Kateřina Čapková – Mezi Prahou a Mikulovem. Židé v českých zemích/ Katerina Capkova Zwischen Prag und Nikolsburg. Jüdisches Leben in den böhmischen Ländern
orf | pavla rašnerová
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Jüdische Geschichte

Kateřina Čapková | „Zwischen Prag und Nikolsburg. Jüdisches Leben in den böhmischen Ländern“

„Die Nachkriegszeit bedeutet nicht nur, dass die Mehrheit der Juden während des Holocaust getötet wurde, sondern auch Immigration. Es kommen neue jüdische Migranten/innen vor allem aus Karpatenrussland und aus der Ostslowakei“, erzählt die Prager Historikerin Kateřina Čapková, die sich des Kapitels über die Geschichte der Juden nach dem Zweiten Weltkrieg im Rahmen der unlängst herausgegebenen Publikation annahm.

Radio Dráťák Magazin

23.3.2020 | 21:10 | Radio Burgenland Livestream

Ihre mehrjährige Forschung in den jüdischen Gemeinden in Grenzgebieten des ehemaligen Sudentenlands und auch des polnischen Niedersachsens beeinflusste so radikal die heutige Sicht auf die Zeit, als Europa, beziehungsweise die ganze Welt, nach einem der größten Verbrechen, das von Menschen an Menschen verübt wurde, wieder auf die Beine gestellt wurde.

„Zwischen Prag und Nikolsburg. Jüdisches Leben in den böhmischen Ländern“
Kateřina Čapková | Hillel J. Kieval (Hg.)
Göttingen | Vandenhoeck & Ruprecht | Jänner 2020

Čapková nahm sowohl an der Autorschaft der neuen Publikation „Zwischen Prag und Nikolsburg. Jüdisches Leben in den böhmischen Ländern“ teil, als auch ist sie ihre Herausgeberin zusammen mit dem amerikanischen Historiker Hillel J. Kieval.

Das Werk erkundet auf seinen mehr als 400 Seiten in sieben Kapiteln die jüdische Geschichte, von der Frühen Neuzeit bis in Gegenwart. Zu seinem Verfassen trafen sich insgesamt neun Wissenschaftler/innen aus fünf Ländern. Sehr reich ergänzt ist das Werk auch um Illustrationen und verschiedene Landkarten. Was den Titel betrifft, wollten die Autor/innen betonen, dass es auch andere wichtige Orte des jüdischen Lebens in unterschiedlichen Zeiten gab als nur Prag. Es war zum Beispiel auch Mikulov/Nikolsburg, das mehr als einige Jahrhunderte ein wichtiges religiöses Zentrum bildete.

Kateřina Čapková – Mezi Prahou a Mikulovem. Židé v českých zemích/ Katerina Capkova Zwischen Prag und Nikolsburg. Jüdisches Leben in den böhmischen Ländern
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Im Mittelpunkt stehen sowohl Kontakte der jüdischen Bevölkerung mit ihren nichtjüdischen Nachbarn als auch der Blick in die Provinz und über die regionalen Grenzen hinaus. Das Buch zeigt, dass die jüdische Erfahrung in den böhmischen Ländern ein integraler und untrennbarer Bestandteil der Entwicklungen Mitteleuropas war.
Wiener Wiesenthal Institut

Das Wiener Wiesenthal Institut für Holocaust-Studien vermittelte Ende Jänner die Publikationspräsentation gleich neben seinem Sitz, und zwar in der gemütlichen Atmosphäre der Buchhandlung Singer am Rabensteig, in Zusammenarbeit mit dem Münchner Forschungsinstitut für die Geschichte Tschechiens und der Slowakei, Collegium Carolinum.

Publikation, die auf die Geschichte der Juden durch andere als klassische Richtungen hineinschaut

Es gab gleich mehrere Gründe zum Verfassen der neueren Geschichte des jüdischen Volkes in den böhmischen Ländern. Čapkovás Worten nach kam die erdrückende Mehrheit der historischen Übersichten über Juden noch aus der Zeit des Kalten Krieges. Auch wenn man sogar solche finden würde, die Anfang der 1990er Jahre publiziert wurden, ging es immer um Geschichte, die noch in den 1980er Jahren geschrieben wurde. Es ist deshalb verständlich, dass es schon an der Zeit war, eine Publikation herauszubringen, die sowohl mit moderner, als auch europäischer Einstellung entstand.

Kateřina Čapková – Mezi Prahou a Mikulovem. Židé v českých zemích/ Katerina Capkova Zwischen Prag und Nikolsburg. Jüdisches Leben in den böhmischen Ländern
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Von links an Tischen: Lisa Silverman | Wiener Wiesenthal Institut für Holocaust-Studien/ Universität von Wisconsin-Milwaukee, Martina Niedhammer | Ludwig-Maximilians-Universität München/ Collegium Carolinum, München, Kateřina Čapková | Institut für Zeitgeschichte der Akademie der Wissenschaften, Prag und Ines Koeltzsch | Wien/ Masaryk-Institut und Archiv der Akademie der Wissenschaften, Prag

Wichtig sei es auch zu betonen, wie die jüdische Geschichte früher geschrieben wurde. Der nächste Grund des Autorenteams, warum es sich bemühte diese Publikation anders zu verfassen, war die Tatsache, dass die Geschichte der Juden früher vor allem aus der Position der Staatsverwaltung gesehen wurde, wie Čapková hervorhebt: „Die jüdische Geschichte wurde in vielen Publikationen als Staatspolitik gegen Juden geschrieben und das betrifft auch die Geschichte der Roma. Die Politik dieser Minderheit gegenüber wird leider oft für ihre Geschichte gehalten. Mit dieser sehr problematischen Sicht übernehmen wir eine sehr vorurteilshafte Sicht dieser Bevölkerungsgruppen durch Dokumente der Staatsprovenienz.“

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Historikerinnen Martina Niedhammer und Kateřina Čapková

Nahe Beziehung sowohl zu jüdischer, als auch zu Kultur der Roma

Kateřina Čapková schloss ihr Studium der Historie und Germanistik in Prag ab. Auch wenn sie selbst nicht aus einer jüdischen Familie kommt, sondern aus einer evangelischen, begann sie sich der jüdischen Geschichte während ihres Studiums zu widmen.

Am Institut für Zeitgeschichte der Akademie der Wissenschaften in Prag, an der sie zur Zeit tätig ist, gab es niemanden, der sich mit Geschichte und Kultur der Roma beschäftigen würde und deswegen entschied sie sich, das zu ändern. Im Jahre 2016 rief sie einige Schlüsselforscher/innen aus der ganzen Welt nach Prag zusammen und sie errichteten so das Prague Forum for Romani Histories.
Einmal in zwei Jahren veranstalten sie internationale Konferenzen oder Workshops und wollen eine Plattform für alle werden, die die Geschichte der Roma studieren oder die sich für ihre Kultur interessieren. „Wir geben uns große Mühe, Geschichte nicht stereotyp und vor allem aus Sicht der Roma selbst zu reflektieren“, reflektiert Čapková.

Sie und auch ihren Kolegen/innen lag es während der Arbeit an der Publikation „Zwischen Prag und Nikolsburg. Jüdisches Leben in den böhmischen Ländern“, die heuer im Jänner im deutschen Verlag Vandenhoeck & Ruprecht erschien, sehr am Herzen, dass die Geschichte der Juden von Juden selbst reflektiert wird, also durch ihre Perspektive und deswegen wählten die Autoren/innen in großer Mehrheit in erster Linie historische Quellen, die aus der Feder der Juden kommen oder es waren direkt sie, die sie reproduzierten.

Weiters war es für das Autorenteam unvermeidbar „die böhmischen Länder als integralen Bestandteil Mitteleuropas zu zeigen und das, dass Migration sich nicht nur auf die innere Migration beschränkte, sondern dass es Schlüsselbeziehungen vor allem mit Wien gab, was die mährische, aber auch die südböhmische Judenbevölkerung betraf“, erzählt die Mitautorin Kateřina Čapková. Die Migration bezog sich auch auf ferner liegende Orte sowohl wie zum Beispiel auf Deutschland oder Polen, als auch auf bedeutende jüdische Zentren, die USA und Israel, wohin Juden oft auswanderten.

Tschechoslowakei zum Zufluchtsort der Juden aus Karpatenrussland und aus der Ostslowakei

Die Gründe der Juden zum Verlassen des ehemaligen Zuhauses und ihre Suche eines neuen gefahrlosen Ortes zum Leben in der Nachkriegstschechoslowakei waren unterschiedlich. Die Juden aus Karpatenrussland wollten sich von der sowjetischen Annexion befreien, auf der anderen Seite fürchteten Juden aus der Ostslowakei sich vor dem starken Antisemitismus, der dort deutlicher ausgeprägt war als in böhmischen Ländern, wie Čapková erläutert.

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Čapková ergänzt die unkomplette Vorstellung über Juden in der Nachkriegszeit

Es herrscht eine unkomplette Vorstellung über
jüdische Geschichte in den Nachkriegsländern, konkrekt darüber, dass ihre Geschichte aus Assimilation und säkularem Judentum bestanden. Weiters ist es bekannt, dass Juden einen wesentlichen Bestandteil der tschechoslowakischen intellektuellen Elite bildeten und zum Beispiel viele Menschen, aus jüdischen Familien kommend, Unterzeichner/innen der Charta 77 waren.

„Ich fand es wichtig, zu diesem Teil der Geschichte noch den anderen hinzufügen, und das ist gerade die Geschichte der Grenzgebietsgemeinden. Damals brachten die neu ankommenden Juden überraschenderweise religiöse Tradtionen mit in die dortigen Gebiete, die dort bis zur Kriegszeit völlig unbekannt waren. Erst nach dem Holocaust hat die jüdische Gemeinde, Grenzgebiete, die nach chasidischem, sehr orthodoxem Ritus geführt werden, was eine Realität ohne Gleichen in dieser Region ist“, beschreibt Kateřina Čapková die Juden, durch deren Wurzeln keine tschechische Kultur floss, wie es bei den Prager Juden der Fall war. Unter sich sprachen sie vorwiegend in ihrer Muttesprache, also Jiddisch oder Ungarisch, Slowakisch oder Rumänisch. Čapková fügt hinzu, dass Tschechisch bei ihnen vorerst einen eher geringen Stellenwert hatte.

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Von links: Historikerinnen Lisa Silverman, Martina Niedhammer, Kateřina Čapková und Ines Koeltzsch

Weitere Entwicklung der neu entstandenen jüdischen Kommunen

„Ich erlaube mir zu sagen, dass sie wirklich aufblühten. Es waren sehr lebendige, aktive Zentren im Gegenteil dazu, worüber viele Juden gerade aus Prag oder aus säkulareren Kreisen in ihren Erinnerungen sprechen, die über ihr Judentum zufällig gehört haben oder bemerkt haben, dass sie keine Oma oder keinen Großvater mehr haben. Bei orthodoxen Familien war das anders, dort wurden die Kinder schon von Geburt an im orthodoxen Stil erzogen“, äußert sich Čapková zur weiteren Entwicklung der jüdischen Kommunitäten in Grenzgebieten der ehemaligen Tschechoslowakei.

In Bemühung die Kommunität wiederherzustellen und ihr in Europa auch ihre Zukunft zu sichern, ging es auch unter Juden verständlich zur Bevölkerungsexplosion. Auch wenn manche Familien in der Tschechoslowakei blieben, verließen viele von ihnen in 1960er Jahren, spätestens im Jahre 1968 dieses Land. Auch wenn jüdische Gemeinden in den nächsten Jahrzehnten stark abgeschwächt wurden, führt Čapková an, dass wir im gegenwärtigen Tschechien insgesamt zehn jüdische Gemeinden finden würden.

Kateřina Čapková – Mezi Prahou a Mikulovem. Židé v českých zemích/ Katerina Capkova Zwischen Prag und Nikolsburg. Jüdisches Leben in den böhmischen Ländern
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Naches Trio umrahmte musikalisch das Programm in der jüdischen Buchhandlung Singer

Während des Abends klangen auch rührende und grüblerische Melodien des tschechisch-deutschen instrumentalen Trios, inspiriert von der Klezmermusik und Jiddischen Liedern, ursprünglich aus Osteuropa stammend.

In der aktuellen Sendung des Radios Dráťák können Sie sich auf eine kleine Demonstration ihres Werkes freuen.

Kateřina Čapková | „Mezi Prahou a Mikulovem. Židé v českých zemích“

Kateřina Čapková – Mezi Prahou a Mikulovem. Židé v českých zemích/ Katerina Capkova Zwischen Prag und Nikolsburg. Jüdisches Leben in den böhmischen Ländern
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Von links: Tereza Rejšková | Violine, Jonathan Jura | Klavier und Jeannine Jura | Klarinette

Das nächste Magazin Rádio Dráťák beginnt wie immer am Montag um 21:10 Uhr auf Radio Burgenland. Herzlichen Dank an Jana Starek (VWI) für die Vermittlung des Interviews mit dem Gast Kateřina Čapková.