Frauen sitzen am Boden im Hafen von Tajoura, im Osten der libyschen Hauptstadt Tripolis, nachdem über 200 Menschen in Gummibooten gerettet wurden, die von der afrikanischen Küste Richtung Europa absetzten. (29.11.2019)
MAHMUD TURKIA / AFP / picturedesk.com
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Amnesty International

EU Mitschuld an Menschenrechtsverletzungen in Libyen

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hat die Europäische Union für schwere Menschenrechtsverletzungen in Libyen mitverantwortlich gemacht.

In dem nordafrikanischen Land würden Geflüchtete weiterhin unrechtmäßig und ohne Konsequenzen getötet, gefoltert, vergewaltigt, willkürlich inhaftiert und ausgebeutet, heißt es in einem Bericht, den die Organisation in der Nacht auf heute veröffentlichte.

AI-Report „Between Life and Death – Refugees and Migrants Trapped in Libya’s Cycle of Abuse“

„Offensichtlich, dass Libyen kein sicherer Ort ist“

„Es ist offensichtlich, dass Libyen kein sicherer Ort ist“, sagte Franziska Vilmar von Amnesty International in Deutschland. „Wer zulässt, dass Menschen gegen ihren Willen nach Libyen verbracht werden, macht sich schwerer Menschenrechtsverletzungen mitschuldig.“ Amnesty forderte die EU auf, jede Kooperation mit Libyen von der Einhaltung von Menschenrechten abhängig zu machen. „Die Europäische Union ist aktuell mitverantwortlich für die Krise des internationalen Flüchtlingsschutzes“, kritisierte die Organisation. Die EU-Mitgliedsstaaten verletzten täglich geltendes Völkerrecht.

In Libyen herrscht seit dem Sturz von Langzeitherrscher Muammar al-Gaddafi im Jahr 2011 Bürgerkrieg. Der nordafrikanische Staat hat sich seitdem zu einem der wichtigsten Transitländer für Flüchtlinge auf dem Weg über das Mittelmeer nach Europa entwickelt. Seit dem Jahr 2016 arbeiten die Mitgliedsstaaten der EU unter der Führung von Italien mit den libyschen Behörden zusammen, um Menschen, die mit Booten fliehen, auf See abzufangen und zurück nach Libyen zu bringen.

Hälfte der Menschen verschleppt

Amnesty zufolge wird die eine Hälfte der Menschen, die die libysche Küstenwache abfängt, in offizielle Haftlager gebracht. Die andere Hälfte gelte als verschollen. Sie komme in von Milizen betriebene inoffizielle Lager, zu denen keine internationale Organisation Zugang habe. „Von diesen verschleppten Menschen verliert sich jede Spur“, erklärte Amnesty. Im Osten Libyens seien zudem allein in diesem Jahr mehr als 5.000 Menschen aus unterschiedlichen afrikanischen Ländern unter Verletzung des Völkerrechts nach Ägypten abgeschoben worden.

„Trotz regelmäßiger Versprechungen der libyschen Behörden, gegen solche Verbrechen vorzugehen, bleiben die meisten ungeklärt und unbestraft“, sagte AI-Generalsekretär Markus Beeko. Die libysche Regierung müsse die Situation für geflüchtete Menschen im Land nachhaltig verbessern, sie unverzüglich aus der Haft entlassen und Menschenrechtsverletzer zur Rechenschaft ziehen.

Bericht „Zwischen Leben und Tod“

Für den Bericht „Zwischen Leben und Tod“ sind nach Angaben der Organisation 43 Menschen befragt worden, darunter Migranten und Flüchtlinge, Mitarbeiter von Hilfsorganisationen und Journalisten. Auch seien offizielle Dokumente und Erklärungen sowie Audio- und Videodokumentationen von Flüchtlingen und Migranten ausgewertet worden. Gestern stellte die Europäische Kommission Vorschläge für eine reformierte gemeinsame Migrations- und Asylpolitik vor. Amnesty zufolge untermauere der Bericht zur Lage von Menschen auf der Flucht in Libyen, dass dringend ein Paradigmenwechsel nötig sei.