Der Einmarsch, bis dahin die größte Militäroperation in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg, begann vor genau 55 Jahren.
In der Nacht vom 20. auf den 21. August 1968 weckte der Lärm von Flugzeugmotoren und Panzerketten die Menschen in Prag.
Zwischen der Invasion in die Tschechoslowakei und dem Angriff auf die Ukraine liegen mehr als 50 Jahre – und dennoch finden sich Parallelen. „Es ist fast unglaublich, welche Ähnlichkeiten es gibt“, sagt der Historiker Prokop Tomek vom Militärhistorischen Institut (VHÚ) in Prag.
Sowohl 1968 als auch 2022 habe vorher ein Manöver an den Grenzen des attackierten Landes stattgefunden, erläutert Tomek. In beiden Fällen sei der Angriff in der Nacht gekommen. „Die ursprüngliche Intention Moskaus war im Jahr 1968 völlig die gleiche wie 2022, nämlich eine freundschaftlich gesinnte Regierung zu installieren, welche die eigenen Interessen vertritt“, sagt der Historiker.
Die Sowjetunion habe damals ihr äußeres Imperium in Europa festigen wollen, um die Tschechoslowakei (ČSSR) als Pufferstaat gegen die NATO zu sichern. Heute beanspruche Moskau die Ukraine als Pufferstaat für sich und fordere, dass sie kein NATO-Mitglied werden dürfe. Doch während sich Kiew seit eineinhalb Jahren gegen die Invasion wehrt, blieb die 200.000 Mann starke tschechoslowakische Volksarmee damals in den Kasernen.
„Der Angriff kam von allen Seiten, aus Ungarn, aus der Sowjetunion, aus Polen, aus Richtung der DDR – das war eine schlicht unlösbare Situation“, sagt Tomek. Zudem habe die Militärdoktrin der ČSSR den Fall der Verteidigung gegen die eigenen Ostblock-Verbündeten gar nicht vorgesehen. Die höheren Offiziere seien in Moskau geschult worden, der reformorientierte kommunistische Parteichef Alexander Dubček sei sogar in der Sowjetunion aufgewachsen.

Innerhalb kurzer Zeit besetzten 500.000 Soldaten der Sowjetunion, Polens, Ungarns und Bulgariens das sozialistische Bruderland, um die Reformen des Prager Frühlings zu beenden. Die NVA der DDR beteiligte sich nicht mit Kampftruppen. Dennoch war die Truppenzahl mehr als doppelt so groß wie zu Beginn der russischen Invasion in die Ukraine. Die Armeen seien heute allgemein nicht mehr so groß wie im Kalten Krieg, meint Tomek. Dies gehe zurück auf die Abrüstungsbemühungen in den 1990er Jahren wie den Vertrag über Konventionelle Streitkräfte in Europa. Russland kündigte den sogenannten KSE-Vertrag im Mai 2023 auf.
Trotz der Übermacht der Invasoren kam es in der Tschechoslowakei zu spontanen Protesten. Unweit des Prager Wenzelsplatzes verteidigte eine Menschenmenge das Gebäude des Rundfunks gegen die Besatzer – mit Steinen und Molotowcocktails. Viele Demonstranten starben. Das Maschinengewehr eines bei den Barrikadenkämpfen ausgebrannten sowjetischen Panzers ist heute im Prager Armeemuseum zu sehen.
Ende August 1968 musste die Tschechoslowakei ein Abkommen unterzeichnen, dass die Reformen rückgängig machte. Die letzten sowjetischen Besatzungssoldaten verließen die Tschechoslowakei erst im Juni 1991.
Wenige Schritte weiter ist eine blutbefleckte tschechoslowakische Fahne ausgestellt. Es ist das Blut des damals erst 22 Jahre alten Tschechen Antonin Jarušek. Sowjetsoldaten schossen ihm bereits in den ersten Stunden der Invasion vor dem Gebäude des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei eine Kugel in den Kopf. Er erlag den Folgen seiner schweren Verletzungen neun Jahre später. Nach neueren Forschungen kamen 137 Zivilisten bis zum Ende des Jahres 1968 im Zusammenhang mit der Invasion ums Leben.
Auf die Reformen des Prager Frühlings wie Pressefreiheit und eine gewisse wirtschaftliche Liberalisierung folgte bis 1989 ein Winter der gesellschaftlichen Stagnation. Diese bittere Erfahrung sehen viele als Grund für die ungeheure Solidarität, die Tschechien der Ukraine heute entgegenbringt. Prag ist ein wichtiger Lieferant von Rüstungsgütern – von T72-Panzern über Artilleriemunition und Mehrfachraketenwerfern bis hin zu Kampfhubschraubern.

Am 21. August sind in Tschechien und der Slowakei wie jedes Jahr zahlreiche Gedenkveranstaltungen geplant. Vor einem Jahr mahnte der tschechische Ministerpräsident Petr Fiala, der Wille, der Ukraine zu helfen, dürfe nicht nachlassen: „Russische Panzer fahren heute wieder durch ein fremdes Land, diesmal die Ukraine, und versuchen, die Träume von einer besseren Zukunft zu zerschießen.“