Keine Bewegung bei Migration

Ohne nennenswerte Annäherung bei den dominierenden Themen Migration und Brexit ist der erste Tag des EU-Gipfels in der Nacht auf heute in Salzburg zu Ende gegangen.

Die britische Premierministerin Theresa May kündigte ergänzende Vorschläge für die Irland-Grenzfrage an, wie aus EU-Kreisen zu hören war. Ein Fortschritt in den zähen Brexit-Verhandlungen zeichnete sich jedoch nicht ab.

Zusammenarbeit der EU mit Drittstaaten ausbauen

Auch beim Thema Migration zeichnete sich keine Annäherung der verhärteten Fronten ab. Beim Gipfel habe es zwar Einigkeit gegeben, dass die Zusammenarbeit der EU mit Drittstaaten wie Ägypten im Bereich Migration ausgebaut werden soll. Doch bezüglich der internen Dimension der Migration in der EU würden die Meinungsverschiedenheiten der EU-Staaten weiter bestehen, sagte ein EU-Diplomat in der Nacht. Das Thema soll deswegen heute weiter behandelt werden.

Teilnehmer des "Walk of Responsibility - Liste mit fast allen Namen der im Mittelmeer ertrunkenen Flüchtlinge wird in die nähe der EU-Staats-und Regierungschefs getragen", 19.9.2018, Salzburg

APA/Franz Neumayr

Parallel zum Gipfel-Auftakt fanden Proteste gegen die Migrationspolitik der EU statt: Rund 400 Demonstranten versammelten sich zum „Marsch der Verantwortung“ in der Mozartstadt

Missbrauch von Migrationsthema für „politische Spiele“

Der EU-Ratspräsident Donald Tusk kritisierte bereits vor Beginn des Treffens jene Staaten, die das Migrationsthema für „politische Spiele“ missbrauchen. Die Neuankünfte von Flüchtlingen seien von zwei Millionen im Jahr 2015 „auf weniger als 100.000 heuer“ gesunken. „Das ist weniger als in den Jahren vor der Krise. Trotz der aggressiven Rhetorik bewegen sich die Dinge in die richtige Richtung“, sagte er.

„Migrationsproblematik ist kein Wahlkampfthema“

Angesprochen von der Kritik fühlte sich offensichtlich der italienische Premier Giuseppe Conte. Er konterte bei seinem Eintreffen in Salzburg in Richtung Tusk: „Die Migrationsproblematik ist kein Wahlkampfthema. Es stehen keine Wahltermine unmittelbar an. Die Wahrheit ist, dass Migration ein wichtiges Thema ist, für das die Politik Verantwortung übernehmen und Antworten geben muss“, sagte Conte laut der italienischen Nachrichtenagentur ANSA.

EU-Staaten sollen sich solidarisch zeigen

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker rief die EU-Staaten in Salzburg einmal mehr dazu auf, sich in Migrationsfragen solidarisch zu zeigen. „Man braucht Solidarität, das ist kein leeres Wort. Die einen nehmen Flüchtlinge auf. Die die das nicht können, die das nicht wollen, obwohl sie das müssen, die müssen sich in Sachen Solidarität bewegen.“

Frontex-Mandat noch im Dezember

Bundeskanzler Kurz betonte vor Beginn des Gipfels, dass er sich auf Gemeinsamkeiten fokussieren wolle. Diese seien vor allem in punkto Außengrenzschutz gegeben, auch wenn es bei der Frage um den Ausbau der EU-Grenzschutzagentur Frontex „Bedenken“ gebe, die man „noch ausräumen“ müsse. Er hoffe, dass das Frontex-Mandat noch unter österreichischem Ratsvorsitz im Dezember beschlossen werden könne.

Orbán will Grenze selbst schützen

Vor allem die südeuropäischen Länder wollen das nationales Kommando über ihren Grenzschutz nicht abgeben. Ablehnung kam gestern aber auch von Ungarns Regierungschef Viktor Orbán. Es sei zwar gut, dass sich die EU in der Flüchtlingsfrage nun auf den Grenzschutz konzentriere, sagte er beim Treffen der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP) vor dem informellen EU-Gipfel in Salzburg. Ungarn sei aber in der Lage, seine Grenze selbst zu schützen. „Wir bestehen auf unser Recht, dass das unser Job ist“.

Kein Vorschlag zu EU-Asylcamps in Afrika

Juncker stellte sich unterdessen hinter EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos, der wegen seiner Weigerung, einen Vorschlag zu EU-Asylcamps in Afrika zu machen, vom amtierenden EU-Ratsvorsitzenden, Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) scharf kritisiert worden war. „Er ist mein Kommissar“, sagte Juncker.

Weiterführung von Militäroperation „Sophia“

Auch EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini zeigte sich zurückhaltend zu Asylcamps in Afrika. „Mein Eindruck ist, dass es derzeit kein nordafrikanisches Land gibt, das bereit ist, ein solches Zentrum zu beherbergen. Und das ist begründet“, so Mogherini. Die EU sei aber weiterhin im Gespräch mit Ägypten, Tunesien, Marokko und anderen Ländern. Zur Militäroperation „Sophia“ sagte Mogherini, dass es Übereinstimmung gebe, die Mission im Mittelmeer zur Schlepperbekämpfung weiterzuführen. Keine Einigung gebe es jedoch zur Frage, wohin die im Rahmen der Mission geretteten Flüchtlinge gebracht werden sollen.

Tusk schlug einen Gipfel der EU mit der Arabischen Liga im Februar in Ägypten vor. Er werde diese Idee bereits am Sonntag mit Ägyptens Staatschef Abdel Fattah al-Sisi in New York besprechen, sagte ein EU-Diplomat.

Konflikt zwischen Asselborn & Salvini

Juncker stärkte auch seinem luxemburgischen Landsmann Jean Asselborn im Konflikt mit dem italienischen Innenminister Matteo Salvini den Rücken. „Das, was da gesagt wurde, hätte man auch öffentlich sagen können“, sagte Juncker gestern Abend in einer ZiB-Spezial aus Salzburg zu dem Eklat am vergangenen Freitag bei einem EU-Afrika-Treffen in Wien. Luxemburgs Premierminister Xavier Bettel hatte sich zum Auftakt des EU-Gipfels in Salzburg „enttäuscht“ von der österreichischen Ratspräsidentschaft wegen des Eklats mit Salvini gezeigt. Er hätte sich erwartet, dass die österreichische Präsidentschaft sagt, „dass das nicht geht“, sagte er mit Blick auf Kickl, der das Treffen am Freitag ausgerichtet hatte. Salvini hatte ein heimlich gefilmtes Video veröffentlicht, auf dem Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn nach einer Provokation durch den italienischen Minister in Rage geraten war.

„Marsch der Verantwortung“

Parallel zum Gipfel-Auftakt fanden gestern Proteste gegen die Grenz- und Abschottungspolitik der EU in Salzburg statt. Rund 400 Demonstranten versammelten sich zum „Marsch der Verantwortung“ in der Mozartstadt. Es sei zynisch, dass die Regierungschefs ihren Gipfel mit „Sicherheit“ betiteln, dem Sterben im Mittelmeer aber zusehen würden, sagte Alina Kugler vom Bündnis „Solidarisches Salzburg“. Bei dem Protestmarsch wurde mit Namensschildern auf jene 30.000 Flüchtlinge aufmerksam gemacht, die in den vergangenen 25 Jahren auf der Flucht nach Europa gestorben sind.