Ethnomusikologin Ursula Hemetek
mdw/Doris Piller
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Wittgensteinpreisträgerin

"Musik ist keine universelle Sprache“

Nein, sagt Ursula Hemetek, „Musik ist keine universelle Sprache“. Die Ethnomusikologin, im Vorjahr mit dem Wittgensteinpreis ausgezeichnet, spezialisiert sich seit 30 Jahren auf die Musik von Minderheiten.

„Es gibt sehr unterschiedliche Musiksprachen und es dauert lange, sie zu lernen“, erklärt sie im APA-Interview. Mit dem Preisgeld richtet sie ein Forschungszentrum an der Musik-Uni Wien ein.

Kick-Off des „Music and Minorities Research Center“

Der Kick-Off des „Music and Minorities Research Center“ (MMRC) findet am kommenden Freitag statt. Ziel ist es „diese Forschung nachhaltig zu sichern“, so Hemetek, unter dem Dach der Universität für Musik und darstellende Kunst (mdw), in enger Zusammenarbeit mit, aber nicht angebunden an das Institut für Volksmusikforschung und Ethnomusikologie, dessen Leiterin sie ebenfalls ist. Denn mit Volksmusik hat ihre Forschung zunächst einmal wenig zu tun. „Im Research Center stellen wir uns die Frage: Was sind die sich ständig verändernden Bedeutungen und Werte von Musik für marginalisierte Gruppen und Einzelpersonen?“

Minderheiten gekennzeichnet durch Mechanismen der Ausgrenzung

Minderheiten, diese Definition hat Hemetek schon als Mitbegründerin der „Initiative Minderheiten“ erstritten, sind gekennzeichnet durch Mechanismen der Ausgrenzung, von denen sie betroffen sind. Das können die burgenländischen Kroatinnen und Kroaten ebenso sein wie die Roma, das können aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder einer Behinderung ausgegrenzte Menschen ebenso sein wie Geflüchtete. „Sie stehen aktuell besonders im Fokus unserer Forschung.“ Zwei Projekte beschäftigen sich mit Geflüchteten aus Syrien und aus Afghanistan – und sind gekennzeichnet durch direkten, persönlichen Kontakt in der Feldforschung.

Musikalische Gewohnheiten afghanischer Jugendlicher

So haben sich Hemetek und ihr Mitarbeiter Marko Kölbl intensiv mit Jugendlichen aus der afghanischen Community in Wien unterhalten und sie zu ihren musikalischen Gewohnheiten befragt. „Da bekomme ich fundierte Einblicke, habe es mit Informationen aus erster Hand zu tun“, betont die Forscherin. Die wenigsten von ihnen haben selbst je Musik gemacht, waren auch meist noch nie in einem Konzert. „Aber Musik hat sie begleitet auf ihren Handys. Sie vermittelt etwas von bei sich sein, von zu Hause sein, sie dient dazu, sich zu verorten.“ Mit traditioneller Musik haben die Präferenzen der geflüchteten Jugendlichen nichts zu tun. „Wir nennen es Afghan Pop“, so Hemetek. Einer der wichtigsten Proponenten dieser Richtung, Dawood Sarkhosh, lebt sogar in Wien.

Zusammenarbeit mit NGOs

„Wir fragen uns: Welche musikalische Artikulation wird wichtig in der Fluchtsituation?“, erläutert Hemetek. „Aber auch: Wie kann man Musik dazu verwenden, Vorurteile abzubauen um Integration zu erleichtern?“ Nicht zuletzt seien für viele Geflüchtete deutschsprachige Lieder wichtig für den Spracherwerb. Diese „angewandte“ Forschung, wie Hemetek es nennt, ist ein klarer Fokus des neuen Research Center. „Da geht es um gesellschaftspolitische Wirksamkeit.“ Diese zu erreichen ist Hemeteks Erfahrung nach am besten in Zusammenarbeit mit NGOs möglich. „Mit dem Kick-Off wollen wir vor allem vermitteln, dass es hier Andockmöglichkeiten für ganz unterschiedliche Vorhaben gibt. Wir warten eigentlich darauf, dass NGOs zu uns kommen und uns sagen was es braucht und was wir mit wissenschaftlichen Mitteln dazu beitragen können.“

Forschung seit 30 Jahren

Hemetek selbst widmet sich diesen Fragestellungen mit klarer engagierter Perspektive seit 30 Jahren, hat vor allem zur Musik der Roma grundlegende Forschung geleistet und auch die internationale Study Group Music and Minorities des International Council for Traditional Music mitbegründet. Einen vergleichenden Blick auf die Musik von Minderheiten zu werfen, macht dabei nicht immer Sinn, wie sie erklärt: „Was Minderheiten verbindet, ist die Diskriminierungserfahrung. Welche musikalischen Auswirkungen sie hat, hängt aber sehr davon ab, wie die politischen Rahmenbedingungen sind. Ich bin immer dafür, mir jedes einzelne Phänomen ganz genau anzuschauen.“

Wenig erfreulichen Tendenzen der Volksmusikpflege

Als Leiterin des Instituts für Volksmusikforschung und Ethnomusikologie hat die Wittgensteinpreisträgerin – der wichtigste österreichische Wissenschaftspreis brachte 1,4 Mio. Euro für ihre Forschungsvorhaben – freilich auch eine Vielzahl von anderen, oftmals nur entfern verwandten wissenschaftlichen Themen zu betreuen. Österreichische Volksmusik beispielsweise und die für sie manchmal wenig erfreulichen Tendenzen der Volksmusikpflege. „Dieser Begriff, der gerade im deutschsprachigen Raum stark verbreitet ist, meint oftmals ein sehr einschränkendes, bewahrendes Verhalten, wo man zum Ziel hat, dass alles so bleibt, wie es irgendwann einmal war.“ Dass sie selbst damit wenig anfangen kann, versteht sich von selbst. „Traditionelle Musik ist fluide und eine Frage der Zeit: Was im 19. Jahrhundert volkstümliche Lieder waren gilt heute oftmals als authentische, wertvolle, alte Volksmusik.“

Erstmals Masterstudium Ethnomusikologie

Verschiedenste Traditionen fügen sich dabei bei dem im heurigen Wintersemester erstmals gestarteten Masterstudium Ethnomusikologie zusammen. „Wir haben das eingerichtet und es funktioniert hervorragend“, freut sich Hemetek. „Die mdw ist die Hochburg der westeuropäischen Klassik, eine elitäre Einrichtung, für die man eine Aufnahmsprüfung bestehen muss. Wir haben auch eine Aufnahmsprüfung: da darf man alles, nur nicht westeuropäische Klassik“, lacht sie. Ein Geflüchteter aus Syrien, der traditionelle kurdische Lieder vorgesungen hat, ist ebenso unter der ersten Tranche von Studierenden, wie eine Tango-Tänzerin, eine Harfenistin mit österreichischer Volksmusik, eine Sängerin serbischer Lieder – und eine Geigerin mit Wiener Musik.