauso wie Migrantinnen und Migranten, nämlich der Ausschluss aus einer Gesellschaft, die einen Homogenitätsanspruch stellt. Dieser wird von Wissenschafter Hans Karl Peterlini als „Homogenitätslüge“ verstanden.

Die Auseinandersetzung damit, welche Brückenfunktion Sprachen zukommt oder zukommen könne, war Thema eines Abends, dem sich eine Wanderausstellung – organisiert vom Elternverein des Slowenischen Gymnasiums in Klagenfurt / Združenje staršev Slovenske gimnazije v Celovcu – widmet. Den wissenschaftlichen Beitrag lieferte der an der Universität Klagenfurt / Celovec lehrende Erziehungswissenschafter Hans Karl Peterlini mit seinem Vortrag „Eins, zwei – oder wieviele? Schule zwischen Nationalstaat, Minderheitenschutz und der Vielfalt der Migrationsgesellschaft“ anlässlich der Eröffnung der interaktiven Ausstellung „Jezikovni mostovi / Sprachbrücken“.

Die interaktive Ausstellung „Jezikovni mostovi / Sprachbrücken“ im Slowenischen Gymnasium / Slovenska gimnazija ist noch bis zum 22. Oktober zu besichtigen.

Weitere Stationen sind die HLW St. Peter / Višja šola St. Peter (ab 5.11.2002) und das Alpen-Adria-Gymnasium in Völkermarkt / Velikovec (ab 26.11.2002).

Darüber hinaus können Schülerinnen und Schüler an einem Sprachenquiz teilnehmen.

„Aussonderung und Besonderung“

Nationale Staaten wie Österreich oder Italien, von wo Peterlini als gebürtiger Südtiroler stammt, gehen von einer einheitlichen Bevölkerung aus, die auf einigen wenigen Merkmalen beruht, vor allem aber auf der Sprache, und damit zur „Aussonderung und Besonderung all jener, die nicht identisch sind, sprachliche Minderheiten eben und Menschen migrantischer Herkunft“ führt. Migration und die Präsenz von Minderheiten in einer Gesellschaft stören also die Homogenitätsannahme, also die Meinung einer einheitlichen kollektiven Identität, von der viele europäischen Staaten nach wie vor überzeugt seien. Für Peterlini also eine „Homogenitätslüge“, weil es diese homogene Gesellschaft nicht gibt, weder in Österreich noch in Italien oder anderen Ländern, wie Deutschland, Frankreich oder Spanien.

Universitätsprofessor Hans Karl Peterlini
Stefan Reichmann

Ausblendung von Bevölkerungsgruppen

Peterlini kommt mit seinen Ausführungen in der Gegenwart an, in dem er der heutigen Bevölkerungszusammensetzung gerecht wird. Allzu oft werden in Regionen, in den Minderheiten leben, migrantische Bevölkerungsstrukturen ausgeblendet. Frappant sei die Situation etwa in Südtirol, wo das Autonomiesystem von einer klaren Trennung der drei Sprachgruppen – deutsche, italienische und ladinische – ausgeht und ein entsprechendes Bekenntnis von der Bevölkerung verlangt wird. Für Migrantinnen und Migranten ist da im Grunde kein Platz vorgesehen. Gelöst wurde die Angelegenheit nun derart, dass die bis zu 60.000 Menschen aus 136 Herkunftsländern sich als „andere“ bezeichnen dürfen und sich dann zwecks der offiziellen Stellen- und Mittelverteilung als deutsch, italienisch oder ladinisch zuordnen. Solche sprachpolitischen Modelle beinhalten die Idee, dass Mehrsprachigkeit als „Verunsicherung geächtet und gefürchtet“ wird, wie es vor allem im 19. Jahrhundert der Fall war.

Sprache und Schule

Der Zusammenhang von Sprache und Schule ist ein scheinbar wesentlicher: Einerseits wird der Sprachunterricht als spracherhaltender Faktor für Minderheiten verstanden, andererseits wird dieser im Integrationsdiskurs als alles bestimmender Faktor gesehen, um möglichst rasch die Sprache des Ziellandes zu erlernen, um dann eventuell Teil der Gesellschaft werden zu können. Peterlini schickt voraus, dass Sprachunterricht zwar wichtig sei, der Blick aber auf das gesellschaftliche Umfeld, die sprachpolitischen Diskurse ebenso gerichtet werden muss. „Sonst wird auf die Schule abgeschoben, was eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung“ darstellt.

Ausstellung „Jezikovni mostovi / Sprachbrücken“ des Elternvereins des BG und BRG für Slowenen in Klagenfurt / razstava Združenje staršev ZG in ZRG za Slovence
Stefan Reichmann

Modelle des Minderheitenschulwesens

Im Minderheitenschulwesen gebe es die zwei Hauptrichtungen, wie sie einerseits in Südtirol und andererseits in Kärnten bestehen: Die deutsche Sprachgruppe in Südtirol wählte nach 1945 für sich das Modell der deutschen Schulen mit italienisch als Zweitsprachenfach und in Kärnten wurde für ausgewiesene Gebiete auf den zweisprachigen Unterricht gesetzt. Die Italiener in Südtirol werden auf Italienisch mit deutscher Zweitsprache unterrichtet. Die deutsche Sprachgruppe in Südtirol sei selbstbewusst gewesen und konnte auf eine potente Sprachgemeinschaft zählen, „um in einer einsprachigen muttersprachlichen Schule eine Chance für sich zu sehen, ohne Interessenschwund und Marginalsierung der eigenen Leute fürchten zu müssen“. In Kärnten sei die zweisprachige Schule für die Minderheit ein „Minimalprogramm“: „Es räumt der eigenen Sprache einen Raum – wenn auch meist untergeordnet – neben der dominanten Sprache ein, aber nicht den exklusiven Stellenwert“ – wie etwa bei den Deutschsprachigen in Südtirol. Die Ladiner in Südtirol hingegen, die in zwei abgeschlossenen Tälern mit starkem Tourismus leben, bekamen deutsch-italienische Schulen mit dem Ladinischen als Behelfssprache.

Öffnung zu Verständnis von Mehrsprachigkeit

Das zweisprachige Schulmodell in Kärnten oder jenes für die Ladiner in Südtirol birgt trotz seiner Schwäche aber auch einen positiven Aspekt in sich, so Peterlini: nämlich die Öffnung zu einem Verständnis von Mehrsprachigkeit, das der monolingualen Schule, wie sie für die Deutschen und Italiener in Südtirol vorgesehen ist, abgeht. So sprechen die Ladinerinnen und Ladiner sowohl Deutsch als auch Italienisch auf einem für eine Zweitsprache außergewöhnlichem Niveau, was aber ihnen auf schulpolitischer Seite in Südtirol oft abgesprochen wird und einer Abwertung der Mehrspachigkeitskompetenz entspreche. „Sie in den Zweit- und Drittsprachen an einem native-Status zu messen, der für sie das Ladinische wäre, ist nicht nur ungerecht, es aberkennt auch das Recht auf eine Muttersprache jenseits der offiziellen Sprachen und mindert die Bedeutung von Mehrsprachigkeitskompetenz“, so Peterlini. Das erleben auch Migrantinnen und Migranten: „Sie können Sprachen, teilweise mehr und besser als wir, aber es sind die falschen Sprachen.“

Ausstellung „Jezikovni mostovi / Sprachbrücken“ des Elternvereins des BG und BRG für Slowenen in Klagenfurt / razstava Združenje staršev ZG in ZRG za Slovence
Stefan Reichmann

Andere Sprachkompetenzen verkümmern

Umgekehrt sei die deutsche Schule in Südtirol eine „sprachliche Festung“. Zwar leiste das Deutsche einen Beitrag zur Absicherung und zum selbstbewussten Ausbau der deutschen Sprache, aber mit der Veröffentlichung einer Studie aus dem Jahr 2017 wurde klar, dass die Kenntnisse der zweiten Sprache verkümmern. „Und zwar nicht nur in Bezug auf die historisch schon immer sehr schwachen Deutschkenntnisse der italienischen Sprachgruppe, sondern auch in Bezug auf die Italienischkenntnisse der deutschen Sprachgruppe“. Zwei- bzw. Mehrsprachigkeit würde sich dann eher nur bei der städtischen, gebildeteren und sprachlich bewussteren Bevölkerung erhalten.

„Zukunftsträchtigere Kompetenz“ in Kärnten/Koroška

Umgelegt auf das zweisprachige Schulmodell in Kärnten würde das bedeuten, dass dieses zwar den Nachteil eines „weniger robusten Minderheitenschutzes“ habe, dafür aber den Vorteil einer „zukunftsträchtigeren Kompetenz“, welche sich eben in der Mehrsprachigkeit äußere. „In der Sprachen funktional, nach praktischem Bedarf, erlernt und gebraucht werden und nicht an grammatikalischer Perfektion gemessen werden, sondern daran, wie sie lebensweltliche Problemlösung, gesellschaftliche Teilhabe und politische Ermächtigung stiften.“ Die Grenzen des Modells sieht Peterlini darin, dass die zweisprachige Schule in Kärnten historisch gesehen – v.a. auch durch das Abmelde- und Anmeldeprinzip – geschwächt und marginalisiert wurde zugunsten des einsprachigen deutschen Unterrichts. Auch die Eingrenzung der zweisprachigen Schule auf periphere und strukturschwache Gebiete hätten dazu beigetragen. So konnte etwa erst nach langen Kampf auch eine zweisprachige Volksschule in Klagenfurt / Celovec errichtet werden.

Vortrag von Hans Karl Peterlini anlässlich der Ausstellung „Jezikovni mostovi / Sprachbrücken“ des Elternvereins des BG und BRG für Slowenen in Klagenfurt / razstava Združenje staršev ZG in ZRG za Slovence
Stefan Reichmann

Zweisprachigkeit blendet Vielfalt oft aus

Minderheitengebiete könnten im Idealfall „Labore der Mehrsprachigkeit“ sein und damit auch neue Sprachen, die durch Migration ins Land kommen, wertschätzend begegnen. Da aber Migration jede nationale Gesellschaft in ihrem Selbstverständnis herausfordert, sei dies auch im System des Minderheitenschutzes der Fall. Nicht selten komme es zu einer Infragestellung und Bedrohung für die Minderheitenschule, wie durch die Südtiroler Autonomiebestimmungen auch begünstigt wird. Zweisprachigkeit blendet allzu oft jede Vielfalt, die über die Zweiheit hinaus geht aus, so Peterlini. So scheinen z.B. die rund 40.000 zweisprachigen Familie statistisch nirgends auf, denn „sie stören ja das Modell“ und noch stärker sind davon Migrationssprachen betroffen. Sprachen von migrantischen Kindern und Jugendlichen hätten in den Zielländern keinen öffentlichen Wert, „sind abgedrängt in die Sonderkurse und in die Welt der Privatsprachen, der Nationalstaat versteht unter Muttersprache weiterhin nur die Nationalsprache“. Ganz im Gegensatz zur Forschung, die immer wieder betont, dass die Förderung in der Erstsprache für Kinder essenziell ist, um in der Zielsprache leichter ein bildungssprachliches Niveau zu erreichen. Deshalb sollten alle Kinder im Unterricht immer wieder, abwechselnd, in Berührung mit den vielen Sprachen kommen und dass diese wenigstens in der Öffentlichkeit des Klassenraums Bedeutungen haben.

Abwertung der Sprachen ist Abwertung von Menschen

Ausdrücklich weist Peterlini auf die Konsequenzen hin, wenn Sprachen abgewertet werden. „Mit dieser Abwertung von Sprachen werden auch die Menschen abgewertet, die sie sprechen, mit der Folge einer Zweiklassengesellschaft, mit der Folge der Ausgrenzung, von Parallelwelten, weil das Integrationsangebot an ein sprachliches Assimilationsgebot geknüpft ist“. Peterlini liefert zwar keine endgültigen Lösungen auf die gesellschaftlichen und schulpolitischen Herausforderungen, will aber den Umstand bewusst machen, „wenn jemand mit seiner Sprache keine Sprache hat“.