Frau mit Mundschutz in New York, USA (2.4.2020)
ANGELA WEISS / AFP / picturedesk.com
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Coronavirus

Chance für grenzüberschreitende Solidarität

Solidarität endet bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie vielfach an den Landesgrenzen. Das sei zwar nachvollziehbar, weil der nationale Schulterschluss emotional funktioniere, aber „ohne grenzüberschreitende Solidarität sind wir Erste-Klasse-Passagiere auf einem sinkenden Schiff“, sagt Politikwissenschafterin Monika Mokre.

Solidarität habe viel mit Kollektiv-Identitäten und damit auch mit Abgrenzung von anderen Gruppen zu tun und werde oft in nationalen Grenzen gedacht, so Mokre von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) im Gespräch mit der APA. Ein Virus halte sich allerdings nicht an nationale Grenzen. Hier funktioniere weder nationale Abschottung noch Abschottung der Reicheren von den Ärmeren, plädiert sie für transnationale Solidarität. Immerhin zeige die aktuelle Situation, wie sehr das Leben jedes einzelnen von den Lebensbedingungen aller abhänge.

Globale Sicht notwendig

Mokre fordert zu schauen, wo es global gesehen die größten Probleme gibt und wie dort geholfen werden kann. Zum Teil passiere das schon, wenn Deutschland etwa nun Kranke aus Frankreich aufnehme oder Ärzte aus Albanien nach Italien gehen. „Man sollte das halt auch außereuropäisch denken, auch in Bezug auf Geflüchtete.“ Der Corona-Ausbruch in Afghanistan etwa sei „die pure Katastrophe“. Man müsse auch dort in Infrastruktur investieren und schauen, wie man helfen kann, so die Wissenschafterin.

Ausschluss von Migrantinnen und Migranten

Die Staaten würden derzeit allerdings sehr national bis nationalistisch auf die Coronavirus-Pandemie reagieren, etwa wenn hierzulande von der Regierung Migrantinnen und Migranten mit dem Slogan „Team Österreich“ ausgeschlossen würden, obwohl diese nachweislich zu einem Großteil die derzeitigen systemerhaltenden Arbeiten erledigen. Mokre übt auch Kritik daran, dass nur österreichische Staatsbürger ein Recht auf einen Rückholflug hätten.

Klassenunterschiede verstärken sich

Grenzen der Solidarität aufgrund unseres Wirtschaftssystems sieht Mokre auch zwischen jenen, die derzeit in vergleichsweise gut bezahlten Jobs im Home-Office sitzen können und jenen, die bei einer schlecht bezahlten Arbeit im Supermarkt oder am Bau ihre Gesundheit riskieren müssen. „Wir sehen ganz klar, dass Klassenunterschiede sich gerade verstärken. Das ist bei jeder Krise der Fall ist, bei jedem Erdbeben fallen die billigsten Häuser zuerst zusammen.“ Über nationale Solidarität werde versucht, diese Klassenunterschiede zu befrieden und offene Konflikte zu verhindern.

Systemerhaltende Jobs am schlechtesten bezahlt

„Hier wäre es nötig, die Solidarität nicht dabei zu belassen, dass wir um 18.00 Uhr dem Gesundheitspersonal applaudieren. Was wir gerade sehen, muss sich in einem Lohnschema niederschlagen“, betont Mokre. „Man muss auch umdenken: Die, die jetzt als systemerhaltend definiert sind, sind genau diejenigen, die Jobs mit der schlechtesten Bezahlung und ohne besondere Reputation haben.“

Andere Themen bekommen keine Aufmerksamkeit mehr

Die extreme Fokussierung auf die Bewältigung der Coronavirus-Pandemie führt laut Mokre dazu, dass andere drängende gesellschaftliche Themen keine Aufmerksamkeit mehr bekommen. Beim Thema Geflüchtete sieht Mokre dabei allerdings „keinen dramatischen Unterschied“ zu vorher: Im Mainstream-Diskurs würden diese schon seit Längerem vor allem als „Gefahr“ dargestellt, was sich vor der Corona-Krise etwa im Slogan „Klima und Grenzen schützen“ der türkis-grünen Koalition niedergeschlagen habe. Dem Thema Umwelt- und Klimaschutz sagt Mokre nach dem Abflauen der Corona-Krise hingegen ein Comeback voraus, die Themen könnten strategisch zusammen gedacht werden. „Die Entwicklung einer Pandemie, also einer weltweiten Seuche, hat schon auch viel mit globalisierten Wirtschaftskreisläufen zu tun und damit haben auch die Klimaprobleme zu tun.“

Emotionale Komponente tritt in den Hintergrund

Die Langlebigkeit neuer Formen der Solidarität als Folge der Corona-Pandemie, etwa der Versorgung älterer Nachbarn mit Lebensmitteln, ist Mokre hingegen fraglich. „Wenn es für die Leute persönlich sehr eng wird, kann ich mir gut vorstellen, dass viele sagen: Jetzt schau ich nur mehr auf mich.“ Dazu komme, dass Solidarität auch eine emotionale Komponente hat – und die werde durch das Social Distancing derzeit erschwert.