On demand | Radio Dráťák | 30.12.2019
Radio Dráťák Magazin
30.12.2019 | 21:10 | Radio Burgenland Livestream
Das Neuner-Jahr 2019, das viele bedeutende Jubiläen in sich trug, sowohl für Österreich, als auch für Tschechien und die Slowakei, geht unanhaltsam zur Neige. In der letzten Sendung des Magazins Radio Dráťák in diesem Jahr fokussieren wir uns auf Ereignisse der nicht ganz so alten Geschichte, die viele europäische Staaten wieder ins Zentrum des demokratischen Geschehens einrücken ließ. Die ehemalige Tschechoslowakei begann so in Augen der sogenannten westlichen Länder wieder zu existieren.
Die Bewegungsfreiheit, die Freiheit des Wortes, das Versammlungsrecht oder das Bildungsrecht, für die heutige Generation schon selbstverständliche Begriffe, die jedenfalls bis heute an die Zeit erinnern, in der man um die Menschenrechte kämpfen musste. Wir sprechen von den Umbrüchen des Jahres 1989.
Eine wichtige Rolle für die ehemalige Tschechoslowakei, die durch die undurchdringliche Grenzzone jahrzehntelang von der westlichen Welt abgetrennt war, spielte auch gerade Österreich.
Spuren der Vorfahren | Für Heimat und Gesellschaft da zu sein
Tomáš Czernin, der Vorsitzende der Ständigen Kommission für im Ausland lebende Landsleute, Tschechien und auch der Nachfahre des adligen Geschlechts der Czernin, war einer der Abendgäste, die die Podiumsdiskussion eröffneten: „Meine Kindheit und Jugendzeit verbrachte ich im Kommunismus und ich war wirklich unzufrieden. Ich beschäftigte mich immer mit der Idee, warum es uns passierte und wie es uns passierte. Bei uns war es wohl auch deshalb zugespitzt, weil mein Großvater und meine Großmutter seit 1964 in Wien waren und wir sie lange Zeit nicht besuchen konnten. Das ging mir nicht aus dem Kopf und ich nahm mir vor, dass ich das, anders als mein Opa erleben will, weil er sein ganzes Leben lang etwas verlor. Das Motto unseres Geschlechtes lautet: ,Herr, zeige uns deine Wege’ und ich weiß, wenn man schon einen Weg betritt, dann muss ihn folgen, auch wenn man nicht ahnt, wohin er ihn leiten wird.“
Festival in Wrocław und die österreichische Hilfe den Chartisten
Die Tschechoslowakei war eines der letzten Länder Europas, in denen das totalitäre Regime fiel. Die Lockerung brachte vor allem die polnische Bewegung „Solidarność | Solidarität“ und Gorbatschows Perestroika in Bewegung.
Anfang November 1989, im polnischen Wrocław, wurde das Festival der unabhängigen tschechoslowakischen Kultur veranstaltet. Eingeladen wurden zum Beispiel auch die Exilliedermacher wie Karel Kryl, Jaroslav Hutka oder Vlastimil Třešňák. Die Diskussion in der Diplomatischen Akademie Wien wurde von der Moderatorin des Abends Jana Starek und Karel Schwarzenberg, der 1984 – 1991 als Vorsitzender der Internationalen Helsinki-Föderation für Menschenrechte wirkte, gerade mit der Erinnerung an dieses Event eingeleitet. Nicht Schwarzenberg selbst ahnte damals, dass das totalitäre Regime so schnell stürzen würde.
Bundeskanzler Bruno Kreisky bot, als erster europäischer Politiker, jedem/jeder Unterzeichner/in der Charta 77 politisches Asyl in Österreich.
Der langjährige Pressesprecher des ehemaligen Präsidenten Heinz Fischer Bruno Aigner und Mitgründer, sowie langjähriger Vorsitzender des Kulturklubs der Tschechen und Slowaken in Österreich Přemysl Janýr waren damit beauftragt, für die Chartisten zu sorgen.
Zusammen auch mit ihren Familien fanden sie so Unterkünfte für mehr als 500 Personen, die das Regime aus dem eigenen Land verwies. Viele wurden später Bestandteil der österreichischen Kulturszene.
Der nächste Gast des Radio Dráťák ist Bruno Aigner: „Das, was mir irgendwie ein bisschen wehtut, ist, dass nicht nur die jungen Menschen, sondern auch die älteren wenig oder überhaupt nichts wissen über die Aktivitäten der Charta 77 und ich würde mir mehr zeithistorische Aufklärung wünschen, was diesen sehr wichtigen Abschnitt für die Geschichte der Tschechoslowakei, und die heutige Tschechische Republik und die Slowakei, bedeutet.“
Erhard Busek | Zuneigung für Tschechoslowaken
Neben Bruno Aigner diskutierte auch Erhard Busek, ehemaliger Vizekanzler und österreichischer Politiker der ÖVP und heute Vorstandsvorsitzender des Instituts für Donauraum und Mitteleuropa (IDM), zum Thema „30 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs“. In der Vergangenheit reiste er vor allem mit Journalistengruppen oft nach Polen. Er hatte Kontakt auch mit katholischen Dissidenten oder nahm an der Prager Konferenz „Tschechoslowakei 88“ teil.
Aus Köpfen alte Grenzen verdrängen
Der nächste Gast von Radio Dráťák ist die Botschafterin der Tschechischen Republik in Wien Ivana Červenková. Eine Intensivierung der tschechisch-österreichischen Beziehungen und eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit nimmt sie tagtäglich wahr: „Für Österreich endete gerade dort, wo der Eiserne Vorhang war, die Welt. Früher lebten wir sehr lange Zeit zusammen im Rahmen der Monarchie. Niemand konnte zum Beispiel verstehen, dass er seine Oma nicht mehr besuchen kann oder dass die eigenen Kinder auf der anderen Seite blieben, also für Österreicher war das ein so wichtiger Meilenstein, dass ich völlig überrascht bin, mit was für einer Euphorie sie heuer das Jubiläum der 30 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs feiern. Die Zeit des Realsozialismus hinterließ Überreste für mehrere Generationen nicht nur durch den Zaun, aber auch durch die Grenzen in Köpfen.“
Richard Basler | „Das Wort konnte ein Menschensleben komplett vernichten“
Der Wiener Verein „Kulturklub der Tschechen und Slowaken in Österreich“ entstand im Jahre 1974. Er wurde von Migranten/innen gegründet, die nach 1968 hierher gerieten. So wurde der Verein für manche zur ersten Rettungsinstitution. Mit der Redaktion sprach für den Kulturklub sein stellvertretender Vorsitzender Richard Basler, der auch in der Wiener Arbeitsgemeinschaft für Volksgruppenfragen | ARGE Volksgruppen tätig ist: „Auch für mich persönlich bedeutete das Jahr 1989 große Veränderungen. Ich hatte Verwandte in der Tschechoslowakei und auch wenn das kompliziert war, geriet ich in die kommunistische Tschechoslowakei, also ich weiß, wie es an Grenzen früher und danach war. Die Menschen dort waren offener. Die Verwandten konnten mit mir offener sprechen und nicht nur irgendwo was flüstern, weil es damals viele Spione gab. Das Wort konnte ein Menschensleben beeinflussen und das änderte sich; es hatte keine solchen Konsequenzen mehr. Man verlor nicht seine Arbeit, konnte nicht verfolgt werden oder ins Gefängnis gehen. Ich weiß, dass das, was heute ganz absurd klingt, wirklich geschah. Der Horror existierte.“
Die vorigen Bruchteile der Ereignisse erinnern an die Notwendigkeit die nicht leicht erworbene Freiheit immer zu schützen, sie zu verteidigen und hinter ihr zu stehen, und das auch in der heutigen Demokratie. In der Diplomatischen Akademie Wien diskutierte man über Widerhalle der Samtenen Revolution in demokratischen Staaten Europas, im Allgemeinen über die Entwicklung der vergangenen drei Jahrzehnte, aber auch über das Interesse und die Hilfe Österreichs für die damalige Tschechoslowakei.
30.12.2019 | Rádio Dráťák | Sen a realita vídeňských Čechoslováků | 30 let od pádu železné opony (článek v češtině)
Im heutigen Magazin Radio Dráťák, das um 21.10 Uhr auf Radio Burgenland beginnt, hören Sie kurze Interview-Aufzeichnungen mit Tomáš Czernin, Bruno Aigner, Erhard Busek, Ivana Červenková und Richard Basler. Das Thema wurde von Pavla Rašnerová vorbereitet. Am Mikrofon begrüßt Sie Tereza Chaloupková.