Radio Dráťák | Erinnerungen an den Umbruchsaugust, der einen Traum über mögliche Demokratie in der Tschechoslowakei vernichtete

Demnächst kommt der Tag, an dem Gefühle unvorstellbarer Enttäuschung und Hoffnungslosigkeit in der Tschechoslowakei ausgelöst wurden. Für manche bedeutete er auch den Verlust der geringsten Illusion, dass vielleicht die Einstellung von der Regierungsseite geändert und der Sozialismus mit menschlichem Antlitz in eine allmähliche Demokratisierung münden würde.

On demand | Radio Dráťák | 13.8.2018

Die Ereignisse in der Nacht vom 20. auf 21. August führten diejenigen, die mit dem Regime nicht übereinstimmten dazu, die eigene Heimat zu verlassen.

Radio Dráťák Magazin

13.8.2018 | 21:10 | Radio Burgenland Livestream

Prag vor fünfzig Jahren. Die Temperaturen reichen von etwa 22°C bis 25°C. Der Himmel ist bedeckt. Darunter windet sich eine Schlange mit ihrer giftigen Botschaft. Gerade an diesem Tag befanden sich unsere heutige Gäste des Radio Dráťák Magazins in Prag.

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Ronald Berauer

Karla Horvat | „Den Kommunisten glaubte ich nie“

„Menschen freuten sich darauf, dass es neue Wahlen geben werden, dass sie wirklich eine Möglichkeit haben, die Tschechoslowakei zu ändern. Das Gold, das sie zu Hause hatten, das übergaben sie in diesem Frühling 68' gerne und freiwillig den Banken, damit die Tschechoslowakei ihren eigenen Schatz hatte. Sie waren in einer so großen Euphorie und glaubten daran, dass wir nie wieder so sehr unter den Kommunisten leiden werden, aber ich glaubte ihnen nie. Die Menschen waren dann selbstverständlich sehr enttäuscht, als sie später die russischen Panzer sahen. Sie kletterten auf die Panzer und zündeten sie an und viele von ihnen starben. Das Letzte, was ich noch vom Zug aus bemerkte, war, wie der Rundfunk brennt“, erzählt die Wiener Tschechin, Karla Horvat, die ihre Erlebnisse vom Sommer in der Tschechoslowakei vor 50 Jahren so lebhaft und detailliert beschreibt, dass man kaum glauben kann, dass seit dem schon ein halbes Jahrhundert verging. Ihre Familie zog wegen einer nicht einfachen Situation um, ihre Eltern waren politisch verfolgt, gehörten zur Intelligenz und waren adeliger Herkunft, also nicht bei der ehemaligen Regime beliebt, und zwar aus Prag nach Karlovy Vary, wo Karla Horvat ihre Kindheit und Jugend verbrachte.

Karla Horvat

orf | pavla rašnerová

Karla Horvat | „Ich nahm es als einen Albtraum, ich wollte das überhaupt nicht glauben“

„Intelligenz“ aus dem Mund der Kommunisten als Schimpfwort

Nach dem Abschluss der Grundschule wollte sie Fotografin werden, was ihr aber vom Regime nicht ermöglicht wurde. „Es wurde mir immer gesagt, dass ich eine der Intellektuellen bin, das war wie ein Schimpfwort“, erinnert sich Karla Horvat an die Zeit voll von unbegreiflichen Entscheidungen von Seite des Staates. Als sie fünfzehn war, entschied sie sich, ins Ausland aufzubrechen, was es ihr später, nach ein paar Jahren auch geling. Inzwischen lebte sie zwei Jahre in Prag und arbeitete als Arrangeurin bei Drogerien. Damit, kann man sagen, war sie zufrieden.

Karla Horvats Großvater arbeitete als Oberrat im Ministerium für Schulwesen in Prag, auch während des Kriegs, nach der Revolution musste er in Pension gehen. Nicht nur, dass seine Rente undenkbar reduziert wurde, sondern auch die Währungsreform betraf ihn.

Den Adelstitel bekamen sie von ihren Vorfahren, einem Ingenieur, dem er von Franz Josef für die Pläne für die erste Pferdebahn zwischen Linz und Budweis gegeben wurde. Karla Horvat konnte ihren Adelstitel nie verwenden, weder unter der kommunistischen Regierung, noch hier in Österreich, wo die Titel gesetzlich verboten sind. Zu ihrer Abschaffung kam es im Jahre 1919.

„Bewahren Sie die Ruhe“ und die folgende Flucht aus Prag

„Wir wurden von russischen Heeren besetzt, bewahren Sie die Ruhe“, nach diesen Worten des ehemaligen Präsidenten Ludvík Svoboda, die jede/r Tschechoslowake/in nach Anschalten des Radios an jenem Morgen hörte, teilte Karla Horvats Mutter sofort mit, dass sie nicht vorhat, die Ruhe zu bewahren, dass sie es schon mehrmals im Krieg gehört hätte und dass sie aus der Republik flüchten müssten. Es folgte eine Flucht zur Botschaft der Republik Österreich zum Abholen ihrer Pässe. Zum Glück fand sie eine Raumpflegerin. Auf dem Wenzelsplatz half ein Polizist ihnen, dank dem sie erfuhren, aus welchem Bahnhof man die Richtung Tábor weiterfahren konnte. Das einzige Gepäck bildeten eine kleine Handtasche und einen Regenschirm. „Wir erreichten den Bahnhof, wo wir wieder andere Panzer sahen und ich kletterte auf einen und die Russen begann ich auf Russisch zu schimpfen. Meine Mutter zog mich herunter und sagte, dass so was sehr gefährlich sei und dass es passieren könnte, dass einer der Irren jede Minute schieße“, erzählt Karla Horvat über ihre Flucht aus der Tschechoslowakei weiter. Erst bei Tábor gab es keine Spur mehr von Panzern.

Ohne Reisepass über die Grenze in České Velenice

An der Grenze in České Velenice in einem dortigen Gasthof wurde ihnen gesagt, wie man diese auch ohne Reisepass überschreiten könnte. Das gleiche wurde ihnen auch auf dem Zollamt bestätigt, und zwar mit den Worten, dass man sie nicht sehen würde und sie durchgehen ließe. Man hatte den Befehl, niemanden weitergehen oder zurückkehren zu lassen, aber weil man sie nicht sah, konnten sie fortgehen. Auf der anderen Seite warteten schon österreichische Medien, denen Karla Horvats Mutter Interviews gab, wofür sie dann zu vier Jahren Gefängnis in der Tschechoslowakei verurteilt wurde. Sie kehrte aber nie wieder zurück. Nach der Samtenen Revolution fiel ihre Mutter zwar unter die Amnestie, aber auch diese Tatsache überzeugte sie nicht. Im Gegenteil fuhr ihre Tochter, Karla Horvat, gleich nach der Grenzöffnung sofort ihre Heimat zu besuchen.

Kehren wir aber zurück an die Grenze von der österreichischen Seite; zwei Frauen stehen am Anfang ihrer neuen Leben. Ohne die politische Partei, die ihren unbarmherzigen Druck in der Tschechoslowakei inzwischen stärkte.

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Ronald Berauer

In Gmünd nahmen sich die Einheimischen ihrer an, die Angst davor hatten, dass die Russen bis zu ihnen geraten. Sie halfen, wie sie konnten und führten sie in eine Schule, wo auch andere Flüchtlinge aus der Tschechoslowakei waren. Am nächsten Tag stellten sie sofort einen Antrag auf politisches Asyl und so blieben sie ein halbes Jahr im Flüchtlingslager Traiskirchen. Damit begann eine neue Lebensetappe, was aber schon eine andere Geschichte ist.

„Alles, was ich brauche, habe ich in Karlovy Vary gelernt“

Karla Horvat begann sich nach dem Tod ihres Ehemannes, das war schon nach der Samtenen Revolution, für das Geschehen in der tschechischen Volksgruppe zu interessieren. Zuerst sang sie in der Kirche und so lernte sie allmählich ein paar Vereine kennen, dank denen sie sich an ihr damaliges Zuhause nicht mit Nostalgie erinnern muss. Die Stadt Karlovy Vary war damals ein Ort, der Menschen aus der ganzen Republik behütete und man musste dort keine Angst vor einer Anzeige haben, wie es in Prag geläufig war. Wie sie selbst sagt, könnte ihr Leben ruhig unter dem Titel erzählt werden: „Alles, was ich brauche, habe ich in Karlovy Vary gelernt“.

Věra Gregorová | „Menschen in Prag hatten einen Willen“

Manche Wiener Tschechen erlebten dieses Ereignis auch von einer anderen Perspektive, zum Beispiel so, dass sie gerade zu Besuch bei ihren tschechischen Familien oder Bekannten waren oder absichtlich nach Österreich reisten, um zu erfahren, ob alle in Ordnung sind. Genauso war das bei Věra Gregorová, die damals in Kontakt mit der Wirtschaftsuniversität Prag war und ihre Dissertation über den sich ändernden Zustand der tschechoslowakischen Wirtschaft schreiben sollte. Nach der Besetzung scheiterte das Thema leider, weil, wie es ihr mitgeteilt wurde, die Tschechoslowakei bei ihrem alten Prinzip blieb.

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orf | pavla rašnerová

Věra Gregorová | „Menschen in Prag hatten einen Willen, auch wenn sie wussten, es gegen die Sowjetpanzer nicht zu gewinnen, dann wehrten sie sich, sie wollten zeigen, dass sie damit nicht einverstanden sind“

Věra Gregorová entschied sich, auf eigene Faust nach Böhmen und Mähren zu fahren, weil die telefonische Verbindung damals nicht so zuverlässig war. Sie erfuhr, dass die Strecke Richtung Mikulov nach Brünn geöffnet ist. Mit dem Visum in der Hand stieg sie in ihr Auto und steuerte Richtung Brno, von wo sie dann per Flugzeug nach Holešov geriet. Alles war in Ordnung in der Familie, aber jedem selbstverständlich bangte es davor, wie es weitergehen würde. „Auch in Prag glaubte noch jeder, dass die Okkupation nicht bleibt. Damals war das politisch noch nicht beschlossen“, fügt Gregorová zu der damaligen Situation in der Tschechoslowakei hinzu.

„Danach sagte jeder, dass es jetzt für die nächsten zwanzig Jahre tot sei und es zeigte sich, dass es wirklich so sein wird. Jeder fühlte, dass es unterbrochen wurde, dass die Zeit, die unter den gewissen Umständen, noch nicht reif genug dazu war, damit es gelingen würde. Eine so große Armee in einem so kleinen Staat ... Es war überraschend, dass man nach Brno fahren konnte. Ich konnte reisen. Das war unglaublich. Als ich Wien verließ, glaubte ich nicht daran, dass es mir gelingen würde. Wir wussten, dass Wege kontrolliert werden, deshalb war eine Reise mit dem Auto unmöglich und so kam ich auf die Idee, zu fliegen“, beschreibt Věra Gregorová, die Vorsitzende des Vereins České srdce, ihre abenteuerliche Reise in die Tschechoslowakei nachdem sie über die Invasion von Warschauer Pakt-Truppen im August 1968 erfuhr.

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Ronald Berauer

„Die Menschen in Prag hatten einen Willen, auch wenn sie wussten, dass sie die russischen Panzer nicht besiegen konnten, wehrten sie sich. Sie wollten zeigen, dass sie damit nicht einverstanden sind. Es war wirklich erstaunlich, was die Menschen sich trauten. Ich werde nie vergessen, wie Panzer auf dem Wenzelsplatz standen und auch nicht das, wie auf das Museum geschossen wurde. Es war wirklich so, dass man Angst haben musste. Ich würde sagen, damals war man noch mutiger. Eine andere Sache ist, dass später die politische Enttäuschung folgte, aber solche Dinge, ja, die machen Mut.“ Mit diesen Worten beendet Gregorová das Interview.

Karl Hanzl | Prager Frühling als Mosaiksteinchen

Die Invasion der Sowjetarmee ruft sich auch der Vorsitzende des Schulvereins Komenský Karl Hanzl in grellen Farben ins Gedächtnis zurück. In jener Nacht übernachtete er mit seinen Eltern und seinem Bruder auf dem Wenzelsplatz in Prag, der schon am Morgen voll von Panzern war. Auch wenn er damals, als 16-jähriger die politische Szene noch nicht so nah verfolgte, erinnert er sich an die lockere Atmosphäre des Prager Frühlings, die bis nach Österreich reichte und an „das positive Klima, dass die Tschechoslowakei ins Demokratielager zurückkehrt.“

Karl Hanzl

ORF | Rasnerova

Karl Hanzl | Prager Frühling - „positives Klima, dass die Tschechoslowakei ins Demokratielager zurückkehrt“

„Wenn ich aber die Zeit nach dem 21. August nehme, dann war es unglaublich, wie die österreichischen Einwohner die tschechischen aufnahmen. Wir selbst erlebten das in unserer kleinen Tischlerwerkstatt. Es kamen ein paar Mal Busse an, wo die ganze Belegschaft von fünfzig Menschen bei uns in der Werkstatt übernachtete. Wir holten Frühstück, bereiteten Tee vor und halfen ihnen überall, wo es möglich war und es wurde sicherlich von vielen vielen Wiener Tschechen und auch Wienern getan, die nicht Tschechisch sprachen“, sagt Hanzl.

Prag 68 Proteste Panzer

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Auch wenn die Welle des Unwillens seitens der Einwohner intensiv war, überzeugte sie nicht die Herrscher, die über den zukünftigen Zustand in der Tschechoslowakei entschieden, sodass der Staat sich von sich selbst über enger Schnallen und Lockern der Zügel entscheiden könnte. Jedenfalls sind einige auch heute davon überzeugt, dass der Prager Frühling eine große Bedeutung hatte: „Es war sicher einer der großen Impulse und mehr oder weniger die Entwicklung, wenn Sie das Jahr 1956 in Ungarn, 1968 in der Tschechoslowakei und dann die 1980er in Polen hernehmen, dann war das, meiner Meinung nach, ein Mosaiksteinchen in der zukünftigen Entwicklung bis zum Jahr 1989“, antwortet Karl Hanzl, der Vorsitzende des Schulvereins Komenský, auf die Frage, was für Folgen der Prager Frühling auf die weitere Entwicklung im Land hatte.

Mit dem Thema „50-jähriger Gedenktag des Prager Frühlings“ werden wir auch in unserer nächsten Radiosendung fortfahren.

Heldenmut der Einwohner | Nachlass für nächste Generationen

Die Tschechoslowakei erreichte die Demokratie zwar um zwei Jahrzehnte später, die öffentliche Opposition der Bürger/innen gegen den Einmarsch und die folgende Okkupation durch die Sowjetarmee bedeuten bis heute Heldenmut und Nachlass für nächste Generationen.

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Durch die Sendung begleitet Sie Pavlína Woodhams. Die Interviews mit Karla Horvat, Karl Hanzl und Vera Gregor verarbeitete und führte Pavla Rašnerová.