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Literatur

Repression statt Ostöffnung | Der Roman „Es geschah im November“

Kontrafaktische Geschichtsschreibung nennt man die Spekulationen darüber, wie sich unter anderen Umständen der Lauf der Geschichte verändert hätte. In ihrem Roman „Es geschah im November“ fragt sich Alena Mornštajnová: Wie wäre es gekommen, wären 1989 die Freiheitsbewegungen in Osteuropa niedergeschlagen worden?

Seit der Übersetzung ihres dritten Romans „Hana“ 2020 ist die 1963 geborenen tschechischen Schriftstellerin und Übersetzerin auch hierzulande ein Begriff. Beschrieb sie damals in ihrem auf wahren Begebenheiten beruhenden Roman die Folgen einer Typhus-Epidemie in einer mährischen Kleinstadt des Jahres 1954, folgte 2021 „Stille Jahre“, die Übersetzung einer tragischen Familiengeschichte, in der zwischen Vater, Tochter, Mutter und Stiefmutter ein düsteres, fast mysteriöses Schicksalsgewebe geknüpft wird.

Tschechische Schriftstellerin Alena Mornštajnová
Zdeněk Němec | MAFRA

Bei Mornštajnová sind die große Politik und das kleine private Glück eng miteinander verwoben. So deutlich wie in dem im Vorjahr im Original erschienenen und nun erneut von Raija Hauck übersetzten neuen Roman wurde dies aber noch nie. Gleichzeitig hat die Autorin, deren Figuren schon bisher kaum etwas zu lachen hatten, in „Es geschah im November“ den Horizont noch einmal radikal verdüstert.

Wieder befinden wir uns in einer mährischen Kleinstadt. Das Ehepaar Maja und Joska lebt ein unauffälliges Leben, in dem die beiden Kinder und Majas Eltern die Hauptrolle spielen. Als Demonstrationen im gesamten Ostblock die Hoffnung auf Demokratisierung und Verbesserung der Lebensumstände keimen lassen, gehen auch die Eheleute auf die Straße. Doch in der Nacht auf den 27. November 1989 werden überall die Truppen losgeschickt und tausende Regimegegner auf einen Schlag verhaftet. Auch Maja und Joska stehen auf den Verhaftungslisten. Über das Schicksal des Mannes wird nie etwas bekannt, vermutlich zählt er zu den Vielen noch in der ersten Nacht Erschossenen. Maja wird von einem Standgericht, das ausgerechnet von jenem Provokateur geleitet wird, der sie bei ihren Äußerungen in der Öffentlichkeit noch angestachelt hatte, zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt. Die Haftumstände sind in jeder Hinsicht drakonisch.

Mornštajnová konzentriert sich in der Folge auf zwei Erzählstränge, bei denen zwei Personen aus unterschiedlichen Zeitebenen einander allmählich näherkommen – eine effektvolle Technik, die man aus den beiden vorangegangenen Romanen bereits kennt. Während sich Maja im Gefängnis das Aufwachsen ihrer Tochter Magda unter der Obhut der Großeltern ausmalt, kennen die Leser bereits die bittere Wahrheit: Die Kleine kommt schon bald zwangsweise in ein staatliches Kinderheim und wird dort zur lupenreinen Parteisoldatin erzogen, die glaubt, ihre Mutter hätte sie verstoßen. Entsprechend bitter verläuft viele Jahre später die einzige Begegnung der Beiden.

Alena Mornštajnová: „Es geschah im November“, Aus dem Tschechischen übersetzt von Raija Hauck, Wieser Verlag, 348 Seiten, 21 Euro

Nein, Hoffnungsschimmer gibt es in diesem Buch kaum welche – weder für Maja und Magda, sich aus den um sie gesponnenen dichten Netz an Lügen zu befreien, noch für die Bewohner der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik, die von allem ferngehalten werden, was eigenes Denken, freie Information oder besseres Leben befördern könnte. Internet, Mobiltelefonie und Reisemöglichkeiten bleiben hohen Parteikadern vorbehalten, der Rest der Bevölkerung wird gegängelt, überwacht, indoktriniert und klein gehalten.

Man gibt es ehrlich zu, vor dem Februar dieses Jahres hätte man sich als westlicher Leser wohl gedacht: Ein bisschen sehr dick aufgetragen, das alles… So aber liest man auch Mornštajnovás Vorbemerkung heute mit ganz anderen Gefühlen: „Was wäre passiert, wenn die Ereignisse im November 1989 anders ausgegangen wären, als sie es sind? Keiner weiß, wie anders unser Leben ausgesehen hätte. Dieses Buch erzählt nur eine von einer Million möglicher Versionen. Trotzdem ist alles hier Beschriebene irgendwo irgendwann geschehen und geschieht noch immer auf der Welt.“

Dystopický román „Listopád“ | V alternativní historii Československa po roce 1989 | Rádio Dráťák | 1.8.2022