Alena Mornštajnová | „Hana“
Wieser Verlag | 344 Seiten | 21 Euro
Aus dem Tschechischen übersetzt von Raija Hauck
Mit dem Tschechischen Buchpreis ausgezeichnet
„Hana“, der dritte Roman der 1963 geborenen tschechischen Schriftstellerin und Übersetzerin, machte bei seinem Erscheinen 2017 in Tschechien Furore. Er wurde mit dem Tschechischen Buchpreis ausgezeichnet, auf der Website „Datenbank der Bücher“ zum Buch des Jahres gekürt und seither in mehr als ein Dutzend Sprachen übersetzt. Die Lektüre der nun im Wieser Verlag erschienenen deutschen Übersetzung der Slawistin Raija Hauck bestätigt: Mornštajnová ist mit ihrer Geschichte, die auf wahren Begebenheiten beruht, etwas Außergewöhnliches gelungen.

Literarische Lesung mit Alena Mornštajnová
Sa 3. Oktober ab 17:00 Uhr
Slovanská beseda,
Drachengasse 3/7, 1010 Wien
Auf Tschechisch
Veranstaltet von Vereinen Akademischer Verein und Tschechisches Herz
Rätselhafte Epidemie, die an die Corona-Pandemie erinnert
Es beginnt mit einer rätselhaften Epidemie, die in einer mährischen Kleinstadt des Jahres 1954 um sich greift und die in vielen Facetten an die Corona-Pandemie unserer Tage erinnert. Innerhalb weniger Tage werden zahlreiche Bewohner schwer krank ins Spital eingeliefert und drastische Quarantänemaßnahmen ergriffen. Als Ausgangspunkt wird ein Typhus-verseuchter Brunnen ausgemacht, aus dem jener Zuckerbäcker sein Wasser bezieht, bei dem Hana das Backwerk gekauft hat. Innerhalb weniger Tage ist die neunjährige Mira, die keinen Krümel vom süßen Gebäck bekam, Vollwaise. Das Buch ist gerade erst 40 Seiten alt, und schon scheint die Tragödie am Höhepunkt. Doch es ist nur der furiose Beginn eines raffiniert gebauten Buches.

Seltsame, spindeldürre, schweigsame Tante Hana
Um Mira kümmert sich zunächst eine befreundete Familie, was allerdings nicht lange gut geht. Da steht Miras seltsame, spindeldürre, schweigsame Tante Hana vor der Türe. Vom Typhus genesen, holt sie ihre Nichte und nunmehr einzige lebende Verwandte zu sich. Zu Hause scheint sie noch unglücklicher als zuvor. Warum sie so seufze, fragt das Mädchen und erhält eine unerwartete Antwort: „Weil ich jetzt nicht mehr sterben kann.“
Frage von Normalität und Verfolgung
In der Folge geht das Buch zurück in die 1930er und 40er-Jahre, und es wird allmählich klar, warum der Roman „Hana“ und nicht „Mira“ heißt. Es entwickelt sich eine Familiengeschichte, die von zwei mit der Weltpolitik jener Zeit eng verwobenen Faktoren bestimmt wird: Die Deutschen drängen nach Tschechien, und die Familie muss entdecken, dass ein Umstand, der ihnen bisher nie viel bedeutet hatte, plötzlich zu einer Frage von Normalität und Verfolgung, später von Leben und Tod wird: Sie sind Juden. Was sie erleben, steht stellvertretend für Millionen andere in Europa.
„Hana“ ist ein bedrückendes, ein trauriges Buch. Und doch schließt es mit einer kleinen Prise Optimismus. Mira wächst auf, kümmert sich um ihre Tante und bekommt selbst ein Kind. Hana, die noch immer keine Berührung ertragen kann, bekommt wieder so etwas wie Ahnung davon, was Leben und Liebe bedeuten kann. „Noch immer besuchen mich die Erinnerungen. Stets sind es viele bedrückende, aber es kommen auch solche dazu, derentwegen ich noch leben möchte.“
Überleben in der Zeit massenhaften Sterbens
Die Familie verpasst den Zeitpunkt, zu dem Auswandern noch möglich gewesen wäre. Als sich alle Juden zum Transport melden müssen, wird Rosa, die jüngere Tochter, bei einer anderen Familie versteckt. Sie überlebt und bringt 1945 eine Tochter zur Welt, Mira. Hana, die ältere Tochter, kommt nach Theresienstadt und später nach Auschwitz. Mit mehrfachen Zeit- und Perspektivwechseln erzählt Mornštajnová vom Überleben in der Zeit massenhaften Sterbens. Und immer mehr versteht man, warum von Hana nur noch die gespensterhafte Hülle übrig geblieben ist. „Eine Seele, die aus dem Menschen einen Menschen macht, gab es in mir nicht. Sie war mit meiner Familie nach Osten gefahren, in den Theresienstädter Straßen verlorengegangen, im Viehwaggon Richtung Osten hängengeblieben, im Lagermorast steckengeblieben und in den Auschwitzer Öfen verbrannt.“