„Sorge um kulturelle Identität ersetzt klassischen Rassismus“

Nicht klassischer Rassismus treibt die Europäer um und lässt sie Populisten wählen, sondern schlicht und ergreifend die Sorge um die eigene kulturelle Identität.

Der deutsche Literaturkritiker Ijoma Mangold sieht hinter dem Abdriften nach rechts nicht Xenophobie, sondern den Kampf zwischen dem Eigenen und dem Fremden, nicht zwischen dem „Blut“, sondern der Kultur. Das postulierte der 47-jährige Sohn einer schlesisch-stämmigen Psychotherapeutin und eines Arztes aus Nigeria am Dienstagabend bei einer Veranstaltung des Integrationsfonds im Wiener Blickle Kino.

Probleme mit Migration anders thematisieren

Der Redakteur „Der Zeit“ sieht sich selbst als autochthonen Deutschen, der ohne Vater in bescheidenen Verhältnissen in der baden-württembergischen Provinz sozialisiert wurde. Aufgrund seines Hintergrunds könne der Autor von „Das deutsche Krokodil. Meine Geschichte“ Probleme mit Migration anders thematisieren, als viele Deutsche. Diese wollten aufgrund ihrer Geschichte dieses heiße Eisen lieber nicht angreifen. Dem Liebhaber von Richard Wagner und Thomas Mann nach hätten die Deutschen in den 1980ern zusehends begonnen, sich von ihrer nationalen Identität zu lösen. Sie wollen in Europa aufgehen, da sie ihr „Deutschsein“ als Problem sehen.

Prophylaktisch oft und viel gesprochen

Mangold selbst hatte als Kind mehr Probleme mit seiner dunklen Hautfarbe und seinem schwarz-gelockten Haar als sein deutsches Umfeld. Nur wenn ihn die Leute in gebrochenem Deutsch ansprachen, weil ebendiese glaubten, der Schüler einer Eliteschule beherrsche sie nicht ausreichend, fühlte er sich zurückgesetzt. Weshalb er prophylaktisch begann, oft und viel zu sprechen, damit ein jeder sehen könne, wie redegewandt er sei.

Der Unangepasste reüssiere

Der Literaturwissenschafter und Philosoph meint, dass sich sein Land derzeit in einer Transformationsphase befindet, in der Adaption nicht mehr so wichtig sei und nicht der Angepasste, sondern der Unangepasste reüssiere. Mittlerweile sei es gar von Vorteil einen „Migrationshintergrund oder eine andere Hautfarbe zu haben“, so Mangold. Denn ein jeder will divers sein, nicht mit dem Strom schwimmen, sich als Individuum und nicht als Angehöriger eines Kollektivs sehen. Der Nonkonformist schlägt den Konformisten, erläuterte der Journalist.

Soziales Milieu entscheidend für gesellschaftlichen Erfolg

In Bezug auf gesellschaftlichen Erfolg ist für ihn nicht die Herkunft, sondern das soziale Milieu entscheidend. Laut Mangold werden Ethnie und Hautfarbe im heutigen Deutschland zusehends egal, entscheidend sei das Umfeld, das Bildungsniveau, auch das der Eltern. Für Menschen mit Migrationshintergrund ist sozialer Aufstieg möglich, nicht immer ist es Diskriminierung, die dem Autor zufolge das eigene Fortkommen behindert. Voraussetzung für Erfolg sind Leistungsbereitschaft und Leistungsfähigkeit, Intellekt und Innovationskraft.

Menschen müssen sich individuell kennenlernen

Damit Integration gelingen kann, müssen sich die Menschen individuell kennenlernen und damit aufhören, die jeweils anderen als Angehörige eines Kollektivs zu sehen. In Bezug auf Österreich glaubt Mangold, dass es hierzulande aufgrund der multiethnischen und multireligiösen Vergangenheit zu Zeiten der Donaumonarchie eventuell leichter sei, Menschen aus anderen Kulturkreisen aufzunehmen, als im lange Zeit relativ homogenen Deutschland.