Eine Frau wirft ihre Stimme in die Wahlurne (29.9.2013)
HERBERT PFARRHOFER / APA / picturedesk.com
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Wien-Wahl

Experten für mehr Länder-Spielraum beim Wahlrecht

Angesichts des steigenden Anteils der nicht Wahlberechtigten plädieren Experten dafür, den Ländern Spielraum zur Einführung eines Wahlrechts für Zuwanderer zu geben.

Als Vorbild nennt der Politikwissenschafter Gerd Valchars die Wahlaltersenkung auf 16, die ebenfalls zuerst in Gemeinden und Ländern ausprobiert wurde. „Das wäre der Sinn eines Föderalismus, dass man gewisse Experimente und Innovationen ermöglicht“, meint auch der Verfassungsjurist Peter Bußjäger.

Entkoppelung des Wahlrechts von Staatsbürgerstatus

Bedenken gegen ein bundesweites Wahlrecht für nicht-österreichischer Staatsbürgerinnen und Staatsbürger kann der Politikwissenschafter Jeremias Stadlmair durchaus nachvollziehen. „Was ist die Staatsbürgerschaft, wenn es nicht die volle Teilhabe ist? Darauf eine vernünftige Antwort zu geben, was der Staatsbürgerstatus ist, wenn ich das Wahlrecht davon entkopple, ist nicht ganz einfach“, räumt er gegenüber der APA ein. Andererseits müsse es auch eine Lösung für Menschen geben, die in Österreich geboren sind, ihr ganzes Leben hier verbringen, „aber die Staatsbürgerschaft nicht geerbt haben“.

Weniger restriktives Staatsbürgerschaftsrecht

Sowohl Valchars als auch Stadlmair schlagen daher zum einen ein weniger restriktives Staatsbürgerschaftsrecht vor. Wer Österreicher werden will, muss derzeit nämlich zehn Jahre lang hier leben, ein gesichertes Einkommen haben, unbescholten sein und auf seine alte Staatsbürgerschaft verzichten. Beide Politikwissenschafter schlagen vor, unter bestimmten Voraussetzungen eine Verleihung der Staatsbürgerschaft bei Geburt in Österreich anzudenken. Das wäre – im Gegensatz zu einer Wahlrechtsänderung – auch mit einfacher Parlamentsmehrheit möglich.

Verfassungsänderung notwendig

Zusätzlich plädiert Valchars dafür, die Entscheidung über ein Wahlrecht für Zuwanderer auf Landes- und Gemeindeebene den Ländern zu überlassen. Dafür wäre – wie der Verfassungsgerichtshof bereits 2004 entschieden hat – eine Verfassungsänderung nötig. Auch Bußjäger würde die Länder selbst über ein solches Wahlrecht bei Landes- und Gemeindewahlen entscheiden lassen. Der Spruch der Verfassungsrichter aus 2004 habe „das Wahlrecht in Beton gegossen“ und die Innovationsfähigkeit des Föderalismus eingeschränkt, sagt der Jurist. Und die EU-Kommunalwahlrichtlinie sehe nur ein Wahlrecht der EU-Bürger zum Gemeinderat (in Wien Bezirksvertretung) vor, nicht aber auf Landesebene. Stadlmair verweist außerdem darauf, dass Länder und Gemeinden ihre Zuwanderung nicht selbst steuern können. Es mache daher wenig Sinn, die nationale Staatsbürgerschaft zur Voraussetzung für lokale Teilhabe zu machen.

Bevölkerungsgruppen und Regionen „unterrepräsentiert“

Für Valchars und Stadlmair bringt der Ausschluss weiter Teile der Bevölkerung von den Wahlen eine Reihe negativer Folgen mit sich. So seien bestimmte Bevölkerungsgruppen und Regionen in der Politik „unterrepräsentiert“. Etwa weil Wien weniger Nationalratsabgeordnete stellt als Niederösterreich, obwohl es deutlich mehr Einwohner (aber eben weniger Staatsbürger) hat. Oder weil der Anteil an Migranten unter Jungen, Geringverdienern und Arbeitern höher ist als unter Pensionisten. „Die Jungen sind im Elektorat deutlich unterrepräsentiert, Ältere überrepräsentiert“, betont Valchars.

Senkung der Wahlbeteiligung

Ein weiteres mögliches Problem führt Stadlmair an: er hat die Wahlbeteiligung in den Wiener Bezirken untersucht und festgestellt, dass ein hoher Anteil nicht wahlberechtigter Einwohner auch die Wahlbeteiligung der österreichischen Bevölkerung senkt. Wie dieser Effekt zustande komme, sei nicht ganz klar, meint der Politikwissenschafter. Eine mögliche Erklärung sei allerdings, dass Nichtwählen ansteckend wirke und auf Familie und Freunde abfärbe: „Wählen ist ein sozialer Akt und hat mit einer Norm zu tun, dass wir wählen gehen sollen. Diese Norm verliert natürlich an Bedeutung, wenn viele nicht wählen können.“