Kritik an Unterstützung für libysche Küstenwache

Die internationale Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen (MSF) hat anlässlich des Besuchs des libyschen Regierungschefs Fayez Mustafa al-Sarraj bei Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) erneut die von der EU zur Verfügung gestellten Mittel für die libysche Küstenwache kritisiert.

Die EU-Staaten zwingen durch deren Unterstützung „Männer, Frauen und Kinder in einen schrecklichen Kreislauf von Missbrauch und Gewalt“, hieß es gestern in einer Aussendung. Die „furchtbaren Zustände in den libyschen Internierungslagern“ seien von MSF und durch einen aktuellen Bericht der Vereinten Nationen gut dokumentiert. „Dass dies von der österreichischen Regierung ignoriert wird und Bundeskanzler Kurz es als einen Erfolg anpreist, dass 2018 mehr als 15.000 Menschen von der libyschen Küstenwache in solche Lager ‚zurückgestellt‘ wurden, ist ausgesprochen zynisch“, so die Hilfsorganisation.

„Willkürlich inhaftierten Menschen in Libyen“

Erst letzte Woche sind nach Angaben von MSF innerhalb von zwei Tagen 250 Bootsflüchtlinge völkerrechtswidrig nach Libyen zurückgebracht und in überfüllte Lager in Misrata und Khoms gesperrt worden, darunter schwangere Frauen, Babys und Kinder. „Einige von ihnen berichten, dass sie vor ihrem Versuch, das Mittelmeer zu überqueren, bereits wochen- oder monatelang von Menschenhändlern gefangen gehalten und systematisch missbraucht und gefoltert wurden“, berichtete die Ärzteorganisation. Die von Bundeskanzler Kurz gesternn zugesicherte Unterstützung für die libysche Küstenwache ändert nach Einschätzung von MSF an dieser Situation nichts, sondern verschärfe die Lage der „willkürlich inhaftierten Menschen in Libyen“.

„Was wir fordern, ist ein vergleichbarer Einsatz Österreichs bei den libyschen Verantwortlichen, um die willkürliche Haft, die Misshandlung und Ausbeutung von Flüchtlingen und Migranten in Libyen zu beenden“, hieß es. Wenn sich die Situation nicht verbessere, bleibe vielen Betroffenen keine andere Wahl als die tödliche Reise über das Mittelmeer.

Flüchtlinge nicht zurückschicken

Auch nach Ansicht von Bundespräsident Alexander Van der Bellen sollten aufgrund der derzeitigen Umstände in den libyschen Internierungslagern Flüchtlinge „nicht dorthin zurückgeschickt werden“. „Aber das ist meine persönliche Meinung“, betonte der Bundespräsident am Montag. Die Situation in den Internierungslagern sei „alles andere als zufriedenstellend“, so Van der Bellen. Er sei sich darüber mit Sarraj einig, dass die Lage „möglichst rasch verbessert“ werden müsse.

Situation in Internierungslagern „nicht ideal“

Sarraj, der der international anerkannten Regierung Libyens vorsteht, hatte gestern eingeräumt, dass „die Situation in den Internierungslagern nicht ideal ist, vor allem in den Regionen, die nicht unter unserer Kontrolle sind“. Seine Regierung tue aber alles in ihrer Macht stehende, um die Versorgung der Geflüchteten sicherzustellen, sagte er. Auch was die Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen betreffe, sei man „sehr offen“ gewesen. Und ohnehin würden sich nur 20.000 der insgesamt 800.000 Flüchtlinge und Migranten in Libyen in Internierungslagern befinden.

EU-Kritik „unangebracht“ & „inakzeptabel“

Kritik seitens der Europäischen Union am Umgang mit Migranten und den Zuständen in libyschen Internierungslagern wies er jedoch als „unangebracht“ und „inakzeptabel“ zurück, vor allem vonseiten jener Länder, die „selbst nicht einmal einen Migranten aufnehmen wollen“. „Jene Länder, die sich um die Migranten in den Internierungslagern sorgen, rufen wir auf, direkt zu helfen - sie in ihre Länder zu holen oder bei den Rückführungen zu helfen“, sagte der 58-Jährige.

Unterstützung für Regierung und Küstenwache

Bundeskanzler Kurz sicherte der libyschen „Einheitsregierung“ und der libyschen Küstenwache gestern die volle Unterstützung Österreichs zu. Vor allem die Küstenwache spiele eine „sehr, sehr positive Rolle“, erklärte Kurz. Die Zahl der Menschen, die sich von dem nordafrikanischen Land aus auf den Weg nach Europa machen, gehe zurück, ebenso die Zahl der Toten im Mittelmeer, zeigte sich der Kanzler erfreut.

Tödlichste Grenze der Welt

Nach Ansicht des Migrationsexperten Gerald Knaus ist die Region jedoch noch immer die tödlichste Grenze der Welt. Mit 2.300 Toten habe es im vergangenen Jahr noch immer „sehr viel mehr Tote als vor fünf Jahren“ gegeben, betonte der Erfinder des Flüchtlingsabkommens zwischen der EU und der Türkei.

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