Schloss Hartheim
ORF OÖ
ORF OÖ
Publikation

Morden für Incentives

Wer waren die Täter, die zigtausende Morde in der NS-Tötungsanstalt Hartheim zu verantworten haben und wieso haben sie alle mitgemacht?

Eine Publikation des Lern- und Gedenkorts Schloss Hartheim und des Wiener Wiesenthal Instituts liefert erschreckend banale Antworten darauf: Gute Bezahlung, gemeinsame Ausflüge und die Gewähr, nicht zum Kriegsdienst eingezogen zu werden, reichten offenbar aus.

Individuelle „Karrieren“ & Funktionsweise der Tötungs-Industrie

„Beyond Hartheim“ beleuchtet individuelle „Karrieren“ ebenso wie die Funktionsweise der Tötungs-Industrie. Die Autoren spüren zudem der Frage nach, welche Rolle das Personal aus der Euthanasieanstalt in Oberösterreich mit seinem grausamen Know-how in weiteren Bereichen der Holocaust-Logistik gespielt hat und zeigt personelle Verflechtungen mit anderen Tötungsanstalten auf. Diese Forschung sei auch 75 Jahre nach der NS-Zeit von großer Bedeutung, betonte Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP) anlässlich der Präsentation der Publikation. „Beyond Hartheim“ leiste „einen Beitrag zur Beantwortung der schwierigen und unbequemen Frage“, wie normale Menschen zu Tätern werden konnten.

Philipp Rohrbach, Florian Schwanninger (Hrsg.): „Beyond Hartheim. Täterinnen und Täter im Kontext von ‚Aktion T4‘ und ‚Aktion Reinhard‘“, StudienVerlag, 150 Seiten, 19,10 Euro, ISBN: 978-3-7065-5604-0

T4-Täter maßgeblich zur Industrialisierung des Holocaust beigetragen

Führendes Personal der „Aktion Reinhard“, im Rahmen derer in Belzec, Treblinka und Sobibor zwischen 1,5 und zwei Millionen Juden und Roma ermordet wurden, kamen aus den Tötungsanstalten der „Aktion T4“, der rund 70.000 Menschen mit körperlichen, geistigen und seelischen Beeinträchtigungen zum Opfer fielen, wie die Publikation zeigt. Die T4-Täter trugen mit ihrem Know-how in der Vernichtung „lebensunwerten Lebens“ maßgeblich zur Industrialisierung des Holocaust bei. In einem Aufsatz widmet sich der Historiker Bertrand Perz u.a. der als „The Austrian Connection“ bekannten Seilschaft rund um den Polizeiführer Odilo Globocnik im Distrikt Lublin und Angelika Benz den „Trawniki-Männern“, osteuropäischen Helfern der SS-Schergen in Polen, die sich in den Dienst der Nazis gestellt hatten, um zu überleben.

Täglich 20 bis 60 Menschen getötet

In Hartheim in Oberösterreich wurden im Rahmen der Aktion T4 im Schnitt 20 bis 60 Menschen pro Tag getötet und verbrannt, binnen 16 Monaten belief sich die Zahl der Opfer auf 18.269 Personen. In der Euthanasieanstalt arbeiteten während der Zeit der Aktion T4 ungefähr 70 Personen, die meisten von ihnen wohnten auch im Schloss. Die Tötung fiel in die Zuständigkeit der Mediziner, der Gashahn der Gaskammer musste laut Vorschrift von einem Arzt bedient werden. Geleitet wurde die Mordmaschinerie vom Linzer Psychiater Rudolf Lonauer, der auch ärztlicher Direktor der Landes-Heil- und Pflegeanstalt Niedernhart war, und seinem Stellvertreter Georg Renno. Ein arbeitsteiliges System organisierte die Morde straff – vom Entkleiden der Opfer über die Tötung, das Entfernen des Zahngoldes, in manchen Fällen Prosektur bis hin zur Verbrennung, war alles genau geplant. In den Benachrichtigungen an die Hinterbliebenen wurden meist natürliche Todesursachen und ein anderer Sterbeort eingetragen.

Arbeitsteiligkeit des Prozesses und Vergüstigungen

Die Arbeitsteiligkeit des Prozesses ermöglichte den Tätern die Rechtfertigung ihres Handelns. Diverse Vergünstigungen halfen beim Wegsehen: Alkohol wurde reichlich ausgeschenkt, gemeinsame Kinoabende und Ausflüge – in denselben Bussen, in denen die Opfer in die Tötungsanstalt gebracht wurden – standen am Programm. Gute Bezahlung und ein nennenswerter Frauenanteil – es gab auch Pärchen in der Belegschaft, sogar Ehen wurden geschlossen – taten ein übriges. Rekrutiert wurden die unteren Ränge oft über das Arbeitsamt. Nur ein einziger Mitarbeiter weigerte sich mitzumachen, er wurde daraufhin zur Wehrmacht eingezogen.

Täter waren „ganz normale Frauen und Männer“

Während man in der Nachkriegszeit immer versucht habe, die Täter als abnorme Persönlichkeiten darzustellen, die mit der Gesellschaft nichts zu tun gehabt hätten, weiß man heute, dass es „ganz normale Frauen und Männer waren, die die ihnen zugewiesenen Aufgaben erledigt haben“, so Brigitte Kepplinger, Obfrau des Vereins Schloss Hartheim. „Es sind nicht die Persönlichkeitsstörungen, sondern die Verschiebungen der normativen Regeln, die Menschen zu Tätern machen.“ So habe es in der Nazidiktatur als legitim und wünschenswert gegolten, bestimmte Menschen zu töten.