„Nie gekanntes Ausmaß der Gewalt“

Bei gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Flüchtlingen in der nordfranzösischen Hafenstadt Calais sind 22 Menschen verletzt worden.

Vier Flüchtlinge mit Schusswunden schwebten laut Behörden von heute noch in Lebensgefahr. „Das ist ein Ausmaß der Gewalt, wie wir es noch nie gesehen haben“, sagte Innenminister Gerard Collomb bei einem Besuch an Ort und Stelle.

Vier lebensgefährlich Verletzte

Bei den vier lebensgefährlich Verletzten handelt es sich nach Polizeiangaben um Flüchtlinge aus dem ostafrikanischen Eritrea im Alter von 16 bis 18 Jahren. Der Zustand eines fünften Schwerverletzten stabilisierte sich bis heute. Nach Angaben der Regionalzeitung „La Voix du Nord“ sagte Collomb heute Vormittag, dass es bisher noch keine Festnahme gegeben habe.

Zusammenstöße an drei Orten

Gestern war es den Behörden zufolge in Calais an drei verschiedenen Orten zu Zusammenstößen gekommen. Rund 100 Flüchtlinge aus Eritrea und rund 30 Afghanen gingen bei der Essensausgabe aufeinander los, nachdem ein Afghane Schüsse abgefeuert hatte. Nach dem Mann wurde noch gefahndet. Augenzeugen zufolge wehrten sich die Afrikaner mit Knüppeln und Steinen.

Entsendung von zusätzlichen Polizei-Einheiten

Innenminister Collomb reiste unmittelbar nach Bekanntwerden der Vorfälle nach Calais und kündigte die Entsendung von zwei zusätzlichen Polizei-Einheiten an. Er betonte, die Schlepperbanden gaukelten den Menschen vor, sie könnten über den Ärmelkanal nach Großbritannien gelangen. „Diese Netzwerke müssen zerschlagen werden“, betonte Collomb. In Calais halten sich nach Schätzung von Hilfsorganisationen derzeit rund 800 Migranten auf, die örtlichen Behörden sprechen von bis zu 600 Flüchtlingen.

Schlepper für Gewalt verantwortlich

Die Hilfsorganisation „L’Auberge des migrants“ (Die Herberge der Migranten) machte ebenfalls Schlepper für die Gewalt verantwortlich. „Sie kämpfen um ‚Kunden‘ und um Zugang zu den Parkplätzen“, sagte der Helfer Loan Torondel. Aber oft komme es auch zum Streit zwischen den Menschen, weil die Lebensbedingungen „schrecklich“ seien. Es gebe keine Unterkünfte, und das mitten im Winter.

Verbitterung bei den Migranten

Auch der Präsident der Hilfsorganisation „Salam“, Jean-Claude Lenoir, sprach bei Franceinfo von Verbitterung bei den Migranten, die er auf „tägliche Belästigung“ durch die Sicherheitskräfte zurückführte. Die Organisationen werfen der Polizei immer wieder vor, zu hart gegen Migranten vorzugehen und etwa Zelte wegzunehmen. „Diese Spannung hat eine Auswirkung: Das lässt den Schleppern freie Bahn.“

Migranten sollen sich in Aufnahmezentren begeben

Collomb entgegnete in Richtung der Kritiker, dass die Bilanz der Auseinandersetzungen noch schlimmer hätte ausfallen können, wenn die Polizei nicht eingegriffen hätte. Die Migranten forderte der Minister erneut auf, sich in Aufnahmezentren in Frankreich zu begeben: In Calais gebe es keine Lösung für sie.

„Sackgasse“ für die Flüchtlinge

Bis November 2016 gab es in Calais ein Flüchtlingslager mit bis zu 10.000 Menschen. Die Regierung ließ das als „Dschungel“ bekannte Lager aber wegen Gewalt und unhaltbarer sanitärer Zustände räumen. Bei einem Besuch in Calais Mitte Jänner betonte Präsident Emmanuel Macron, seine Regierung werde keinen neuen „Dschungel“ dulden. Er nannte die Stadt am Ärmelkanal eine „Sackgasse“ für die Flüchtlinge.

Weitere 50 Millionen Euro für Grenzschutz

Am 18. Jänner sagte die britische Premierministerin Theresa May bei einem Treffen mit Macron weitere 50 Millionen Euro für die Flüchtlingsabwehr auf der französischen Seite des Ärmelkanals zu. Dort sind nach einem Abkommen mit Großbritannien in den vergangenen 15 Jahren zahlreiche Anlagen zum Grenzschutz entstanden, die es Flüchtlingen unmöglich machen sollen, auf Fähren oder in den Eurotunnel unter dem Ärmelkanal zu gelangen.