Polens umstrittenes Holocaust-Gesetz

Der polnisch-amerikanische Historiker Jan Gross befürchtet eine einschüchternde Wirkung auf Lehre, Forschung und Medien durch das jüngst in Polen verabschiedete Holocaust-Gesetz. Es sieht u.a. Strafen dafür vor, wenn die Todeslager der Nazis im besetzen Polen fälschlicherweise als „polnische Lager“ bezeichnet werden.

Wenn nicht mehr öffentlich über Antisemitismus in Polen gesprochen werde, würden auch vom Staat angestellte Lehrer „sehr vorsichtig sein, mit ihren Schülern über die Rolle der Polen bei Pogromen“ zu reden, warnte Gross. „Es ist gefährlich, wenn die jungen Leute in Polen nicht um die dunklen Kapitel unserer Geschichte wissen und darum auch mögliche Neuauflagen nicht erkennen.“ Unrühmliche Kapitel der polnischen Geschichte sollen offenbar aus dem öffentlichen Diskurs verdrängt werden, sagte Gross.

„Ich glaube, dass sich Journalisten künftig sehr genau überlegen werden, ob sie über historisch sensible Themen recherchieren und schreiben werden“, sagte der Historiker Gross der „Welt am Sonntag“. Der polnische Senat hat am Monatsanfang das umstrittene Gesetz zum Umgang mit dem Holocaust verabschiedet. Das Oberhaus des Parlaments stimmte mit 57 Ja- und 23 Nein-Stimmen bei zwei Enthaltungen für den Gesetzentwurf. Auch wenn der polnische Staat oder das polnische Volk der Komplizenschaft mit den Nazis bezichtigt wird, drohen Geldbußen oder bis zu dreijährigen Haftstrafen. Die Reform bedarf zum Inkrafttreten noch der Unterschrift von Präsident Andrzej Duda.

Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki will die diplomatischen Spannungen um das umstrittene Gesetz zum Umgang mit dem Holocaust rasch beilegen. Im südpolnischen Markowa räumte Morawiecki am Freitag eine „vorübergehende Schwächung unserer Beziehungen zu Israel und den USA“ ein, die durch die Verabschiedung des Gesetzes eingetreten sei. Er hoffe darauf, dass sich die Beziehungen bald wieder verbessern, „sobald wir unsere Position erläutern“.

Gegner des Gesetzes aus Israel und Polen bemängeln, das Gesetz sei unpräzise formuliert. Dies könne von Regierenden benutzt werden, um Fälle, bei denen die Verantwortung von Polen bei Verbrechen an Juden nachgewiesen wurde, zu leugnen, warnen sie. Die Warschauer Regierung streitet das ab und argumentiert, sie wolle Polens Ruf verteidigen und sich unter anderem gegen die oft nachlässig gebrauchte historisch falsche Bezeichnung „polnische Todeslager“ für deutsche Vernichtungslager der Nazis im besetzten Polen während des Zweiten Weltkriegs wehren. Ein israelischer Minister hat die Zustimmung des polnischen Senats zum umstrittenen Holocaust-Gesetz kritisiert. Das Gesetz stelle „ein Abstreifen der eigenen Verantwortung dar und eine Verleugnung von Polens Anteil am Holocaust an den Juden“, sagte Geheimdienstminister Israel Katz am Donnerstag.

Polen sollte auf historisch falsche Darstellungen nicht mit Straf-, sondern verstärkten Bildungsmaßnahmen reagieren, kritisierte die israelische Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem. „Das vom Senat verabschiedete Gesetz gefährdet die freie und offene Diskussion über die Rolle von Polen bei der Verfolgung von Juden zu der Zeit“, hieß es in einer Stellungnahme.

Auch das US-Außenministerium zeigte sich besorgt über das Gesetz. Eine Sprecherin erklärte, die US-Regierung befürchte, dass das Gesetz der Redefreiheit und der historischen Debatte schaden könne. Zugleich warnte sie Warschau vor möglichen „Auswirkungen“ auf die „strategischen Interessen und Beziehungen Polens, auch was die USA und Israel angeht“.

Reaktion von EU-Vizekommissionspräsident

Mit Blick auf das Holocaust-Gesetz in Polen hat EU-Vizekommissionspräsident Frans Timmermans alle einst von den Nationalsozialisten besetzten Länder aufgefordert, sich historischen Fakten zu stellen. Einen direkten Kommentar zu dem polnischen Gesetz lehnte der Niederländer ab, der auch auf die Besatzungsgeschichte seines eigenen Landes verwies.

„In allen Ländern unter Nazi-Besatzung gab es viele Helden, die Widerstand geleistet und gegen diese Besatzung gekämpft haben, aber leider fanden sich in all diesen Ländern auch Menschen, die mit den Nazi-Besatzern kollaboriert haben, um deren grauenhafte Pläne umzusetzen“, sagte Timmermans am Donnerstag in Brüssel. Das sei die Realität.

Gegner des Gesetzes bemängeln, es sei unpräzise formuliert. Dies könnten polnische Regierende benutzen, um Fälle, bei denen die Verantwortung von Polen bei Verbrechen an Juden nachgewiesen wurde, zu leugnen. Polens Regierung streitet das ab und hebt zudem hervor, Kunst und Wissenschaft seien von den Regelungen ausgenommen.

Die Nationalkonservativen gaben nach der Senatsentscheidung an, Israel den Sinn des Gesetzes genauer erklären zu wollen. „Dieser Sturm hat uns überrascht“, sagte Senatsmarschall Stanislaw Karczewski über die Kritik. „Wir wollen nun in einen friedlichen, ausgewogenen und vertieften Dialog treten.“ Demnach sollte eine polnisch-israelische Arbeitsgruppe einberufen werden.

Polens Regierende argumentieren, sie wollten mit dem Gesetz Polens Ruf verteidigen und sich unter anderem gegen die oft nachlässig gebrauchte historisch falsche Bezeichnung „polnische Todeslager“ für deutsche Vernichtungslager der Nazis im besetzten Polen während des Zweiten Weltkriegs wehren.

Der polnische EU-Ratspräsident Donald Tusk kritisierte jedoch, sie hätten bisher genau das Gegenteil erreicht. "Die Autoren des Gesetzes haben die niederträchtige Verleumdung (die historisch falsche Bezeichnung „polnische Todeslager") in die ganze Welt hinausgetragen, so effektiv wie niemand zuvor“, twitterte er.