Film als „Konservierungsmittel“ der Geschichte

Die Vorführung der 2015 erschienenen Dokumentation „Očima fotografky | Through the eyes oft he photographer“ des Produzenten Matej Mináč, über die Erinnerungen seiner Mutter an ihre dunklen Erfahrungen aus dem Zweiten Weltkrieg, erschienen Ende März erstmals auf der Leinwand in Wien.

On demand | Rádio Dia:tón | 8.5.2017

Filmpremiere in Wien | "Through the eyes of the photographer" von Matej Minac

ORF | yvonne strujic

Fotografin und Zeitzeugin Zuzana Mináčová

Das internationale LET’S CEE Film Festival zeigt seit 2012 einmal jährlich in Wien eine Auswahl der besten aktuellen Spiel-, Dokumentar- und Kurzfilme aus Zentral- und Osteuropa, sowie der Kaukasus-Region und der Türkei.

In diesem Rahmen besuchte auch der Filmproduzent und Regisseur Matej Mináč gemeinsam mit seiner Mutter, der Konzentrationslagerüberlebenden und heute noch sehr aktiven Fotografin Zuzana Mináčová die Bundeshauptstadt.

Filmpremiere in Wien | "Through the eyes of the photographer" von Matej Minac

ORF | yvonne strujic

Zuzana Mináčová mi tihrem Lebenspartner Igor Wasserberger und Matej Mináč auf dem Weg zur Prämiere ihres Films in Wien

Im Anschluss des Films konnte das Publikum mit Protagonistin, sowie Produzent ins Gespräch treten. Auch für Rádio Dia:tón und das Fernsehmagazin České Ozvěny | Slovenské Ozveny nahmen sich die beiden lebensfreudigen Seelen Zeit, um über Film und die ihren dazugehörigen Geschichten zu plaudern. Hören sie eine Sendung über schmerzvolle Erinnerungen, liebevoll bewahrt in der Linse der Fotografin.

Auch die alten Gemäuer von Wiens Gebäuden waren Zeugen der Gräueltaten des Zweiten Weltkriegs. Einen Teil dieser Geschichte brachte auch die gebürtige Slowakin Zuzana Mináčová mit nach Wien. Als sie gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten Igor Wasserberger und ihrem jüngeren Sohn Matej durch die Straßen Wiens das Kino Village Cinema nahe des Stadtparks aufsucht, sprechen sie über ihre gemeinsamen Erinnerungen, Erwartungen und Lebensträume. Der Stephansdom erhebt sich in der Ferne über den Spaziergängern und wacht über ihre Erzählungen, die ein Schicksal mit dem anderen zu verflechten vermögen.

Filmpremiere in Wien | "Through the eyes of the photographer" von Matej Minac

ORF | yvonne strujic

Zuzana Mináčová, als Silbersteinova in eine eher unreligiöse, jüdisch orthodoxe Familie in Bratislava geboren, musste sie als dreizehn- vierzehnjährige die Qualen des neonazistischen Konzentrationslagers Auschwitz durchleiden. Bis heute ist die Dame als Fotografin des Filmfestivals Karlové Vary und beim ewiglichen Festhalten zahlreicher internationaler Berühmtheiten durch das Objektiv nicht mehr wegzudenken. Gemeinsam mit ihrem Sohn Matej Mináč präsentierte sie ihren aktuellen gemeinsamen Film, der es schaffte, zahlreiche leidenvolle Erlebnisse aus dieser Zeit wieder aufkommen zu lassen, diese gleichzeitig auch zu beschwichtigen.

Nach betrachten des Films und einem Expertengespräch mit Mináč über die Produktion von Dokumentationsfilmen saßen die beiden Ehrengäste auf einer gemütlichen Couch, bereit auch mit mir über diesen verfilmten Teil einer Lebensgeschichte zu sprechen, in der eine junge Liebe zum Retter und Bewahrer einer wohl ewig anhaltenden Lebensfreude wurde. So wurde die Kinolobby mit ihrem rötlich-dumpfen Licht auf einmal zu einem sensiblen Ort der Hoffnung.

„Der Film entstand eigentlich nur durch einen großen Zufall. Meine Mama hat eigentlich nie erzählt, was mit ihr im Krieg passiert ist. So war es für mich eine große Überraschung, als nach der Revolution immer wieder solche Zeichen von Faschismus auftauchten, die Menschen begannen auf den Strassen zu rufen: ‚Schneide und hacke bis du blutig bist, es wird nicht zum ersten mal sein, dass Blut fliessen wird‘, das war ein Spruch der Hlinka Garde. So kamen gegen ihren Willen ihre Erinnerungen zurück und zum ersten Mal begann sie davon zu erzählen. Diese Erinnerungen beeindruckten mich sehr, denn Mama erinnert sich an die Menschen von einer anderen, fröhlichen Perspektive“, erzählt der Produzent Matej Mináč. Hastig unterbricht seine Mutter seine Erzählung:

„Wir waren im allgemeinen eine sehr fröhliche Familie und der Krieg hat uns das alles zerstört. Deshalb, als diese Ausschreitungen Mečiars (Anm. Vladimír Mečiar, 1990-1998 Slowakischer Ministerpräsident) bei uns begannen, erachte ich plötzlich und sagte: „Ich habe das alles schon einmal erlebt. Ich möchte es nicht nocheinmal erleben“ und damals begann ich Matej meine Geschichte zu erzählen und es entstand ein Buch, eine Rekonstruktion des Familienalbums.

On demand | Rádio Dia:´tón | 15.5.2017

Filmpremiere in Wien | "Through the eyes of the photographer" von Matej Minac

ORF | yvonne strujic

Nach der Samtenen Revolution, als die sogenannte demokratische Freiheit auch in der Tschechoslowakei einkehrte, beobachtete Zuzana Mináčova ein starkes und für sie sehr beängstigendes Wachstum an Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus. Ihre Angst vor der Wiederholung dessen, was sie nie wieder erleben wollte, trieb die Fotografin dazu, ihre Geburtsstadt Bratislava zu verlassen und das Prag zu ziehen. In den folgenden Jahren entstand das erste gemeinsame Projekt zwischen Mutter und Sohn:

„Mir ging nicht nur meine Familie verloren, aber auch alle Fotografien. So haben wir mit Matej eine Rekonstruktion des Familienalbums erstellt, mit Erinnerungen aller meiner Verwandten und von da an blieb Mato von dem Gedanken begeistert, dass er darüber einen Film produzieren muss und ich dort alles erzählen muss, damit es nicht für immer verloren geht.“

Filmpremiere in Wien | "Through the eyes of the photographer" von Matej Minac

ORF | yvonne strujic

Im Film „Všichni moji blízcí | All my dear ones“, der auf dieser in einem Buch festgehaltenen Erzählung Zuzana Mináčovás -„Rekonstruktion des Familienalbums“- basierte, brachte Matej Mináč so erstmals die Geschichte seiner Familie auf Leinwand. Der Zweite Dokumentationsfilm mit seiner Mutter hat seinen Ursprung in einer ihrer sehr intimen Erinnerung, über die sie mit ihren Söhnen lange nicht sprach. In einer unerwarteten Stunde erzählte sie von einem Jungen, einem Kindheitsfreund, der ihr, damals dreizehn, als Christ freiwillig ins Konzentrationslager Auschwitz folgte. Nur durch seinen rettenden Einsatz im Lager selbst, fand sich Zuzana in der Menschengruppe wieder, die nicht dem Tod verschrieben sein sollte.

„Und eigentlich ist es unsere Pflicht, diese Dinge zu bewahren, denn die nächsten Generationen werden eigentlich durch genau solche intimen Beichten erfahren, als von Fakten. Ich bin sehr froh, dass der Film die Zeit des 20. Jahrhunderts konservieren konnte und das durch genau ihren Blickwinkel. Gesehen durch das künstlerische Foto und auch des normalen Lebens“, erläutert der Regisseur.

Mit der eigenen Mutter und dem eigenen Sohn einen Film zu drehen, war bei „Through the eyes oft he photographer“ für beide keine Prämiere mehr. Dennoch geschah im Laufe der Dreharbeiten erstmals eine bedeutende Sache, die Zuzana Mináčova etwas zurückbrachte, was sie lange vermisste, schmunzelt ihr Sohn:

„Das war so, dass ich sie zwingen musste, nach Auschwitz zu fahren, weil sie sich mit Zähnen und Nägeln dagegen gewehrt hat, weil sie dort noch nie gewesen ist…“

„Na wer würde dorthin wollen?“ unterbricht ihn seine Mutter.

Filmpremiere in Wien | "Through the eyes of the photographer" von Matej Minac

ORF | yvonne strujic

Matej Mináč und Zuana Mináčová im Gespräch mit Yvonne Strujic

„Der ganze Dreh fand unter dem Vorwand statt, dass er nur 2 Stunden dauern wird..“, führt Matej fort.
„Aber dort war eine so furchtbare Atmosphäre auch heute noch. Das Böse, das dort geblieben ist, strahlt dort bis heute“, fügt Zuzana hinzu-
„Ja, aber als du zurückkamst, geschah ein Wunder“, sagt Matej.
„..dass ich angefangen habe zu schlafen“, lächelt seine Mutter.

„Dieser Film ist also auch eine Art Therapie, wie Freud sagte, weil wir in Wien sind, man befreit sich von schlechten traumatischen Ereignissen. Und so wird man gesund und das ist auch hier in diesem Film passiert“, rundet ihr Sohn die Erzählung ab.

Filmpremiere in Wien | "Through the eyes of the photographer" von Matej Minac

ORF | yvonne strujic

Matej Mináč hat wohl seine produzentischen Fähigkeiten dem Dokumentationsfilm verschrieben. Auch die Verfilmung und erstmalige Publikmachung einer wunderbaren Geschichte des Retters zahlreicher jüdischer Kinder aus Tschechien und der Slowakei während des Zweiten Weltkriegs, Sir Nicholas Winton, ist seiner Feder zu verdanken. Obwohl seine Mutter ganz andere Pläne für ihren Zweitgeborenen parat hatte:

„Meine Mama wollte nie, dass ich Regisseur werde. Sie hätte mich lieber als Kellner gesehen, als etwas praktisches. Etwas normales. Das ganze Leben war sie unzufrieden. Sogar als wir in New York den International Emmy Award bekamen für den Film „Die Kraft der Menschlichkeit“, da rief ich sie an und erzählte ihr die tolle Nachricht. Da fragte ich sie, ob sie noch immer denkt, dass ich lieber Kellner sein sollte. Da sagte sie: Ja, ich denke es noch immer“.

Zuzana Mináčova fügt hinzu: „Auch wenn es ein trauriger Film ist, darf er die Leute nicht nur trautig machen. Menschen sind nicht dazu verpflichtet das Schreckliche zu sehen, immer wieder. Dann flüchten sie. Ich denke, Mato ist es gelungen, die traurigen mit den fröhlichen Dingen zu verflechten und so ist es zuschauerisch angenehm. In Brüssel z.B. bei der Premiere lachten die Menschen so herzlich bei den lustigen Szenen, das war für mich ein Erlebnis, dass sie diese lustigen Dinge so durchleben können.“

Filmpremiere in Wien | "Through the eyes of the photographer" von Matej Minac

ORF | yvonne strujic

Matej Mináč, Produzent und Regisseur „Through the eyes of the photographer“

„In diesen vielen Erinnerungen erinnert man sich an solche Dinge, wie, als wir in Auschwitz mit dem Zug stehenblieben, unter uns war ein Mann, er war sehr hochnäsig. Und Mängele rief ihn auf und sagte: wie es ihm Film war: ‚Dieser Mann hat euch alle verraten und man beschuldigt uns, dass wir Verurteiler sind‘ und er hat ihn erschossen vor unseren Augen. Das steht in keinem historischen Buch, das war nur in meiner Erinnerung. Und dadurch dass es nun auch verfilmt ist, ist es zu einem Bildnis geworden, dass Unmenschlichkeit symbolisiert“, unterstreicht Zuzana Mináčova, während ihr Sohn hinzufügt:

Filmpremiere in Wien | "Through the eyes of the photographer" von Matej Minac

ORF | yvonne strujic

Das Volksgruppenmagazin České Ozvěny | Slovenské Ozveny berichtet am 11. Juni 2017 | 13:05 Uhr, ORF 2 Wien über dieses Thema

"Filme und Medien sind sehr wichtig, sie haben die Gabe zu konservieren. Was in den Medien nicht existiert, existiert so gut wie gar nicht. Deshalb war es wichtig für mich, diesen Film zu drehen, so bleibt ihr Prisma für immer erhalten und ihre einzigartige Geschichte dieser schicksalhaften Kindheitsliebe, einer noch so unschuldigen, unbefriedigten, die ihr das Leben rettete, scheint mir sehr einzigartig. Denn so etwas habe ich noch nie gehört, dass jemand nach Auschwitz gehen wollte, um dort mit jemanden zu sein, den er gern hat.“

„Ein Film hat eine sehr wichtige Rolle. Er muss den Menschen Hoffnung in sLeben mitgeben. Ein Gefühl, dass man es wert ist zu leben und auf diesem Planeten zu sein und sich über Dinge freuen zu können", resümmiert der Regisseur.