Bedeutsames EuGH-Urteil zum Asylsystem erwartet

Das europäische Asylsystem ist nicht nur politisch umstritten, sondern auch immer wieder ein Fall für den Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg.

Am Dienstag wird die Große Kammer des EuGH ein Urteil verkünden, das bedeutsam für die Asylverfahren in der EU sein dürfte. Denn die Richter entscheiden darüber, welche Bedeutung die Lebensbedingungen für Flüchtlinge in den EU-Mitgliedsstaaten für die Überstellung von Asylwerbern haben.

„Zentrales Verfahren“

„Es handelt sich um ein zentrales Verfahren für das europäische Asylsystem“, zeigt sich deshalb der Asylrechtsexperte Constantin Hruschka vom Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik in München überzeugt. Die rechtspolitische Referentin der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl, Bellinda Bartolucci, erwartet „sehr spannende Urteile“, weil es um grundsätzliche Fragen des gesamten Systems gehe.

Lebensbedingungen der Flüchtlinge

Aufgeworfen haben diese Fragen das deutsche Bundesverwaltungsgericht und der Verwaltungsgerichtshof im deutschen Bundesland Baden-Württemberg, die den EuGH um Auslegung verschiedener Unionsvorschriften zu Asylverfahren baten. Als Kern der Prüfung kristallisierte sich dabei die Frage heraus, welche Bedeutung den Lebensbedingungen der Flüchtlinge in dem eigentlich zuständigen EU-Staat für eine Überstellung etwa aus Deutschland zukommt. Insbesondere geht es dabei um Sozialleistungen.

Bedingungen relevant für Überstellung

Er erwarte zum einen eine Klarstellung durch den EuGH, „dass die Bedingungen nach einer Anerkennung in einem anderen Land relevant sind für die Frage einer Überstellung“, sagt Asylrechtsexperte Hruschka. Der EuGH sage schon jetzt: „Wenn es Anhaltspunkte für eine unmenschliche Behandlung gibt, müssen Gerichte dies umfassend prüfen.“ Eine entscheidende Frage in dem jetzigen Verfahren sei, „ob und wie der faktische Zugang zu rechtlich verpflichtend zu gewährenden Leistungen geprüft werden kann und muss“.

Zugang zu Sozialleistungen

Neu in dem Verfahren sei auch der Umgang mit Geflüchteten, die in einem anderen Land schon einen Schutzstatus hätten, erklärt Hruschka. Auch für Pro Asyl-Expertin Bartolucci ist eine zentrale Frage unter anderem, „ob in einem anderen EU-Staat bereits anerkannte Geflüchtete an dieses Land überstellt werden können, wenn die Lebensbedingungen für sie dort katastrophal sind“. Dabei komme es auch auf den faktischen Zugang zu Sozialleistungen an, „also etwa das Recht auf eine Wohnung und Zugang zur Arbeit“.

Konkrete Folgen

Die Experten gehen davon aus, dass die Urteile des EuGH konkrete Folgen haben werden. „Wir hören von Verwaltungsgerichten in Deutschland, dass sie mit ihren Entscheidungen in solchen Fällen auf das Urteil des EuGH warten“, sagt Bartolucci. Der Gerichtshof werde einen Rahmen für diese Verfahren setzen.

„Genauere Prüfungen der Schutzbedingungen“

Asylrechtsexperte Hruschka spricht von einer „großen Relevanz“ der Entscheidung aus Luxemburg für Asylverfahren in Europa. Es werde zwar vermutlich nicht zu vielen generellen Überstellungsverboten kommen, aber „in einer wahrscheinlich nicht unerheblichen Zahl von Einzelfällen werden genauere Prüfungen der Schutzbedingungen in anderen Staaten erforderlich“. Diese gerieten so stärker in den Fokus. Und Hruschka ist überzeugt: „Diese Transparenz hilft dem gesamten europäischen Asylsystem.“

„Könnte auch Österreich betreffen“

Und welche Länder geraten dabei in den Blickpunkt? Betroffen seien wie bisher vor allem Länder wie Italien, Griechenland, Ungarn oder Bulgarien, sagt Hruschka. Doch die Liste könnte sich seiner Ansicht nach auch erweitern: „Das Urteil könnte auch Österreich betreffen, wenn es dort zu der angekündigten, restriktiven Gesetzgebung kommt“.