Ankunft eines Migranten im Hafen von Algeciras im Süden Spaniens. (30.9.2019)
JORGE GUERRERO / AFP / picturedesk.com
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EU-Migrationspolitik

ICMPD mit 70-Punkte-Plan für neue Kommission

Wenn die neue EU-Kommission mit 1. November ihr Amt antritt, wird auch das Thema Migration und wie man künftig mit den dadurch entstehenden Herausforderungen umgehen kann, wieder wichtiges Thema sein.

Das in Wien ansässige International Centre for Migration Policy Development (ICMPD) hat dafür einen 70-Punkte-Plan erarbeitet, der in den kommenden Wochen mit der Kommission diskutiert werden soll. ICMPD-Chef Michael Spindelegger plädiert darin für einen Neustart, wie er auch im APA-Interview schildert.

Themen der Vergangenheit sollen „weggewischt werden“

Am besten sollen nach Ansicht des früheren ÖVP-Vizekanzlers und Außenministers alle strittigen, unüberwindbaren Themen der Vergangenheit „weggewischt werden“, auch wenn das nicht einfach werde, wie er einräumt. Doch derzeit befinde sich die EU-Migrationspolitik in einer festgefahrenen Situation, in einem Stillstand, so der Befund des ICMPD. Der Antritt der neuen Kommission unter Präsidentin Ursula von der Leyen eröffne aber „neue Möglichkeiten, Bewegung in die Sache zu bringen“, erklärt Spindelegger im Gespräch mit der APA. Denn neue Personen würden auch eine „neue Dynamik“ mit sich bringen und „unbelasteter“ an die Dinge herangehen.

Gemeinsame Asylzentren grenznah oder innerhalb der EU

Ganz neu sind die Ideen, die das ICMPD der Kommission präsentieren wird, nicht – zumindest jene, die bisher bekannt sind. So heißt es auch in einem der APA vorliegenden Dokument, dass „das Rad nicht neu erfunden werden soll“, vielmehr gehe es darum, eine „Reihe konkreter Vorschläge“ aufzuzeigen; teilweise werden auch frühere Ideen neu aufgegriffen und mit neuen Vorschlägen angereichert. So spricht sich das Wiener Thinktank unter anderem für gemeinsame Asylzentren aus, die möglichst grenznah, „vielleicht auch innerhalb der EU“, errichtet werden sollen und in denen „Verfahren von A bis Z, in einem Durchlauf, in relativ kurzer Zeit“, bearbeitet werden sollen.

Prinzip der Freiwilligkeit bei Verteilung von Flüchtlingen

„Das würde viele Probleme ersparen“, meint Spindelegger. Bei einem positiven Bescheid sollen dann von dort aus auch direkt andere Maßnahmen wie Arbeitsmarktzugang und Integration geregelt werden. In puncto Verteilung von Flüchtlingen spricht sich der Ex-Politiker für das Prinzip der Freiwilligkeit aus. „Das ist das beste, weil es dann zu einem Konsens kommt und wir nicht fürchten müssen, dass das nur eine vorübergehende Entscheidung ist und der Betroffene eigentlich ganz wo anders hingeht.“

Rückführungen „schneller und konsequenter“

Wird ein Asylantrag negativ beschieden, würde die Rückführung auch direkt aus den vorgeschlagenen Zentren stattfinden. Generell müssten Rückführungen laut Konzept des Wiener Zentrums für Migrationspolitik „schneller und konsequenter“ werden. Bisher wird nicht einmal die Hälfte aller betroffenen Personen rückgeführt. Eine Schlüsselrolle kommt hier den Herkunftsländern zu, die ihre Bürger auch zurücknehmen müssen. Rücknahmeabkommen sind dabei aber „nur ein Teil der Partnerschaft, sonst wird es auch nicht funktionieren“, erklärt Spindelegger.

Legale Wege der Zuwanderung

Migrationspartnerschaften – etwa von Ländern entlang der Migrationsrouten – sind laut ICMPD ein Modell der Zukunft. Dabei müsse man den Partnerländern natürlich auch „etwas bieten“, so der Direktor des Zentrums. „Es geht um legale Wege der Zuwanderung, Ausbildungsmöglichkeiten, Investitionen für wirtschaftlichen Aufschwung.“ Vor allem legale Migrationswege seien zur „besseren Migrationssteuerung mittel- und unmittelbar“ unabdingbar – wenngleich das nationalstaatliche Angelegenheit sei. Trotzdem muss es „im Einklang mit der EU-Politik“ stehen – „und das ist das Neue, es soll in ein großes Bild, in die gemeinsame Zielsetzung der EU hineinpassen“, betont er.

„Konsens von oben herab suchen“

Die Einigung auf gemeinsame Ziele ist nach Ansicht Spindeleggers und seines Teams auch essenziell für die Zukunft der EU-Migrationspolitik. Die Frage ist: Was wollen wir erreichen? Wir müssen den Konsens von oben herab suchen." Von diesem Konsens könne man dann tiefer ins Detail gehen. „Wenn man es umgekehrt macht und im Detail beginnt, verliert man leicht das gemeinsame Ziel aus den Augen“, betonte Spindelegger. So ein gemeinsames Ziel könnte etwa sein, irreguläre Migration zu beenden und Abkommen mit Partnerländern zu schließen. „Da werden alle mitgehen.“

Integration der Westbalkanstaaten

Weiters pocht das ICMPD auf die Integration der Westbalkanstaaten in das System Europas bei der Migration. Im Unterschied zu den großen Flüchtlingsbewegungen 2015/2016 werden Asylsuchende auf dem Weg nach Zentraleuropa von diesen Staaten nicht mehr nur „durchgewunken“, heute werden dort eigene Asylverfahren durchgeführt. „Das überfordert viele Staaten. Wenn Europa das sieht, muss es diesen Ländern auch unter die Arme greifen und in das integrieren, was wir machen, sonst wird wieder das passieren, was wir schon aus der Vergangenheit kennen.“

hin zu mehr „globaler Lösungsfindung“

Grundsätzlich müsse die EU endlich weg vom Krisenmodus, hin zu mehr „globaler Lösungsfindung“, heißt es in einer Zusammenfassung des 70-Punkte-Plans. In der Vergangenheit sei das „größere Bild, worum es bei Migration eigentlich geht, verloren gegangen. Dass Migration existiert als Phänomen, dass es auch auf der Tagesordnung bleiben wird, wissen wir alle… das ist eine Tatsache, mit der wir uns auseinandersetzen müssen. Deshalb müssen die gemeinsamen Ziele wiederbelebt und mit ein paar neuen ergänzt werden“, so Spindelegger.

Finalisierung des Konzeptes im Herbst

Das Konzept des ICMPD soll noch im Herbst – vor Amtsantritt der neuen Kommission – mit deren Mitgliedern diskutiert und im Rahmen der Jahreskonferenz des ICMPD im November finalisiert werden. Eine der Forderungen, jene nach der Aufwertung des Ressorts Migration, in dem dafür ein Vize-Kommissionspräsident verantwortlich zeichnet, wurde laut der gestern präsentierten Zuständigkeitsliste nicht erfüllt.