Sichtbar, jedoch resigniert „Roma in der Slowakei | Damals und jetzt“

René Lužica, Professor vom Institut für Romologie der Universität Nitra | Slowakei, referierte im Wiener Volkskundemuseum zum Thema “Roma in der Slowakei. Ein kulturhistorischer Streifzug“. Roma sam fing seine Einschätzung einer landesweiten Resignation mit dem Mikrofon ein.

On demand | Roma sam | 30.10.2017

René Lužica erinnerte in seinem Vortrag an die Schicksale der Volksgruppe während des nationalsozialistisch geprägten slowakischen Staates von 1939 bis 1945, in der Zeit des Realsozialismus in der damaligen Tschechoslowakei, bis hin zur Lage der Volksgruppe in der Slowakei heute. Eine Gegenwart, in der viele Organisationen und eine Beauftragte der Volksgruppe im Bundeskanzleramt entstanden, die dennoch durch hohe Arbeitslosigkeit, schlechte gesundheitliche Situation und Verfolgung der Roma gekennzeichnet ist.

René Lužica

ORF | Yvonne Strujic

„Es hängt damit zusammen, dass Roma kein eigenes Land haben. In jedem Land zählen sie zu den nicht sehr angenehmen Mitbürgern, eigentlich Bürgern zweiter Kategorie. Von Portugal bis Russland gilt die Meinung, dass Roma nicht in dieses Land gehören. ‚Sie können sich nicht anpassen‘, heißt es, denn ‚wir sind doch die Mehrheit. Wir werden uns nicht der Minderheit unterwerfen und irgendeine Minderheitensprache- oder – kultur erforschen. Sie müssen sich anpassen.‘ Und genau das ist unser Problem, unser Konflikt, aus dem wir nicht raus können. Es ist unser eisernes Hemd“, reflektiert der Professor.

Die sozialwissenschaftliche Fakultät in Nitra beherbergt auch ein Institut für Romologiestudien. Zu Beginn der neunziger Jahren, als das Institut gegründet worden ist, hieß es „Abteilung für Roma Kultur“, damals studierten und lehrten noch zahlreiche Roma diesen Zweig an der Universität. Heute absolvieren die Ausbildung hauptsächlich Studenten/innen der Mehrheitsgesellschaft. Hier unterrichtet René Lužica. Er erwähnt, dass zahlreiche ehemalige Studenten seiner Fakultät als Vertreter der Volksgruppe in der Regierung fungieren, oder in regierungsfernen Institutionen für die Roma aktiv sind. Heute freue er sich jedoch darüber, wenn sich zumindest ein Student aus der Volksgruppe das Studium besucht, oder gar absolviert: „Es ist nicht so, dass die Zahl der Maturanten unter den Roma gesunken ist. Aber sie denken wohl eben, dass es auch andere Sektoren gibt, außer Sozialarbeit. Sie können heute alles studieren“, erzählt René Lužica.

Was die Zeit Realsozialismus angeht, stützt sich die Geschichtsschreibung über die Roma Minderheit auf hauptsächlich eine autobiographische, von der tschechischen Sprachwissenschaftlerin Milena Hübschmannová, verschriftlichte Erzählung von Ilona/Elena Lacková. In ihrem Buch begleitet sie anhand des Schicksals der Romni Lacková die Zeit der Zwangsassimilierung der Roma.

Ilona/Elena Lacková | A false dawn

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„Anhand des Schicksals von Elena Lacková möchte ich zeigen, dass es auch in dieser Zeit Roma gab, die ihre Chance nutzten. Denn bis zum Krieg und während des Krieges hatten sie keine. Doch die Kommunisten kamen mit etwas neuem, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind, die Arbeiterklasse regieren würde. Und die Roma waren ja diese Arbeiterklasse. Sie waren keine Intellektuellen, sie passten genau in das Schema der sozialistischen Gesellschaft und die sozialistische Regierung hatte das Interesse, dass die Roma sich bildeten und arbeiteten. Viele wurden das ja dann sogar zu Kommunisten. Auf der anderen Seite, und das ist unverständlich, wollten die Kommunisten die ethnischen Rechte der Roma nicht anerkennen. Es ist sehr paradox, denn die Kommunisten haben immer behauptet: ‚Ihr seid keine Roma, ihr seid Slowaken, ihr seid Tschechen‘. Doch das nahm selbst die Mehrheitsgesellschaft nicht ernst. Auf Grund des strengen Regimes schwieg auch diese lieber“, so Lužica und fügt hinzu, dass das Regime in der Zeit des Real-Sozialismus den Rassismus und Fremdenfeindlichkeit öffentlich nicht wahrhaben wollte. So ignorierten die regierenden Kommunisten die Probleme, die zwischen der Roma und Mehrheitsgesellschaft herrschten.

Ilona/Elena Lacková | A false dawn

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„In der Öffentlichkeit hat man dann etwas unterstützt, was man privat nicht unterstützen konnte. Keiner konnte die Nicht- Roma dazu zwingen, dass sie sich um die Roma kümmern. Wenn man Roma in eine neue Wohnung angesiedelt hat, zwischen Nicht-Roma, würden sie sich kulturell anpassen, dachte man. Doch die Nicht-Roma Familien schlossen vor ihnen die Türen und waren entrüstet darüber, dass es eine Roma Familie innerhalb ihres Hofes gab. Nie traf sich die Mehrheitsgesellschaft mit der Minorität, es gab keine Solidarität, oder gemeinsame Interessen. Sie existierten gezwungenermaßen nebeneinander, weil das Regime jegliche Formen von Rassismus und Xenophobie ausschloss, damit ist man im Sozialismus sehr gut umgegangen. Die demokratische Gesellschaft kann bei weitem nicht so gut gegen Extremisten ankämpfen wie es das sozialistische Regime konnte. Damals hat sich eben keine getraut, etwas Negatives zu sagen. Aber es war eben auch schizophren, könnte man sagen. Die Menschen mussten etwas leben, das sie eigentlich nicht wollten. Auch wenn es sehr idealistisch klingt, wer würde es nicht wollen: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, die Botschaft der französischen – und sowjetischen Revolution. Am Ende jedoch lehnen die Menschen dieses Konzept ab. Und im Prinzip somit auch die Roma“, bedauert Professor Lužica.

Dass die Roma damals als Volksgruppe nicht anerkannt wurden, wirkte sich auf ihre soziale und wirtschaftliche Situation negativ aus, stellt Universitätsprofessor René Lužica fest: „Im Sozialismus war das schlecht, dass die Roma nicht als Volksgruppe anerkannt worden sind, wie es die Ukrainer und Ungarn beispielsweise wurden. Ihnen fehlten also ihre Volksgruppenrechte, damit sie ihre Sprache, ihre Kultur pflegen konnten, ihre Schulen hatten, also dass sie sich hätten entwickeln können. Auf der anderen Seite bekamen sie Arbeit, weil die verpflichtend war. Wer der Arbeit entkommen wollte, arbeitete letztendlich im Gefängnis. Es galt das Motto: ‚Es bleibt euch nichts anderes übrig: Arbeit, Arbeit, Arbeit. Die wird euch ehren‘. Aber das war eben nicht genug. Dabei ist noch zu erwähnen, dass die Erwerbstätigkeit der Roma in den 50er, 60er Jahren bei 60-70% lag. Wenn wir heute diese Zahlen hätten, bekämen unsere Minister die höchsten Staatsauszeichnungen. Also auch wenn die Arbeitslosigkeit doch vorhanden war, auch damals, schätzen diejenigen, die den Realsozialismus erlebt haben, diese Zeit, denn damals zählten sie als vollwertige Bürger. Man sagte ihnen: ‚Ihr seid keine Zigeuner, ihr müsst diese rückständige Kultur, diesen Slang, den nur Räuber verwenden, hinter euch lassen. Ihr müsst tschechisch, slowakisch sprechen, das ist eure Kultur, werden ein Teil von ihr!‘ Doch es klappte nicht. Der soziale Staat investierte sehr viel in die soziale Sphäre und stürzte in sich zusammen. Heute ist die Situation so, dass Roma ihre Identität wahren können, sie haben ihre Volksgruppenrechte, ihre Vereine, ihre Medien, sie können alles, was sie wollen, doch verloren sie ihre Arbeit. Die Situation ist wieder gekippt. Sie brauchen ihre Freiheit und auch Arbeit. Immer gewinnen die Roma etwas, sie verlieren aber auch gleichzeitig etwas anderes, aber nie gewinnen sie alles, was sie haben sollten“.

Robert Fico

TASR/Oliver Ondráš

Auch die Regierungen nach der Samtenen Revolution resignierten und resignieren bei der Inklusion der Roma in der slowakischen Gesellschaft, betont René Lužica. Der jetzige Premier Robert Fico gibt es im Hinblick auf die aktuelle Flüchtlingsfrage offen zu, meint er: „Unser Premier sagte, wir können keine Migranten aus dem Nahen Osten aufnehmen, weil wir es nicht geschafft haben, 400.000 Roma zu integrieren. In der Slowakei sind also Roma die Migranten und das seit mehr als 800 Jahren. Wenn Fico diese Pandora Box öffnen wurde und 10.000 Menschen aus dem Nahen Osten in die Slowakei kämen, wäre es ihm nach eine Katastrophe. Weil er schon bei der Integration der Roma resigniert hat“.

Slowakische Roma Kinder Schule

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Von der Totalität in den totalen Liberalismus ging die Inklusion verloren

„Ich würde mich am meisten darüber freuen, wenn die Mehrheit der Roma Kinder die Grundschule abschließen würde, dass sie Lehren abschließen. Dass sie eine Profession haben. Denn auch schon während des Sozialismus sind alle gewissermaßen integriert wurden. Auch in meiner Kindheit war es so. Wir hatten immer Roma Schüler bei uns, oder körperlich beeinträchtigte. Es war vollkommen normal. Viele dieser inklusiven Methoden wurden ganz natürlich angewendet, ohne, dass sie einen Namen gehabt hätten. Das sind nur Wortspiele. Jeder fragt sich heute, wie sich Inklusion eigentlich definiert. Viele dieser Dinge gingen irgendwo verloren, weil wir von einem Extrem ins andere gerutscht sind. Von einer Totalität in den totalen Liberalismus. Dabei vergaß man auf einiges. Also eigentlich gibt es wenig Neues. Alles ist schon mal hier gewesen, nur unter anderen Namen“, umreißt der Professor.

Professor René Lužica von der slowakischen Universität in Nitra setzt als Lösung auf Normalität. Die Normalität würden wir nur erzielen, wenn wir uns mit Respekt begegnen. Für den gegenseitigen Respekt fehle jedoch die soziale und wirtschaftliche Solidarität. Das könne man wiederum mit einer gerechten Verteilungspolitik erreichen, die keine Neid- und Hassgefühle schürt, so der Unilektor Lužica.

Tipps

Gedenken am Roma- und Sinti Denkmal | Lackenbach

ORF

Gedenkfeier in Lackenbach

* Die alljährliche Gedenkfeier in Lackenbach findet am 18.11.2017 um 11:00 Uhr statt. Die Gedenkfahrt von Oberwart nach Lackenbach organisiert vom Verein Roma Service. Die Abfahrt ist um 9:15 Uhr in der Siedlung am Anger und um 9:30 Uhr am Hauptplatz in Oberwart. Die Oberwarter Lernbetreuung gestaltet die Gedenkfeier mit einem Beitrag mit.

Glücksmacher

edition exil

„glücksmacher | e baxt romani“

*Das Debütwerk des jungen Autors Samuel Mago und seines Bruders Mágó Károly mit dem Titel „glücksmacher | e baxt romani“ wird am 10. November, bei der BuchWien 17 präsentiert.

Der Band beinhaltet 15 Kurzgeschichten aus dem Leben der Roma und zweisprachig, Deutsch und Romanes. 10. November, Freitag, um 13:15 Uhr in der Halle ´D, Messe Wien.

Roma sam | 13.11.2017 | um 20:50 Uhr
Radio Burgenland