EGMR rügt Paris und Athen für Umgang mit Migranten

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat den Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen in Frankreich und Griechenland als „unmenschlich und entwürdigend“ gerügt.

Die Straßburger Richter gaben heute einem jungen Afghanen Recht, der sich mit zwölf Jahren rund sechs Monate lang ohne Betreuung in einem Flüchtlingslager bei Calais durchschlagen musste. Ein zweites Urteil rügte die wochenlange Inhaftierung von neun minderjährigen Migranten durch die griechische Grenzpolizei.

Flüchtlingslager Calais „völlig unangemessene Umgebung“

Der heute 15 Jahre alte Afghane Jamil K. war Ende August 2015 aus seinem Land geflohen. Gemeinsam mit anderen Migranten traf er in Nordfrankreich ein, wo er in dem „Dschungel von Calais“ genannten Flüchtlingslager strandete. Dieses Lager, das im März 2016 aufgelöst wurde, sei ein Slum aus Zelten und notdürftig errichteten Hütten gewesen, erklärte der Straßburger Gerichtshof. Es habe an sanitären Einrichtungen gefehlt, aber auch an Trinkwasser. Für unbegleitete Kinder sei dies eine „völlig unangemessene Umgebung“ gewesen - unter anderem auch, da sie dem Risiko sexueller Übergriffe ausgesetzt gewesen seien.

Anordnung nicht umgesetzt

Zwar hatte ein französisches Gericht im November 2015 auf Antrag einer Hilfsorganisation die Unterbringung des Zwölfjährigen in einem Heim angeordnet. Diese Anordnung wurde jedoch nie umgesetzt. Die französischen Behörden machten geltend, das Kind habe sich nicht bei ihnen gemeldet, es sei unauffindbar gewesen.

Aufgabe der Sozialdienste

Dieses Argument ließ der Straßburger Gerichtshof nicht gelten: Der Bub sei damals zwölf Jahre alt gewesen und habe zudem nur wenig Französisch gesprochen. Der Einwand der Behörden, das Kind hätte selbst die notwendigen Schritte für seine Unterbringung machen müssen, sei „nicht überzeugend“. Es sei die Aufgabe der zuständigen Sozialdienste gewesen, den Buben in ein Heim zu bringen.

Frankreich muss 15.000 Euro Schmerzensgeld zahlen

Ende März 2016 gelangte Jamil K. nach Großbritannien, wo sich ein Jugendamt um ihn kümmerte. Heute lebt er in Birmingham. Die französische Regierung wurde vom Gerichtshof für Menschenrechte angewiesen, dem Jugendlichen 15.000 Euro Schmerzensgeld zu zahlen.

Jugendliche Flüchtlinge von Grenzpolizei eingesperrt

Die Klage gegen Athen wurde von neun Flüchtlingen aus Syrien, dem Irak und Marokko eingereicht. Die damals zwischen 14 und 17 Jahre alten Migranten waren 2016 nach Griechenland gelangt. Dort wurden sie von der Grenzpolizei inhaftiert. Dem Urteil zufolge waren die Jugendlichen zwischen 21 und 33 Tagen auf Stationen der Grenzpolizei eingesperrt, wo sie gemeinsam mit anderen Geflüchteten in überfüllten und verdreckten Zellen auf dem Boden schlafen mussten. Die Kläger betonten, sie seien nicht ausreichend ernährt worden und hätten keine Möglichkeit gehabt, an die frische Luft zu kommen. Auf Anweisung der griechischen Sozialdienste wurden sie schließlich in ein Zentrum für unbegleitete minderjährige Migranten gebracht.

Inhaftierung als unmenschliche Behandlung

Das Straßburger Gericht rügte die wochenlange Inhaftierung der Minderjährigen als unmenschliche Behandlung. Das Anti-Folter-Komitee des Europarats habe festgestellt, dass ein mehrtägiges Festhalten Minderjähriger zu „Schutzzwecken“ ohne psychologische Unterstützung inakzeptabel sei. Außerdem habe Griechenland gegen das Grundrecht auf Freiheit verstoßen. Die Regierung in Athen wurde angewiesen, jedem der Kläger 4.000 Euro Schmerzensgeld zu zahlen.

Urteile nicht rechtskräftig

Beide Urteile wurden von den sieben Richtern einer kleinen Kammer einstimmig gefällt. Sie sind noch nicht rechtskräftig. Frankreich und Griechenland können dagegen binnen drei Monaten Rechtsmittel einlegen. Der Gerichtshof kann die Fälle dann an die 17 Richter der Großen Kammer verweisen - er muss dies aber nicht tun.

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