Geflüchtete Menschen warten auf die Registrierung im neuen Flüchtlingslager nahe Panagiouda, nachdem das Lager in Moria abgebrannt ist. (12.9.2020)
LOUISA GOULIAMAKI / AFP / picturedesk.com
LOUISA GOULIAMAKI / AFP / picturedesk.com
EU-Asylreform

EU enzweit: Heftige Kritik aus Prag und Budapest

Auch die neuen Vorschläge zur Reform der Asyl- und Migrationspolitik entzweien die Europäische Union. Ungarn und Tschechien äußerten gestern heftige Kritik am Konzept der EU-Kommission.

Zugleich kam Widerstand aus dem Europaparlament. Die EU-Staaten streiten seit Jahren erbittert über die Asylpolitik. Streitpunkt war vor allem, ob und wie Migranten auf alle EU-Staaten verteilt werden sollen. Deshalb legte die EU-Kommission am Mittwoch ein neues Konzept vor, das Länder wie Griechenland und Italien vor allem mit einem stärkeren Grenzschutz entlasten soll sowie mit Hilfe bei der Rückführung abgelehnter Asylwerber. Zugleich will die Behörde, dass alle EU-Staaten ihren Beitrag zur Migrationspolitik leisten. Dazu sollen Länder, die sich der Aufnahme von Migranten verweigern, unter anderem für die Rückführung abgelehnter Asylwerber verantwortlich sein. Eine verpflichtende Verteilung von Migranten soll es nur in absoluten Ausnahmen geben.

Keine Einstimmigkeit notwendig

Nun müssen EU-Staaten und Europaparlament über die Ideen verhandeln. Die EU-Staaten brauchen für eine Entscheidung keine Einstimmigkeit – einzelne Gegner könnten also überstimmt werden. Der deutsche Innenminister Horst Seehofer will eine politische Einigung bis Ende des Jahres. Weil Deutschland derzeit die EU-Ratspräsidentschaft innehalt, leitet der CSU-Politiker die Verhandlungen. Im Vorschlag der EU-Kommission sieht er eine gute Grundlage.

„Noch mehr Mauern hochgezogen und Zäune verstärkt“

Auch das UNO-Flüchtlingshilfswerk UNHCR gibt dem Konzept eine Chance: „Wir denken, dass es eine gute Grundlage ist, und dass man vielleicht am Ende der EU-Ratspräsidentschaft von Deutschland zu einer Verständigung kommen kann“, sagte Frank Remus vom UNHCR Deutschland im SWR. Er warnte jedoch, dass ein schnelles Grenzverfahren keine „rechtlichen Dinge im Prozess“ auslassen dürfe. „Dieser Pakt, der als Neuanfang gedacht ist, ist in Wirklichkeit ein Fehlstart“, erklärte dagegen Eve Geddie, Leiterin des EU-Büros bei Amnesty International. Mit dem EU-Migrationspaket würden „noch mehr Mauern hochgezogen und Zäune verstärkt“.

Gegen verpflichtende Aufnahme

In den vergangenen Jahren war jeder Reformversuch im Rat der EU-Staaten gescheitert. Die Visegrád-Staaten Ungarn, Tschechien, Polen und die Slowakei, aber auch andere Länder wie Österreich, lehnen die verpflichtende Aufnahme von Migranten kategorisch ab. Südliche EU-Staaten, in denen viele Migranten ankommen, verlangen hingegen mehr Unterstützung.

Ungarn & Tschechien für Zentren außerhalb der EU

Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán wurde gestern sogleich deutlich. „Der grundsätzliche Ansatz ist noch immer unverändert“, kritisierte er nach einem Treffen mit EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen sowie seinen Kollegen aus Tschechien und Polen. „Sie möchten Migration managen und nicht die Migranten stoppen.“ Ein Durchbruch wären seiner Meinung nach Hotspots für Migranten außerhalb der EU. Wie Orbán brachte auch Tschechiens Ministerpräsident Andrej Babiš Zentren außerhalb der EU ins Spiel. „Wir müssen Migration stoppen und die Quoten und die Umverteilung, diese Worte sind für uns nicht akzeptabel“, sagte der Gründer der populistischen Partei ANO. „Wir brauchen wirklich Hotspots außerhalb von Europa.“ Dazu müsse mit nordafrikanischen Staaten verhandelt werden, zudem brauche es eine langfristige Strategie für Libyen und Syrien. Es sei jedoch gut, dass die Quoten vom Tisch seien. Die EU-Staaten hatten vor zwei Jahren schon einmal erfolglos versucht, sogenannte Ausschiffungsplattformen in Nordafrika umzusetzen.

„Uneuropäisch und unsoldarisch“

Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn warnte davor, die Vorschläge vorschnell abzulehnen. „Ich finde es zutiefst uneuropäisch und unsolidarisch, dass das jetzt teilweise so schnell in der Luft zerrissen wird“, sagte er der Deutsche Presse-Agentur. Dem „Handelsblatt“ sagte Asselborn heute, an den Vorschlägen müsse noch weiter gearbeitet werden: „Es müssen zusätzliche Mechanismen eingebaut werden, damit nicht nur sechs EU-Länder am Ende des Tages noch Geflüchtete aufnehmen.“

Frankreich begrüßte Vorschläge

Frankreich nahm die Vorschläge positiv auf. Die Asylpolitik müsse überprüft und ein faires Gleichgewicht zwischen Verantwortung und Solidarität gefunden werden, teilte das Innenministerium mit. Die EU müsse die Kontrollen an ihren Außengrenzen verstärken, um irreguläre Einwanderung einzudämmen. Für Asylberechtigte müsse es eine bessere Versorgung als bisher geben.

Griechenland will gleichmäßige Verteilung

Der griechische Regierungssprecher Stelios Petras machte deutlich, dass sein Land weiter auf eine gleichmäßige Verteilung von Migranten besteht. Athen sehe jedoch fünf wichtige Punkte in den neuen Vorschlägen: die Verstärkung der Grenzkontrollen, rasche Registrierung der Flüchtlinge, schnellere Asylverfahren, ein Mechanismus zur gerechten Verteilung von Migranten und mehr Rückführungen von Menschen ohne Schutzanspruch.

Italien sieht „Verhandlungsbasis“

Die italienische Regierung begrüßte die Vorschläge als „Verhandlungsbasis mit vielen interessanten Aspekten“. Nicht enthalten sei aber die von Italien geforderte Überwindung des Dubliner Asylsystems, kritisierte die italienische Innenministerin Luciana Lamorgese am Mittwochabend. Die Ankunftsländer der Flüchtlinge und Migranten dürften nicht weiterhin belastet werden.

Vorschlag bewegt sich „in die richtige Richtung“

Innenminister Karl Nehammer und Europaministerin Karoline Edtstadler (beide ÖVP) hatten bereits am Mittwoch positiv auf den Vorschlag reagiert. Beim „ersten Hinschauen“ sei ersichtlich, dass sich der Vorschlag „in ganz wichtigen Themenfeldern in die richtige Richtung bewegt“, sagte Nehammer. Edtstadler begrüßte, „dass die EU-Kommission neben einem umfassenden Außengrenzschutz und der intensiven Zusammenarbeit mit Drittstaaten im Bereich Rückübernahmeabkommen unseren Vorschlag der flexiblen Solidarität übernommen hat“.

EU-Parlament befürchtet weitere Lager

Auch aus dem EU-Parlament kam deutliche Kritik an den neuen Vorschlägen. Mehrere Abgeordnete warnten davor, dass am Rande der EU erneut Lager wie das zuletzt abgebrannte Moria auf Lesbos entstehen könnten.