Einschränkung, Einsamkeit und Isolation
Generaldirektorin Stella Rollig: „Das Belvedere würdigt einen der bedeutendsten Künstler der tschechischen Avantgarde mit einem umfassenden Einblick in sein Werk. Sekals Auseinandersetzung mit Einschränkung, Einsamkeit und Isolation wirkt gerade heute – in einer krisenbedingten Umbruchstimmung – aktueller denn je.“
Ausstellung „Zbyněk Sekal“
Belvedere 21
Arsenalstraße 1, 1030 Wien
28. August 2020 – 14. Feber 2021
Biografie eines Flüchtenden und Suchenden
Zbyněk Sekals künstlerisches Schaffen spiegelt die Biografie eines Flüchtenden und Suchenden wider, der aus seinen Erfahrungen eine künstlerische Philosophie und eine äußerst produktive Strategie entstehen lässt. Beeinflusst von fernöstlicher Philosophie und surrealistischer Tradition erschafft Sekal ein Werk, das von persönlichen Erlebnissen erzählt und religions- und kulturübergreifend dem Menschen huldigt. Sein Schaffen umfasst frühe Malereien, Materialbilder sowie Skulpturen aus Bronze, Stein, Gips und Holz.
Sekal zahlt mit eigener Freiheit
Bereits in seiner Studienzeit in den 1940er- und 1950er-Jahren beweist sich Sekal als kritischer Denker. Sowohl sein Werk als auch sein aktivistisches Engagement widmet er dem Wunsch nach Freiheit – und zahlt dabei auch mit der eigenen. Zwischen 1941 und 1945 verbringt er insgesamt dreieinhalb Jahre im Gefängnis Prag-Pankrác sowie in den Konzentrationslagern Theresienstadt und Mauthausen. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs kostet ihn seine politische Überzeugung den Abschluss an der Akademie für Kunst, Architektur und Design in Prag.
Surrealismus und marxistische Philosophie
Die Kunstbewegung des Surrealismus und die marxistische Philosophie sind in diesen Jahren wesentliche Ausgangspunkte für sein Schaffen. Die menschliche Gestalt ist maßgebend für sein Werk, wobei sich die Figur mit der Zeit fast völlig in abstrakt-materiellen Strukturen auflöst. Sowohl Sekals „Kopf“-Bilder als auch seine frühen konstruktiven Skulpturen lassen Gesicht oder Torso des Menschen in ihrer Komposition erahnen und sind auf den Einfluss der abklingenden Moderne in der tschechischen Kunst zurückzuführen.
Begeistert vom literarischen Werk Franz Kafkas, vom Existenzialismus Jean-Paul Sartres und von der Phänomenologie Martin Heideggers entwirft er skulpturale Türme voller formaler und inhaltlicher Gegensätze. Aus der Beobachtung des eigenen Lebens entsteht ein künstlerisches Programm, in dem sich seine inneren Konflikte spiegeln.
1960er | ZERO-Kunst
In den 1960er-Jahren wendet sich Zbyněk Sekal immer mehr der Architektonik des Skulpturalen zu. Seine Materialbilder fügen sich in die Zeitströmung der ZERO-Kunst ein. Einer Kunst, die vorgefundenes Material umordnet und in einen neuen formalen und inhaltlichen Zusammenhang bringt. Das Analytische setzt Sekal als kreatives Prinzip ein. Der Künstler folgt nicht nur instinktiv der Zerlegung natürlicher Formen, sondern verarbeitet sehr bewusst zentrale Momente des menschlichen Daseins.
Emigration nach Wien im 1970
1970 kommt Zbyněk Sekal nach seiner Emigration aus Prag 1969, die ihn zuerst nach Berlin geführt hat, in Wien an. Dort beginnt der Künstler erfolgreich an die Errungenschaften der Prager Jahre anzuknüpfen. In Wien entwickelt er seine Material- und Strukturbilder weiter zu räumlich verschachtelten Gitterkuben. Seine Erfahrung der Ausweglosigkeit im Konzentrationslager Mauthausen übersetzt er in flache Labyrinthe aus Kupferdrähten.
Thema der Einschränkung zum künstlerischen Prinzip
In den 1980er-Jahren folgen räumliche Strukturen – die Schreine (tschech.: schránky). Diese Würfel aus dünnen Holzlatten bilden ein Gerüst rund um kleinere Objekte oder Objektensembles. Sie zeugen vom kritischen Interesse des Künstlers an Ordnungssystemen des Menschen und von der Suche nach persönlicher Freiheit innerhalb dieser Systeme. Damit erhebt Sekal das Thema der Einschränkung zum künstlerischen Prinzip. Die Auseinandersetzung mit dem Phänomen der Freiheit gerät zu einer Frage der menschlichen Existenz im Allgemeinen.
Sekal als kritischer Denker, analytischer Beobachter und „Poet des Materials“
Im Belvedere 21 werden über siebzig Arbeiten gezeigt, die die intellektuelle Ausrichtung des Künstlers als kritischer Denker, analytischer Beobachter und „Poet des Materials“ vermitteln.
Die Objekte sind Zeugnisse permanenter Transformation, der Veränderung unserer Welt, ihrer Materialien und Formen. Sekals Werk repräsentiert das Individuum in einer oft labyrinthisch erscheinenden Welt, in der sich die Menschen zu entfremden drohen. „Zbyněk Sekals Arbeiten verweisen auf die Fragilität des Individuums, seine anthropomorphen Gebilde stehen sinnbildlich für die menschliche Identität und für das Freiheitsbewusstsein in der Zeit des Kalten Kriegs“, so Kurator Harald Krejči.