Menschen im Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos, nachdem ein Großbrand ausgebrochen war. (9.9.2020)
ANGELOS TZORTZINIS / AFP / picturedesk.com
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Moria

Deutschland nimmt weitere 1.553 Flüchtlinge auf

Knapp eine Woche nach dem verheerenden Brand im griechischen Flüchtlingslager Moria hat die deutsche Bundesregierung sich darauf verständigt, mehr Flüchtlinge aus Griechenland aufzunehmen.

Weitere 1.553 Menschen aus 408 Familien auf den griechischen Inseln sollen Schutz in Deutschland finden, vereinbarten heute CDU, CDU und SPD. Kritik gab es an der starren Haltung Österreichs. Die 1.553 Personen sollen zusätzlich zu den bisher geplanten bis zu 150 unbegleiteten Minderjährigen aufgenommen werden. „Wir haben als Regierung eine Verständigung darüber herbeigeführt, was zu tun ist“, sagte Vizekanzler Olaf Scholz (SPD). Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Innenminister Horst Seehofer (CSU) stellten die Einigung in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vor.

Insgesamt werden 2.750 Menschen aufgenommen

Insgesamt will Deutschland damit 2.750 Geflüchtete von den griechischen Inseln aufnehmen, gab heute Regierungssprecher Steffen Seibert in einer Mitteilung bekannt. Die Aufnahme von 243 behandlungsbedürftigen Kindern sowie ihren Kernfamilien sei in der Umsetzung. Dies betreffe insgesamt voraussichtlich mindestens 1.000 Personen, von denen mehr als 500 schon in Deutschland seien. „Die Gesamtzahl der Menschen, die Deutschland von den griechischen Inseln übernimmt, beläuft sich dementsprechend auf etwa 2.750 Personen.“

Einigung der Koalitionspartner

Die Einigung der Koalitionspartner gelang entlang einer Verständigung, die zunächst Bundeskanzlerin Merkel und Innenminister Seehofer für die Union gefunden hatten. Damit hatte sich Seehofer bereiterklärt, über die bis zu 150 Kinder hinaus etwa 1.500 Menschen aus Familien aufzunehmen, die anerkannt schutzbedürftig sind.

Deutschland mit eigenständigem Programm

SPD-Chefin Saskia Esken hatte noch am Sonntag eine deutlich höhere vierstellige Zahl gefordert. Gemeinsam mit Scholz begrüßte sie die nun gefundene Einigung, da Deutschland damit ein eigenständiges Programm ausgerufen habe. Als dritter Schritt werde eine europäische Lösung angestrebt, bei der Deutschland weitere Flüchtlinge aufnehmen würde. Dies wurde in der Union umgehend infrage gestellt.

Söder enttäuscht von österreichischen Regierung

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder warf Österreich unterdessen eine Verweigerungshaltung bei der Aufnahme von Flüchtlingen aus Moria vor. Er sei enttäuscht von der türkis-grünen Regierung in Wien, dass sie ihre starre Grundhaltung nicht zugunsten von „etwas mehr Herzlichkeit“ aufgebe, sagte der CSU-Chef in München. Söders CSU gilt als „Schwesterpartei“ der ÖVP von Bundeskanzler Sebastian Kurz.

Deutsche Grünen sollten auf Grüne in Österreich einwirken

Er sei „doppelt enttäuscht“, präzisierte Söder. Zum einen, weil Österreich nicht einmal ein „symbolisches Signal“ setze – dabei profitiere das Land selber doch so sehr von Europa. Zudem kritisierte Söder auch die deutschen Grünen. Diese müssten doch auf ihre Kollegen in Österreich einwirken, die in Wien mitregieren. Es sei für ihn enttäuschend, dass dies den Grünen in Deutschland kein Wort wert sei. Die österreichischen Grünen wiederum sollten sich in der türkis-grünen Koalition in diesem Punkt stärker melden.

Hilftransport Österreichs

Österreichs Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hatte zuvor seine ablehnende Haltung zur deutschen Linie mit der geplanten Aufnahme von rund 1.500 Migranten bekräftigt. Als Gegenentwurf zur deutschen Strategie bringt Österreich einen umfangreichen Hilfstransport für die Menschen aus dem weitgehend zerstörten Flüchtlingslager Moria auf den Weg.

Griechenland fordert europäische Solidarität

Die griechische Polizei nahm unterdessen fünf Personen wegen des Verdachts der Brandstiftung im Lager Moria fest. Tausende nach dem Feuer obdachlos gewordene Flüchtlinge auf Lesbos weigern sich, in neu errichtete Behelfsunterkünfte zu ziehen, sondern wollen die Insel verlassen. Griechenlands konservativer Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis (Nea Dimokratia/ND) forderte europäische Solidarität und eine gemeinsame Migrations-, Asyl- und Rückführungspolitik. Jetzt brauche es eine neue Einrichtung mit europäischer Unterstützung, sagte er in Athen. Der EU-Ratsvorsitzende Charles Michel bezeichnete die Migration bei einem Besuch in der griechischen Hauptstadt als Herausforderung für die Europäische Union.

Warnung vor Aufnahme als falsches Signal

Die Regierung in Athen hat mehrfach gewarnt, mit der Aufnahme von Flüchtlingen dürfe kein falsches Signal ausgesandt werden. Nach dem Brand in Moria fürchtet sie, dass weitere Lager angezündet werden könnten, wenn sich die Flüchtlinge und Migranten dadurch bessere Chancen erhoffen, auf das griechische Festland gebracht oder von anderen EU-Staaten aufgenommen zu werden. Griechenland sorge sich zudem, dass eine Aufnahme der gut 12.000 Bewohner aus Moria dazu führen könnte, dass sich weitere Migranten aus der Türkei auf den Weg über die Grenze machen, hieß es in den Regierungskreisen.

Finanzverhandlungen einfacher als Debatte über EU-Flüchtlingspolitik

Merkel und Seehofer verteidigten die Lösung in der Fraktion. Die EU-Finanzverhandlungen seien einfach gewesen im vergleich zu den Debatten über eine einheitliche EU-Flüchtlingspolitik, sagte Merkel laut Teilnehmern. Es sei aber wichtig zu handeln, weil sogar Chinas Präsident Xi Jinping auf dem EU-China-Gipfel angemerkt habe, dass Europa bei der Flüchtlingsbehandlung nicht unbedingt ein Vorbild sei. Innenminister Seehofer verwies nach Teilnehmerangaben darauf, dass die Hilfe in Griechenland vor Ort die sinnvollste sei. Wichtig sei, dass die nun aufgenommen gut 1.500 Menschen bereits als Asylwerber anerkannt seien und nicht nur aus Lesbos kämen.