Ein Schüler einer Integrationsklasse einer Offenen Volksschule (OVS) während einer Rechtschreibübung im Deutschunterricht. (16.5.2017)
HARALD SCHNEIDER / APA / picturedesk.com
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Experten

„Sprachnationalismus“ in Österreich

Vertreter des Netzwerks SprachenRechte warnen vor den Folgen eines zunehmenden „Sprachnationalismus“ in Österreich. Die Beherrschung der deutschen Sprache werde hierzulande viel zu sehr in den Vordergrund gerückt.

Kritisiert Linguist Rudolf de Cillia (Uni Wien) im Gespräch mit der APA. Die Folge sei eine gesellschaftliche und rechtliche Diskriminierung von Bürgern nach sprachlichen Kriterien.

„Sprachenrechte sind Menschenrechte“

Natürlich sei es im eigenen Interesse von Zuwanderern, Deutsch zu lernen. „Aber sie brauchen dafür das Angebot und sie brauchen das Geld“, betonte der Wissenschafter, der heute mit weiteren Vertretern des Netzwerks Sprachenrechte zu einem Pressegespräch unter dem Titel „Sprachenrechte sind Menschenrechte“ geladen hat.

Eklatante Benachteiligung durch Gesetzeslage

In Österreich führe die aktuelle Gesetzeslage allerdings dazu, dass Nicht-EU-Bürger – immerhin ein Drittel der Zuwanderer – beim Zugang ins Land, zu einem dauerhaften Aufenthalt und zur Staatsbürgerschaft eklatant benachteiligt seien. Besonders schlimm empfindet de Cillia die Vorgaben bei der Sozialhilfe nach dem neuen Sozialhilfe-Grundsatzgesetz: Diese soll nur noch bei fortgeschrittenen Deutschkenntnissen zur Gänze ausbezahlt werden, ein einziger Intensivsprachkurs von 60 bis 80 Unterrichtsstunden koste aber schon 400 bis 500 Euro. „Die Menschen werden hier von zwei Seiten in die Mangel genommen.“

Entwicklung seit 1998

Begonnen hat diese Entwicklung laut de Cillia 1998, als erstmals Deutschkenntnisse als Voraussetzung für den Erwerb der Staatsbürgerschaft definiert wurden. Damals seien noch „den Lebensumständen entsprechende Kenntnisse der deutschen Sprache“ abgefragt worden. Seither seien die Gesetze jedoch wiederholt verschärft worden – und parallel dazu „rechtspopulistische Konzepte in der Mitte der Gesellschaft angekommen“, wie de Cillia konstatiert.

An Europäischen Referenzrahmen Niveau gekoppelt

Mittlerweile müssen Nicht-EU-Bürger bereits vor Zuzug geringe Deutschkenntnisse (Niveau A1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens) und innerhalb von zwei Jahren Grundkenntnisse (Niveau A2) nachweisen. Das Recht auf dauerhaften Aufenthalt und die gesamte Sozialhilfe erhält man nur bei fortgeschrittenen Kenntnissen (Niveau B1). „Das sind sehr hohe Anforderungen für Menschen, die Tests nicht gewohnt sind“, betont de Cillia. Dazu komme, dass der verwendete Europäische Referenzrahmen eigentlich für den Fremdsprachunterricht entwickelt wurde und nicht für den Alltagssprachgebrauch von Zugewanderten.

Förderung der Familien- & der Zweitsprache

Überhaupt hält er das aktuelle System in Österreich – immerhin ein Land mit sieben anerkannten und zahlreichen nicht anerkannten Minderheitensprachen – für falsch aufgesetzt. Zwar sei es gut, auf eine möglichst frühe Sprachförderung zu setzen. Allerdings dürfe man nicht nur auf Deutsch fokussieren. Es sei wissenschaftlich belegt, dass die Förderung der Familiensprache und der Zweisprachigkeit eine wichtige Voraussetzung für den Erwerb der Zweitsprache sei. Als positives Beispiel nennt de Cillia die interkulturellen Mitarbeiterinnen in den niederösterreichischen Kindergärten, die den Kindern zeigen sollen, dass auch ihre Muttersprache wertvoll ist.

Politisch stehe Deutsch im Zentrum

Schon 1992 sei an Österreichs Schulen begonnen worden, systematisch neben Deutsch auch den Erwerb der Familiensprache und interkulturelles Lernen zu fördern. Politisch stehe heute aber vorrangig Deutsch im Zentrum, mit den separaten Deutschförderklassen sei mittlerweile eine Forderung des FPÖ-Volksbegehrens „Österreich zuerst“ von 1992 an den Schulen umgesetzt worden. Seit zehn Jahren gebe es zudem immer wieder Forderungen danach, nur noch Deutsch als Pausensprache zu erlauben – in Oberösterreich findet sie sich im Arbeitsabkommen der aktuellen Landesregierung.

Sprachtests behindern Integration statt fördern

Bei den Erwachsenen würden die diversen verpflichtenden Sprachtests wiederum die Integration mehr behindern als fördern. „Die Menschen lernen dann für den Test und nicht mehr das, was sie wirklich für den Alltag brauchen.“ Stattdessen plädiert de Cillia für niederschwellige Angebot kostengünstigen Kursen in Schulen, Vereinen, Moscheen oder Kirchen. Dort sollten Anwesenheit, Mitarbeit und Hausübungen als Erfolgskriterien gelten. „Das erzeugt dann auch nicht diese Angst wie standardisierte Sprachtests, die mit Berechtigungen verbunden sind.“