Belletristik

Alena Mornštajnovás Roman „Stille Jahre“

Mit der Übersetzung ihres dritten Romans „Hana“ gelang der 1963 geborenen, tschechischen Schriftstellerin und Übersetzerin Alena Mornštajnová im Vorjahr im deutschsprachigen Raum ein großer Erfolg.

In der in einer mährischen Kleinstadt spielende Familiengeschichte, in der eine Typhusepidemie der 50er-Jahre und der Holocaust bestimmende Rollen übernahmen, bewies sie großes Einfühlungsvermögen und erzählerische Souveränität. Nun ist ihr nächster Roman übersetzt: „Stille Jahre“.

Alena Mornštajnová | „Stille Jahre“
Aus dem Tschechischen übersetzt von Raija Hauck
Wieser Verlag, 280 Seiten
21 Euro

Alena Mornštajnovás Roman „Stille Jahre“
Wieser Verlag

Der 2019 erschienene Roman wurde in Tschechien zum preisgekrönten Bestseller. Er ist ein Buch, das man sich als Leser und Leserin erarbeiten muss, in dem sich Zusammenhänge erst allmählich erschließen, der lange Atem aber in jedem Fall belohnt wird. Abgesehen von einem Prolog wird die Geschichte abwechselnd aus der Vater- und der Tochter-Perspektive erzählt (erstere Kapitel in der dritten Person, zweitere in der Ich-Perspektive). Der Vater, das ist Svatopluk Žák, ein 1935 in Žižkov geborener überzeugter Kommunist, der in einem volkseigenen Betrieb ebenso Karriere macht wie in der Parteiorganisation. Die Tochter, das ist die 1980 geborene Bohdana Žáková, mutterlos an der Seite ihres Vaters aufgewachsen und ohne medizinisch plausiblen Grund verstummt.

Ganz langsam entwickeln sich die beiden tragischen Lebensgeschichten und gewinnen auch Bohdanas verstorbene Mutter, die Pianistin Eva, und die geliebte Stiefmutter Bela, Bohdanas ehemalige Kindergärtnerin, Konturen. Und es lichten sich die Nebel, wer jene „Blanka“ war, die als totgeschwiegenes Phantom schwer über der Familiengeschichte zu liegen scheint. In einem erzählerischen Kunstgriff lässt Mornštajnová ab einem gewissen Punkt der Geschichte die Leser schlauer sein als Bohdana. „Stille Jahre“, zuvor ein düsteres, fast mysteriöses Schicksalsgewebe, gewinnt plötzlich an Fahrt, wird episodenhaft zum Krimi, bekommt tragödienhafte Züge und stellt den vorbildlichen Parteisoldaten Svatopluk vor Entscheidungen, die sich nicht nur mit seine Prinzipien kaum vereinbaren lassen, sondern die Geschicke der ganzen Familie grundlegend verändern.

Für die Familie Žák sind es am Ende nicht nur stille, sondern auch bleierne Jahre, in denen nicht nur politische, sondern auch familiäre Träume auf einem Trümmerhaufen landen. Erst ganz am Ende, der Vater hat sich nach einem schweren Schlaganfall langsam wieder erholt, gibt es einen Hoffnungsschimmer. Das Schlusskapitel heißt „Vater und Tochter“, sollte aber besser „Vater und Töchter“ heißen. Das Phantom nimmt Gestalt an. „Stille Jahre“ endet mit der Hoffnung auf ein kleines, stilles Glück – und mit der Vorfreude auf „Novemberfall“, das nächste Buch von Mornštajnová. In Tschechien ist es im vergangenen Jahr erschienen. Man kann wohl davon ausgehen, dass es 2023 auf Deutsch vorliegen wird.