Migration als Phänomen, nicht als Problem

„Wir müssen erkennen, dass Migration kein Problem ist, sondern menschliche Realität und ein menschliches Phänomen“, sagt der Chef der Internationalen Organisation für Migration (IOM), William Swing, im Interview mit der APA.

Die Frage sei, ob es den politischen Willen dazu gebe. Um das Narrativ zu ändern und auf die Chancen von und durch Migration zu lenken, sieht Swing vor allem Regierungen, Medien und Organisationen in der Verantwortung.

„Teilung zwischen West und Ost“

Die Flüchtlingsbewegungen von 2015 und 2016 seien keine Krise an sich gewesen, hätten aber eine „politische Krise“ ausgelöst. Es habe an einer Perspektive, an einem langfristigen, umfassenden Plan für Migration gefehlt, dem alle zustimmen, betont Swing. Die EU-Kommission unternehme zwar große Anstrengungen, habe aber „nicht alle an Bord, es gibt diese Teilung zwischen West und Ost“. „Man kann eine Lokomotive nicht auf Schiene bringen, wenn die Räder von den Waggons fallen“, veranschaulicht der US-Amerikaner die bis heute fehlende gemeinsame Linie der EU. Hätten alle 28 EU-Staaten zugestimmt, Migranten aufzunehmen oder zumindest deren Status zu prüfen, hätte es keine Krise gegeben, meint Swing.

Flucht und Migration „wird weitergehen“

Ob die EU nun besser vorbereitet ist? „Ja, ich denke schon“, sagt Swing mit Verweis auf die „relativ gute, wenn auch fragile“ Zusammenarbeit mit der Afrikanischen Union (AU) und die „gute Arbeit“ der türkischen und libyschen Küstenwache. Auch wenn die Fluchtzahlen in den vergangenen Jahren „dramatisch“ gesunken sind, angesichts der vielen bewaffneten Konflikte rechnet der US-Amerikaner nicht mit einer unmittelbaren Entspannung beim Thema Flucht und Migration. „Das wird weitergehen, ich sehe keine vielversprechenden Verhandlungen, auch nicht in Syrien.“

Teilnahme an Resettlement-Programmen

Jetzt brauche es vor allem mehr Länder, die an Resettlement-Programmen, also an der Umsiedelung, teilnehmen. Hauptweg für Schutzsuchende nach Europa ist nach Swings Worten weiterhin die zentrale Mittelmeerroute, bisher gebe es keine alternativen Route. „Allerdings verzeichnen wir einen leichtem Anstieg der Ankünfte in Spanien.“ Hier, entlang der westlichen Mittelmeerroute, steigt vor allem auch die Zahl der Toten - von 2016 auf 2017 hat sich ihre Zahl fast verdoppelt. 2018 sind es mit 105 Toten bereit jetzt fast genauso viele wie im gesamten Jahr 2015, wie eine aktuelle IOM-Statistik zeigt.

Globale Anstrengung zum Management von Migration

Als positives Resultat nach der 2015 und 2016 dominanten Flüchtlingsthematik sieht Swing die Ausarbeitung des Globalen Paktes für Migration der Vereinten Nationen, der im Dezember verabschiedet werden soll, denn erstmals gebe es eine gemeinsame, globale Anstrengung in Richtung Management von Migration. Gefragt, ob der Aufstieg der rechtspopulistischen Parteien in Europa eine der negativen Auswirkungen sei, antwortet der Diplomat: „Das ist tatsächlich sehr negativ. Und wenn wir die demografischen Gegebenheiten, die neun bewaffneten Konflikte weltweit, den Klimawandel und den globalen Arbeitsmarkt betrachtet, wird man sehen, dass Migration immer da sein wird. Wir müssen erkennen, dass Migration kein Problem ist, sondern menschliche Realität“, appelliert Swing.

Gemeinsame Ziele identifizieren

Regierungen seien hier besonders gefragt. Man müsse den Menschen die „Angst vor dem Unbekannten, vom Anderen“ nehmen, erklären, warum die Leute flüchten. „Erst dann werden globale Vorgänge auch logisch“, so der IOM-Chef. Besonders auf lokaler Ebene - Swing sieht hier speziell Bürgermeister in der Verantwortung - müssten Gemeinsamkeiten, vor allem gemeinsame Ziele der Zuwanderer und der lokalen Bevölkerung identifiziert werden. Dann könne man gemeinsam daran arbeiten. „Wir müssen lernen, Diversität anzunehmen und zu managen.“

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