Tendenzen zu NS-Glorifizierung kritisiert

Russland hat zum Auftakt einer Konferenz zum 80. Jahrestag des „Anschlusses“ gegen Tendenzen zu einer NS-Glorifizierung protestiert. „Leider betrifft das auch Österreich“, sagte der russische Botschafter Dmitrij Ljubinskij in Wien.

„Wir müssen leider mit Empörung Versuche beobachten, die Geschichte zu manipulieren, Opfer und Täter gleichzustellen, die Nazis und ihre Helfershelfer als Helden darzustellen“, so Ljubinskij bei einem Symposium vorige Woche in Wien.

„Leider betrifft das auch Österreich“, sagte der Diplomat auf einer wissenschaftlichen Tagung in der Diplomatischen Akademie zu den internationalen Aspekten des „Anschlusses“, die auf russische Initiative vom Ludwig Boltzmann Institut für Kriegsfolgenforschung (BIK) veranstaltet wurde.

Vandalenakt gegen Sowjet-Denkmal

Ljubinskij verwies darauf, dass es erst am 6. März wieder zu einem Vandalenakt am Denkmal für die gefallenen sowjetischen Soldaten am Wiener Schwarzenbergplatz gekommen sei. Die österreichischen Behörden hätten aber nach einem Protest Moskaus „umgehend reagiert“, die Beschmierung sei schon wieder entfernt worden, sagte der Botschafter. Bezüglich der Pflege sowjetischer Denkmäler sei Österreich ein Vorbild für andere europäische Länder.

Ljubinskij betonte, dass die Sowjetunion im Jahr 1938 als „einzige Großmacht“ gegen die Eingliederung Österreich in Hitler-Deutschland protestiert habe. Die Westmächte hätten dagegen „schlapp“ reagiert. „Die nachgiebige Haltung der Westmächte Hitler gegenüber ermöglichte es ihm, den Zweiten Weltkrieg zu entfesseln“, kritisierte der Diplomat.

BIK-Leiterin Barbara Stelzl-Marx wies ebenfalls darauf hin, dass der „Anschluss“ spätere Nazi-Verbrechen aufzeigte. So sei es in der Nacht vom 11. auf den 12. März zu massiven Ausschreitungen gegenüber Juden gekommen. „Das kann man als einen Vorboten der Pogrome im November begreifen“, sagte sie mit Blick auf die sogenannte „Reichskristallnacht“.

Außenpolitischen Aspekte bisher wenig beleuchtet

Der frühere BIK-Leiter Stefan Karner betonte, dass die außenpolitischen Aspekte des „Anschlusses“ bisher wissenschaftlich nur wenig beleuchtet wurden. Man habe daher bewusst Experten aus verschiedenen Ländern nach Wien eingeladen, um das Thema der internationalen Reaktionen auf die damaligen Ereignisse „viel ausführlicher, viel tiefgehender“ zu beleuchten.

Weitgehende Einigkeit herrschte unter den Vortragenden, dass Österreich wegen der Zurückhaltung der anderen europäischen Staaten zur leichten Beute für Hitler-Deutschland wurde. „Die Appeasementpolitik der Westmächte halte ich für den entscheidenden Faktor, dass es zum Anschluss in dieser Form gekommen ist“, sagte der Leiter der Diplomatischen Akademie, Emil Brix, in seinem Eröffnungsvortrag.

Brix betonte, dass es sich um ein „schleichendes Ende“ gehandelt habe, das spätestens mit dem Juli-Abkommen zwischen Wien und Berlin 1936 begonnen habe. In London sei dieses Abkommen als ein „halber Anschluss“ gesehen worden. Auch habe das „Foreign Office“ schon im Jahr 1934 gemeint, eine „deutsche Lösung“ solle so schnell wie möglich kommen, wenn sie denn als unausweichlich angesehen werde.

Die Vorträge der ganztägigen Konferenz von Historikern aus Russland, den USA, Deutschland, Italien, Tschechien, Ungarn, Slowenien und Polen werden in einem Sammelband herausgebracht.

Der Spitzendiplomat verwies aber auch auf die inneren Voraussetzungen für den „Anschluss“. Der Anschlussgedanke habe nicht von den Nazis erfunden werden müssen, sei er doch „zentraler Bestandteil des genetischen Materials der österreichischen Politik“ in der Zwischenkriegszeit gewesen. Dieser Aspekt sei auch heute noch bedeutsam. „Auch das russische Verhalten gegenüber der Ukraine hat mit ethnischer Identitätspolitik zu tun“, sagte Brix mit einem Seitenhieb auf Moskau.

Schließlich habe sich beim „Anschluss“ gezeigt, dass es in der Zwischenkriegszeit kein multilaterales Ordnungssystem in Europa gegeben habe. Die internationale Ordnung habe auf Allianzen zwischen Staaten beruht, wobei Österreich zuletzt keine Verbündeten mehr hatte. „Das hat sehr viel mit unserer Gegenwart zu tun“, betonte Brix. Gerade aus diesem Grund trete Österreich heute so stark für multilaterale Zusammenarbeit und die Stärkung einer Sicherheitsarchitektur ein.