„Der Umgang mit den Anderen ist ein Seismograph“

Markus Schleinzer feiert heute auf dem Internationalen Filmfestival von San Sebastian die Europapremiere seines zweiten Spielfilms „Angelo“.

Ein tiefsinniger, vielschichtiger Historienfilm über „Identität, Fremde, Isolation, Integration, Einsamkeit, über die Selbstherrlichkeit unserer Gesellschaft, die Selbstherrlichkeit unserer Rasse“, wie Markus Schleinzer erklärt.

Der Wiener Regisseur und Theaterschauspieler erzählt die Geschichte von Angelo Soliman (1721-1796), der als kleiner Bub in Afrika von Sklavenhändlern eingefangen und nach Europa gebracht wurde, wo er schließlich in Wien als „Hofmohr“ lebte und ausgestopft im kaiserlichen Naturkundemuseum in einem Ausstellungskasten endete.

Figur des Angelo

Die Figur des Angelo, heute wie der Liebe Augustin eine mythologische, teils romantisierte Legende der Wiener Stadtgeschichte, habe ihn schon immer fasziniert. „Denn der Umgang mit den sogenannten Anderen und Außenseitern ist eine Art Seismograph für unsere Gesellschaft und obwohl die Geschichte im 18. Jahrhundert spielt, scheint sie extrem aktuell zu sein,“ erklärte Markus Schleinzer kurz vor der Europapremiere in San Sebastian im Gespräch mit der APA.

Politische & gesellschaftliche Brisanz
Von welch politischer und gesellschaftlicher Brisanz der Film heuer im Zuge der Flüchtlingsdebatten sein würde, hätte er vor fünf Jahren, als er das Drehbuch zu „Angelo“ schrieb, selber nicht ahnen können. Unweigerlich erinnern die ersten Filmszenen der ankommenden Sklavenschiffe an die Flüchtlingsboote, die heute täglich aus Afrika an den Küsten Spaniens landen.

Verpflichtung gegenüber Menschen

Sein Film soll aber nicht anschwärzen oder belehren. „Koch- und Heimwerkersendungen können Lösungen für Probleme vorgeben. Filme aber nicht. Deshalb will ich mit ‚Angelo‘ Fragen aufwerfen, unsere Gesellschaft zu einem realistischen Blick auf sich und ihre historische Verantwortung bewegen“, so Schleinzer. Der Film soll unter anderem ein Beitrag dazu sein, über unsere moralische Verpflichtung gegenüber den Menschen nachzudenken, die heute vor allem vor der Armut aus ihren afrikanischen Ländern zu uns flüchten. Länder, die wir über Jahrhunderte und bis heute ausgebeutet haben und die Europa reich machten.

Findung der eigenen Identität

Dieser realistischere Blick auf die eigene Geschichte würde ganz nebenbei Österreich auch bei der Findung der eigenen Identität helfen. Die Vergangenheit habe gezeigt, dass Mauern, die man ursprünglich baute, um die Fremden außen fernzuhalten, letztendlich immer dafür benutzt wurden, die eigenen Leute einzusperren, gibt Schleinzer zu Bedenken.

Veränderungen & Völkerwanderungen wird es immer geben

Eine Politik, wie sie von Ländern wie Österreich, Italien oder Ungarn angetrieben werde, mache ihm nahezu Angst. Vor allem wenn er Politiker wie Italiens Innenminister Matteo Salvini höre, der Flüchtlinge als „Menschenfleisch“ bezeichne. „Fleisch ist nicht zwingend Mensch. Eine sehr gefährliche und dumme Politik, die uns in Europa nichts Gutes bringen wird. Veränderungen und Völkerwanderungen hat und wird es immer in der Geschichte geben. Man kann sich gar nicht dagegenstellen“, versichert Schleinzer, der es fast Leid ist, im Zuge seiner Filmvorstellung von „Angelo“ auch immer wieder auf Fragen über die österreichische Politik antworten zu müssen, die so viele Zweifel und Verstörungen bei vielen Menschen im Ausland aufwerfe.

„Wie das Nebeneinander“ gestalten

Die Österreicher, und die Europäer im Allgemeinen, müssten sich also fragen, „nicht wie das Nebeneinander zu verhindern ist, sondern wie es gestaltet werden soll“. Viele EU-Staaten, auch Österreich, hätten keine sinnvolle Integrationspolitik. Die reine Assimilierung der Flüchtlinge reiche nicht aus. Auch das zeige sein Film. Ein Nebeneinander mit Fremden, die man sofort wieder an den Rand der Gesellschaft dränge, sei kein gutes politisches und gesellschaftliches Konzept. Es schüre nur Differenzen. Dabei will er die Menschen und ihre Ängste vor den „Fremden“ gar nicht verurteilen. Häufig handelt es sich - wie der Film am Verhalten der Figuren im 18. Jahrhundert zeige - um negative Reaktionen und Meinungen, die aus Naivität und Unkenntnis entstehen.

„Hier noch viel zu tun“

„Der Umgang mit der historischen Figur des Angelo Soliman, dem heute in Wien eine drei Meter lange, nach Pisse stinkende Unterführung mit einem Namensschild gewidmet wird, zeigt, dass hier noch viel zu tun ist“, meint der Wiener Regisseur, der in San Sebastian mit „Angelo“ im offiziellen Festivalwettbewerb um die „Goldene Muschel“ kämpft.

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