Politische Apathie macht anfällig für autoritäre Strömungen

Gesellschaften, die sich nicht kritisch mit ihren ehemaligen Diktatoren oder totalitären Regimes auseinandersetzen, sind anfälliger für autoritäre Strömungen.

Austrofaschismus, NS-Diktatur und kommunistische Regierungen in Zentraleuropa haben damit Auswirkungen auf heutige politische Entwicklungen, meint der Zeithistoriker Oliver Rathkolb, der kommende Woche eine Tagung zu dem Thema organisiert.

Konferenz „1918-1938-2018 - Beginn eines autoritären Jahrhunderts?“, Mittwoch, 5. bis Freitag, 7. September 2018, Schloss Eckartsau (NÖ), 2305 Eckartsau

Spuren und Bewertungen der Diktaturen

„Menschen, die einen kritischen Blick in eine diktatorische, totalitäre Vergangenheit haben, haben generell weniger Sympathie für autoritäre Entwicklungen in der Gegenwart“, stellte Rathkolb Bezug nehmend auf diverse Umfragen im Gespräch mit der APA fest. In seinem Vortrag am ersten Tag der Konferenz „1918-1938-2018 - Beginn eines autoritären Jahrhunderts?“ am 5. September in Schloss Eckartsau (NÖ) begibt sich Rathkolb auf die Suche nach Spuren und Bewertungen der Diktaturen und totalitären Regimes im politischen und gesellschaftlichen Diskurs in Zentraleuropa des 20. Jahrhunderts und deren Auswirkungen auf die Gegenwart. Die Tagung wird von der Universität Wien und der deutschen Bundeszentrale für politische Bildung organisiert.

Geschichtliches und politisches Grundwissen

Kritische Auseinandersetzung setzt allerdings ein geschichtliches und politisches Grundwissen voraus. Und genau daran krankt es, führt der Vorstand des Wiener Instituts für Zeitgeschichte aus: „20 Prozent der tschechischen Bevölkerung fehlen sogar schon Grundkenntnisse der historischen Entwicklungen im 20. Jahrhundert“, habe eine erst im Juni 2018 veröffentlichte Studie ergeben. Ähnliches habe man auch bereits 2007 in Österreich festgestellt: Damals hatten 40 Prozent der zur Bewertung des austrofaschistischen Kanzlers Engelbert Dollfuß Befragten keine Antwort gegeben, weil sie den Politiker schlichtweg nicht mehr historisch einordnen konnten.

Nichtwissen „genauso gefährlich“ wie unkritische historische Betrachtung

„Die Grundkenntnis zentraler demokratiehistorischer Entwicklungen in der Vergangenheit nimmt massiv ab“, schloss Rathkolb. Nichtwissen sei jedoch „genauso gefährlich“ wie eine unkritische historische Betrachtung und schlussendlich eine Form politischer Apathie. Diese führe dazu, dass Gesellschaften „viel leichter in Richtung autoritärer Botschaften mobilisiert werden können“. „Die Menschen haben weder eine historisch positive noch eine negative Erfahrung und nehmen die Entwicklung resignierend hin, wie sie ist“, erklärte Rathkolb. In Ungarn habe man bereits vor über zehn Jahren ein „hohes Maß politischer Apathie“ nachgewiesen. „Sie waren so bereit, jedem nationalen Lockruf zu folgen, der ihnen eine bessere Zukunft verspricht.“

Potenzial in Richtung „starker Mann“

Das Potenzial in Richtung „starker Mann“ ist auch in Österreich „durchaus gegeben“ und korreliere mit Abstiegs- und Zukunftsängsten sowie politischer Apathie. Studien, die Fragen zum autoritären Potenzial stellten, ergaben von 2007 auf 2017 „auch bei der Grundeinstellung gegenüber Demokratie eine Verschlechterung von rund zehn Prozent“, sagte Rathkolb. An die 20 Prozent wiesen sogar starke autoritäre Tendenzen auf.

„Investition in eine politische Bildung“

Als „Gegenmittel“ betonte Rathkolb die „Relevanz einer sozial halbwegs ausgeglichenen ökonomischen und sozialen Entwicklung getragen von Solidarität“. Und: „Die Investition in eine politische Bildung, die zumindest die demokratische Entwicklung im 20. Jahrhundert und vor allem die großen Diktaturen und Totalitarismen ansatzweise thematisiert.“

Internationales Symposium

In Eckartsau, „selbst ein geschichtsträchtiger Ort“, wo sich im November 1918 Kaiser Karl I. zurückgezogen hatte, wollen die Experten drei Tage lang diskutieren, „wie wir im Bereich der politischen Bildung auf zeithistorische und aktuelle Entwicklungen reagieren können“, sagte Rathkolb über die Ziele des internationalen Symposiums. Ausgangspunkt dabei ist die Überzeugung, dass „die Investition in eine politische Bildung, die zumindest die demokratische Entwicklung im 20. Jahrhundert und vor allem die großen Diktaturen und Totalitarismen ansatzweise thematisiert, immer gesichert sein muss“. Am 5. September (17.00 Uhr) wird im Rahmen der Tagung Altbundespräsidenten Heinz Fischer und die Menschenrechtsaktivistin Irina Scherbakowa von Memorial Moskau am Mittwoch zum Thema „The Historical Burden of 1918 for Europe Today: Are We at the Dawn of an Authoritarian 21st Century?“ diskutieren.

Link:

  • http://eckartsau2018.univie.ac.at