Schriftstellerin Zdenka Becker
Helmut LACKINGER
Helmut LACKINGER
Literatur

„Es ist schon fast halb zwölf“

Das neueste und insgesamt elfte Buch der österreichischen Schriftstellerin mit tschechischen und slowakischen Wurzeln, Zdenka Becker widmet sich der Aufarbeitung der Zeit des Nationalsozialismus.

Beckers Roman mit dem Titel „Es ist schon fast halb zwölf“ erzählt aus der Perspektive einer jungen Frau, die in den Wirren des Zweiten Weltkriegs von ihrem Mann getrennt wird, von einer Familie, die zwischen der niederösterreichischen Heimat und Berlin hin- und hergerissen wird. Während die frischgebackene Mutter Hilde eher traditionell dörflich, dem nationalsozialistischen Regime misstrauisch gegenüber eingestellt ist, arbeitet ihr Mann Karl, ein Verfechter des NS-Regimes, in einer bedeutenden Rüstungsfabrik in Berlin. Als authentische Grundlage für den Roman dienten alte Familienbriefe, die die Hoffnungen und Nöte der damaligen Zeit dokumentieren. Das Ganze erzählt am Vorabend des Umzugs in ein Pensionistenheim.

„Es ist schon fast halb zwölf“ – Roman von Zdenka Becker, Amalthea Verlag
Amalthea Verlag

Amalthea Verlag, Wien, 2022, 256 Seiten, 25 Euro, ISBN-13: 978-3-99050-220-4

„Es ist kurz vor Mitternacht. Hilde sitzt immer noch im Hof und strengt ihre Augen an. Sie spürt die Nachtkälte, fröstelt ein wenig. In den Händen hält sie Karls ersten Brief, der sie in eine ganz andere Wirklichkeit entführt. Ihr ist, als ob gerade ein Theatervorhang aufginge und sie auf einer Bühne stünde. Sie erkennt die Kulissen, riecht den alten Staub, bis in den letzten Nerv spürt sie den Sog der teuflischen Idee, ein Großdeutsches Reich zu erschaffen. Sie macht Hitler, der dabei Regie führte, für die größte Tragödie ihres Lebens verantwortlich. Es ist aber nicht nur die Vergangenheit, die sie gerade vereinnahmt, sondern es sind vor allem Geschehnisse in jenen schicksalhaften Jahren, von denen Karl nichts weiß und die seit mehr als einem halben Jahrhundert nicht aus dem Kopf kommt.“ (Textauszug aus dem Roman)

Schreckliches Geheimnis

Ein schreckliches Geheimnis bedrückt seit Jahrzehnten die mittlerweile betagte Hilde, die ihren Lebensabend zusammen mit einem nichts ahnenden, mittlerweile dementen Mann verbringt. Dies sorgt für die Spannung vom Anfang bis Ende des Buches. Während sich die schrecklichen Umstände des damaligen Lebens – vor allem gegen Ende des Krieges – immer mehr offenbaren, wird das Verbrechen, in das die junge Hilde verwickelt war, erst ganz zum Schluss preisgegeben.

Gefühl von Entfremdung

Nur einmal schöpft die Autorin Zdenka Becker aus den eigenen Erinnerungen an ihre intensiven persönlichen Erlebnisse mit der Migration, die unter anderem mit dem Gefühl einer gewissen Entfremdung verbunden ist. „Für mich waren jene Episoden von größter Wichtigkeit, in denen die Hilde das Heimweh in Berlin erlebt, wie sie dort leidet, wie sie auch nach der Rückkehr nach Hause leidet. Mich hat das an meine Situation nach der Ankunft nach Österreich erinnert", erzählt die Autorin. Parallelen gebe es für sie auch zur Gegenwart, dem Krieg in der Ukraine. „Ich kümmere mich um zwei Ukrainerinnen, eine Mutter mit ihrer Tochter. Die eine lebt bei uns im Dorf in Niederösterreich, die andere in Wien. Sie ist meine Freundin, eine Schriftstellerin, die ich seit 20 Jahren kenne. Das, was sie derzeit erleben, ist dem Schicksal von Hilde ziemlich ähnlich.“

Kommende Lesungstermine von Zdenka Becker:

  • 13. Mai 2022: Pfarrheim Unterradlberg, 3105 St. Pölten
  • 20. Mai 2022: KZ-Gedenkstätte Neckarelz, 74821 Mosbach
  • 10. Juni 2022: Bücherei Sitzenberg-Reidling, 3454 Sitzenberg-Reidling
  • 24. Juni 2022: Kunstraum Ewigkeitsgasse, 1170 Wien
  • 8. Juli 2022: Kulturwerkstatt Kirchberg, 3204 Kirchberg an der Pielach