Teresa Feodorowna Ries: Eva, 1909. Marmorskulptur, Wien Museum
Wien Museum
Wien Museum
bis 29.10.2023

„Schuld“

Das Jüdische Museum Wien (JMW) zeigt im Museum Judenplatz die Ausstellung „Schuld“, die anhand historischer Objekte und ausgewählter Kunstwerke verschiedene Dimensionen dieser komplexen Gefühlsregung untersucht, so etwa existentielle, metaphysische, moralische oder politische Schuld.

Hat die von der Schlange verführte Eva das Unglück in die Welt gebracht? Warum leiden Holocaust-Überlebende genauso an Gewissensqualen wie Nachfahren von NS-Täterinnen und -Tätern? Welchen Anteil an der Zerstörung des Planeten hat man als Handybesitzer? Das Jüdische Museum Wien setzt sich mit der Schau „Schuld“ mit vielfältigen Fragestellungen rund um diesen Themenkomplex auseinander.

„Schuld“

Jüdisches Museum Wien, Standort Judenplatz, Judenplatz 8, 1010 Wien; Ausstellungsdauer: bis 29.10.2023

Historische Dimension des Ortes Judenplatz

Die Ausstellung soll zugleich den Beginn einer inhaltlichen Neukonzeption des Standorts Judenplatz markieren. Denn künftig soll bei der Programmierung der kleinen Dependance die historische Dimension des Ortes berücksichtigt werden – einerseits mit Blick auf die 1421 zerstörte mittelalterliche Synagoge, über der sich die Museumsräumlichkeiten befinden, andererseits in Bezug auf das von Rachel Whiteread gestaltete Mahnmal für die österreichischen jüdischen Opfer der Shoah am Judenplatz. „Kleine Ausstellungen zu großen Themen“, umriss Direktorin Barbara Staudinger gestern im Zuge einer Presseführung das Motto für den JMW-Ableger.

Zurück zum Beginn der Menschheitsgeschichte

Den Auftakt macht also „Schuld“. Diese sei in den abrahamitischen Religionen – also Christentum, Judentum und Islam – eines der größten Themen, erklärte Chefkurator Hannes Sulzenbacher. Sein Team hat versucht, auf sehr begrenztem Raum das Thema aus religiöser, politischer, moralischer und rechtlicher Sicht unter die Lupe zu nehmen. Dabei geht es gewissermaßen zurück bis zum Beginn der Menschheitsgeschichte. Die 1909 geschaffene Marmorskulptur von Teresa Feodorowna Ries zeigt eine am Boden liegende, sich krümmende Eva als kritischen Kommentar auf das zumindest im Christentum verfestigte Bild der vermeintlich verführbaren, gegenüber Adam/dem Mann schwachen Frau, die die Vertreibung der Menschheit aus dem Paradies verantwortet. Wobei Judentum und Islam die Sache etwas differenzierter interpretieren, wie man hier erfährt.

Schlechtes Gewissen anderer als Geldquelle

Über die beiden Söhne von Adam und Eva reflektiert gleich daneben der Fotograf Adi Nes. Er inszeniert die Geschichte rund um den Mord Abels durch Kain, der von Gott nicht mit dem Tod, sondern mit der schweren Last der Schuld bestraft wird, vor dem Hintergrund der aktuellen politischen und sozialen Realität Israels. Dass das schlechte Gewissen anderer auch eine einträgliche Geldquelle sein kann, dokumentiert eine Holzkiste des Dominikanermönchs Johann Tetzel, der als eifriger Ablasshändler so erfolgreich war, dass sich Martin Luther 1517 zur Abfassung seiner kirchenkritischen Thesen veranlasst sah.

Niklas Frank – Der deutsche Schriftsteller erzählt von seinem Vater Hans Frank, der während des „Dritten Reichs“ Generalgouverneur des besetzten Polens war und 1946 in Nürnberg hingerichtet wurde.
Daniel Pilar

Familiäre Last der Täterschaft

Im zweiten der beiden Räume dominiert die Zeitgeschichte. „Der Nationalsozialismus hat das Denken über Schuld radikal verändert. Das betrifft nicht nur die Täter, sondern auch die Opfer“, unterstrich Sulzenbacher. Hier hängt auch das teuerste Objekt der Ausstellung: das 1965 entstandene, einem verschwommenen Foto gleichende Gemälde „Onkel Rudi“ von Gerhard Richter. Seit 1968 durch eine Schenkung des Künstlers im Besitz der tschechischen Gedenkstätte Lidice – das Dorf wurde 1942 von den Nazis ausgelöscht –, ist es erstmals in Österreich zu sehen. Der titelgebende „Onkel Rudi“, tatsächlich ein Verwandter Richters, lächelt einem hier als junger Mann in Wehrmachtsuniform entgegen. Die familiäre Last der Täterschaft spricht auch aus Niklas Frank, den der Fotograf Daniel Pilar 2017 porträtiert hat. Es zeigt Frank im Seerosenteich seines Hauses – das Wasser steht ihm bis zum Hals –, während im Hintergrund eine Vogelscheuche mit SS-Ledermantel zu sehen ist. Franks Vater, Hans Frank, wurde als „Schlächter von Polen“ bekannt und war als Leiter des Generalgouvernements für die Beraubung und Vernichtung der jüdischen Bevölkerung verantwortlich.

Shoah-Opfer von Schuldfragen gepeinigt

Dass auch die Opfer der Shoah von Schuldfragen gepeinigt wurden und werden, thematisiert ein beklemmendes Schwarz-Weiß-Foto des Auschwitz-Überlebenden Piotr Ravitz. Fotografiert von Adolfo Kaminsky, der als Dokumentenfälscher der Résistance in die Geschichte einging, nahm er sich einige Monate nach der Aufnahme das Leben.

Zündschnur und Kobalt

Wie kompliziert die Schuldfrage per se ist, will die Schau an einer Mustertafel für Zündschnüre aus der Fabrik Dynamit Nobel Wien aus 1911 illustrieren. Der kontrollierbare Sprengstoff veränderte das Kriegs- und damit Weltgeschehen erheblich. Aber an wen muss sich der Vorwurf richten – an den Erfinder Alfred Nobel, die Produzenten oder die Anwender? Ein Fläschchen Kobalt steht schließlich für die Frage nach der individuellen Schuld vor dem Hintergrund globaler Entwicklungen. Der Abbau dieses Rohstoffs führt zu sozialen Verwerfungen und bewaffneten Konflikten, ist aber durch seine Verwendung in Smartphones und Elektroautos unverzichtbar geworden.

Debatte über Shoah-Zentrum in Wien

Nach „Schuld“ sollen sich die kommenden Ausstellungen am Judenplatz mit den Themen Friede, Raub/Enteignung und Vergessen auseinandersetzen, wie sich Staudinger entlocken ließ. Einigermaßen zurückhaltend gab sich die Chefin indes in Bezug auf die Diskussion über ein mögliches Shoah-Zentrum in Wien, das sich der Präsident der Israelitischen Kultursgemeinde (IKG), Oskar Deutsch, kürzlich anstatt des Lueger-Denkmals am Lueger-Platz wünschte. Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) brachte hingegen den Morzinplatz – Ort des einstigen Gestapo-Hauptquartiers – ins Spiel. Staudinger bekräftigte gegenüber der APA, dass sie selbst schon darauf hingewiesen habe, dass eine derartige Einrichtung fehle. „Der Holocaust wird in Wien nicht erzählt.“ Sie habe diesen „Mangel festgestellt“, beteilige sich als Museumsdirektorin aber nicht an Standortdebatten.